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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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einen Seite öffnet sich eine weite entzückende Aussicht über die Bucht und das
Festland, aus der andern gibt es kleine Anfluge hinab in enge reinliche
Gäßchen, wo die Männer gleich drapierten Versteinerungen stehn, und die
Weiber wie längliche Gebetbücher dahinschreiten, bleich, schwarzgekleidet, ernst¬
haft. Nur wenn sie einem Fremden begegnen, kommt Leben in sie; sie bleiben
stehn und schlagen ein gellendes Gelächter an. So weit ist die Stadt nun
von der ehemaligen Weltstadt entfernt, in deren Straßen alle Volksstämme
wogten und feilschten.

So still wie Cadiz ist selten eine Stadt, so reinlich keine. Mit Aus¬
nahme des Volksviertels um Santa Elena, wo mit Ungeziefer bedeckte Weiber¬
gruppen, Kehrichthaufen und krätzige, kahle, herrenlose Hunde ein echt süd¬
ländisches Großstadtbild schaffen, ist die Stadt so peinlich sauber, fast zierlich,
wie das Stübchen einer alten Jungfer. Der Asphalt in den schmalen Güszchen
ist rein wie ein Zimmerböden, und die Häuser erheben sich gleich weiß mit
grünen Fensterläden oder Glasveranden durch alle Stockwerke. Rein, kühl, still,
in Schatten gehüllt -- so liegt die Stadt da unten mit ihren Säulenhöfen, in
denen die Springbrunnen plätschern und Palmen, Nerien, Platanen jahraus
jahrein grünen. Oft sind diese Säulenhöfe glasüberdeckt und mit Teppichen
und Diwans zu kühlen Sommerfrischen eingerichtet.

Richtige Höfe zum Waschen, Trocknen und dergleichen wird man dagegen
in dieser dichtgebauten Stadt, wo jedes Karree eine einzige kompakte Häuser-
masse ist, vergebens suchen. Bis man eines Tags eines der fünftausend
Türmchen der Stadt ersteigt und über die flachen Dächer hinausschaut. Jedes
Haus hat sein flaches Dach mit einer ringsum laufenden Brustwehr und in
der einen Ecke als Abschluß der Wendeltreppe ein Türmchen. Hier ist der
Hof, der Waschplatz, die Trockenstelle, vielleicht nebstbei ein wenig Garten oder
Werkstätte -- eine ganze Stadt in schonungsloser Sonne und stechend weißem
Lichte; fünftausend Würfel, ein wenig höher oder niedriger, aber zusammen¬
hängend. Von hier aus gesehen gleicht es einer großen durchschnittenen
Bienenwabe, die auf dem klaren Wasser schwimmt, verziert mit kleinen Elfen¬
beintürmen, weißer Wäsche und brennend roten Pelargonien. Man möchte
das alles durchwandern, über die schmalen Spalten springen, die die Gassen
bilden, und weiter ziehen, hinüber zu der andern Küste -- wenn nur nicht die
Sonne so brennend wäre und einen längern Aufenthalt hier oben unmöglich
machte. Am Abend ist es hier wunderbar, wenn der Himmel flammt und das
Meer von allen Seiten wie geschmolznes Gold herbeikommt, um noch einmal
die weiße Stadt zu bereichern.

Ein Sandstreifen von einer Meile Länge und einem Steinwurf Breite
verbindet wie ein Nabelstrang die Stadt mit dem Festlande. Zur Linken leckt
das Wasser der Bucht träge über einen glatten Strand von bläulichem
Kleisand; zur Rechten wälzen sich vor einer Reihe schöner Dünen die Wogen
des Atlantischen Ozeans daher wie ein gelbgrüner Brei aus Sand und Wasser;
sie kentern am Gestade und fallen dröhnend auf die weiße Küste nieder.


einen Seite öffnet sich eine weite entzückende Aussicht über die Bucht und das
Festland, aus der andern gibt es kleine Anfluge hinab in enge reinliche
Gäßchen, wo die Männer gleich drapierten Versteinerungen stehn, und die
Weiber wie längliche Gebetbücher dahinschreiten, bleich, schwarzgekleidet, ernst¬
haft. Nur wenn sie einem Fremden begegnen, kommt Leben in sie; sie bleiben
stehn und schlagen ein gellendes Gelächter an. So weit ist die Stadt nun
von der ehemaligen Weltstadt entfernt, in deren Straßen alle Volksstämme
wogten und feilschten.

So still wie Cadiz ist selten eine Stadt, so reinlich keine. Mit Aus¬
nahme des Volksviertels um Santa Elena, wo mit Ungeziefer bedeckte Weiber¬
gruppen, Kehrichthaufen und krätzige, kahle, herrenlose Hunde ein echt süd¬
ländisches Großstadtbild schaffen, ist die Stadt so peinlich sauber, fast zierlich,
wie das Stübchen einer alten Jungfer. Der Asphalt in den schmalen Güszchen
ist rein wie ein Zimmerböden, und die Häuser erheben sich gleich weiß mit
grünen Fensterläden oder Glasveranden durch alle Stockwerke. Rein, kühl, still,
in Schatten gehüllt — so liegt die Stadt da unten mit ihren Säulenhöfen, in
denen die Springbrunnen plätschern und Palmen, Nerien, Platanen jahraus
jahrein grünen. Oft sind diese Säulenhöfe glasüberdeckt und mit Teppichen
und Diwans zu kühlen Sommerfrischen eingerichtet.

Richtige Höfe zum Waschen, Trocknen und dergleichen wird man dagegen
in dieser dichtgebauten Stadt, wo jedes Karree eine einzige kompakte Häuser-
masse ist, vergebens suchen. Bis man eines Tags eines der fünftausend
Türmchen der Stadt ersteigt und über die flachen Dächer hinausschaut. Jedes
Haus hat sein flaches Dach mit einer ringsum laufenden Brustwehr und in
der einen Ecke als Abschluß der Wendeltreppe ein Türmchen. Hier ist der
Hof, der Waschplatz, die Trockenstelle, vielleicht nebstbei ein wenig Garten oder
Werkstätte — eine ganze Stadt in schonungsloser Sonne und stechend weißem
Lichte; fünftausend Würfel, ein wenig höher oder niedriger, aber zusammen¬
hängend. Von hier aus gesehen gleicht es einer großen durchschnittenen
Bienenwabe, die auf dem klaren Wasser schwimmt, verziert mit kleinen Elfen¬
beintürmen, weißer Wäsche und brennend roten Pelargonien. Man möchte
das alles durchwandern, über die schmalen Spalten springen, die die Gassen
bilden, und weiter ziehen, hinüber zu der andern Küste — wenn nur nicht die
Sonne so brennend wäre und einen längern Aufenthalt hier oben unmöglich
machte. Am Abend ist es hier wunderbar, wenn der Himmel flammt und das
Meer von allen Seiten wie geschmolznes Gold herbeikommt, um noch einmal
die weiße Stadt zu bereichern.

Ein Sandstreifen von einer Meile Länge und einem Steinwurf Breite
verbindet wie ein Nabelstrang die Stadt mit dem Festlande. Zur Linken leckt
das Wasser der Bucht träge über einen glatten Strand von bläulichem
Kleisand; zur Rechten wälzen sich vor einer Reihe schöner Dünen die Wogen
des Atlantischen Ozeans daher wie ein gelbgrüner Brei aus Sand und Wasser;
sie kentern am Gestade und fallen dröhnend auf die weiße Küste nieder.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/534>, abgerufen am 28.05.2024.