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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Politische Briefe aus Sachsen

Gegenstandes reinigend und klärend gewirkt. Ich glaube aber nicht nur das,
sondern sie wird auch verbindend wirken; die Gegensätze werden ausgeglichen,
und die konservative Partei wird in neuer Kraft aus dem Streite der Meinungen
erstehn. Sie bezweifeln das mit Rücksicht ganz besonders auf die Aussprache
des Legationsrates von Nostitz in der Verhandlung des Dresdner konservativen
Vereins am 10. Juli. Auch diese Befürchtung kann ich nicht teilen. Was ist
natürlicher, als daß einer Partei, die jahrzehntelang die absolute Mehrheit im
Landtage hat, übermäßiger Einfluß auf die Staatsgeschäfte nachgeredet wird!
Ja, daß sich einzelne von deren Führern vielleicht hie und da zu Äußerungen
von Wünschen und zur Geltendmachung von Bestrebungen außerhalb des Par¬
laments verleiten lassen, die der parlamentarischen Mitwirkung an sich entzogen
sind! Das ist menschlich erklärlich, und dann um so mehr, wenn die Regierung
zeitweilig nicht stark genug ist, um ihre Anschauungen immer lediglich auf sach¬
liche Erwägungen zu stützen, sondern auch freundwilliger persönlicher Beziehungen
bedarf, um sich im Parlament durchzusetzen. Die Schuld an dem Aufkommen
einer Nebenregierung wird immer ebenso sehr die Negierung wie die Partei
treffen, die sich Übergriffe in die Sphären der Regierung gestattet. Es kann
deshalb auch ruhig abgewartet werden, wer mit reinem Gewissen den Beweis
der Nostitzschen Behauptungen fordern wird. Die konservative Partei als solche
hat meines Trachtens keinerlei Veranlassung, sich mit jenen Vorwürfen, die sich,
um das Kind beim richtigen Namen zu nennen, vor allem gegen den Präsidenten
der zweiten Kammer richteten und ebensosehr sein angeblich autokratisches Auf¬
treten in der Partei selbst bekämpften, zu beschäftigen, sie hat vielmehr ein reines
Gewissen für ihre Vergangenheit und hat überdies alle Veranlassung dazu,
ihre Aufmerksamkeit auf andre, sachliche Fragen zu lenken, und dazu gehört
natürlich in erster Linie der Entwurf der Staatsregierung über die Wahlrechts¬
vorlage.

Wenn Sie, mein verehrter Freund, diese Vorlage -- wahrscheinlich auf
Grund der ersten Äußerungen in der Presse -- als ein totgeborncs Kind be¬
zeichnen, so, glaube ich, sind Sie im Irrtum. Die ersten, allerdings meist ab¬
lehnenden Äußerungen von Journalisten und Parlamentariern waren offenbar
nur auf Grund der Rede Hohenthals in Bautzen erfolgt, die natürlich nur eine
Skizze der wesentlichen Bestimmungen, nicht aber das ganze Wahlgesetz, und
vor allen Dingen deren Begründung enthalten konnte. Spätere Erklärungen
lauten schon wesentlich anders. Und wenn die Kreuzzeitung eine Zuschrift aus
Sachsen gebracht hat, daß auch die Konservativen nicht gewillt sind, ihre Mit¬
wirkung an einer gedeihlichen Ausgestaltung des Wahlrechts zu versagen, so ist
das eigentlich vorläufig hinreichend, um darauf die Hoffnung zu setzen, daß in
der nächsten Session wirklich ein Wahlgesetz zwischen Staatsregierung und
Ständen vereinbart wird.

Meine Ansichten im einzelnen hoffe ich Ihnen bald einmal darlegen zu
Germanikus. können. Ihr


Politische Briefe aus Sachsen

Gegenstandes reinigend und klärend gewirkt. Ich glaube aber nicht nur das,
sondern sie wird auch verbindend wirken; die Gegensätze werden ausgeglichen,
und die konservative Partei wird in neuer Kraft aus dem Streite der Meinungen
erstehn. Sie bezweifeln das mit Rücksicht ganz besonders auf die Aussprache
des Legationsrates von Nostitz in der Verhandlung des Dresdner konservativen
Vereins am 10. Juli. Auch diese Befürchtung kann ich nicht teilen. Was ist
natürlicher, als daß einer Partei, die jahrzehntelang die absolute Mehrheit im
Landtage hat, übermäßiger Einfluß auf die Staatsgeschäfte nachgeredet wird!
Ja, daß sich einzelne von deren Führern vielleicht hie und da zu Äußerungen
von Wünschen und zur Geltendmachung von Bestrebungen außerhalb des Par¬
laments verleiten lassen, die der parlamentarischen Mitwirkung an sich entzogen
sind! Das ist menschlich erklärlich, und dann um so mehr, wenn die Regierung
zeitweilig nicht stark genug ist, um ihre Anschauungen immer lediglich auf sach¬
liche Erwägungen zu stützen, sondern auch freundwilliger persönlicher Beziehungen
bedarf, um sich im Parlament durchzusetzen. Die Schuld an dem Aufkommen
einer Nebenregierung wird immer ebenso sehr die Negierung wie die Partei
treffen, die sich Übergriffe in die Sphären der Regierung gestattet. Es kann
deshalb auch ruhig abgewartet werden, wer mit reinem Gewissen den Beweis
der Nostitzschen Behauptungen fordern wird. Die konservative Partei als solche
hat meines Trachtens keinerlei Veranlassung, sich mit jenen Vorwürfen, die sich,
um das Kind beim richtigen Namen zu nennen, vor allem gegen den Präsidenten
der zweiten Kammer richteten und ebensosehr sein angeblich autokratisches Auf¬
treten in der Partei selbst bekämpften, zu beschäftigen, sie hat vielmehr ein reines
Gewissen für ihre Vergangenheit und hat überdies alle Veranlassung dazu,
ihre Aufmerksamkeit auf andre, sachliche Fragen zu lenken, und dazu gehört
natürlich in erster Linie der Entwurf der Staatsregierung über die Wahlrechts¬
vorlage.

Wenn Sie, mein verehrter Freund, diese Vorlage — wahrscheinlich auf
Grund der ersten Äußerungen in der Presse — als ein totgeborncs Kind be¬
zeichnen, so, glaube ich, sind Sie im Irrtum. Die ersten, allerdings meist ab¬
lehnenden Äußerungen von Journalisten und Parlamentariern waren offenbar
nur auf Grund der Rede Hohenthals in Bautzen erfolgt, die natürlich nur eine
Skizze der wesentlichen Bestimmungen, nicht aber das ganze Wahlgesetz, und
vor allen Dingen deren Begründung enthalten konnte. Spätere Erklärungen
lauten schon wesentlich anders. Und wenn die Kreuzzeitung eine Zuschrift aus
Sachsen gebracht hat, daß auch die Konservativen nicht gewillt sind, ihre Mit¬
wirkung an einer gedeihlichen Ausgestaltung des Wahlrechts zu versagen, so ist
das eigentlich vorläufig hinreichend, um darauf die Hoffnung zu setzen, daß in
der nächsten Session wirklich ein Wahlgesetz zwischen Staatsregierung und
Ständen vereinbart wird.

Meine Ansichten im einzelnen hoffe ich Ihnen bald einmal darlegen zu
Germanikus. können. Ihr


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[0558] Politische Briefe aus Sachsen Gegenstandes reinigend und klärend gewirkt. Ich glaube aber nicht nur das, sondern sie wird auch verbindend wirken; die Gegensätze werden ausgeglichen, und die konservative Partei wird in neuer Kraft aus dem Streite der Meinungen erstehn. Sie bezweifeln das mit Rücksicht ganz besonders auf die Aussprache des Legationsrates von Nostitz in der Verhandlung des Dresdner konservativen Vereins am 10. Juli. Auch diese Befürchtung kann ich nicht teilen. Was ist natürlicher, als daß einer Partei, die jahrzehntelang die absolute Mehrheit im Landtage hat, übermäßiger Einfluß auf die Staatsgeschäfte nachgeredet wird! Ja, daß sich einzelne von deren Führern vielleicht hie und da zu Äußerungen von Wünschen und zur Geltendmachung von Bestrebungen außerhalb des Par¬ laments verleiten lassen, die der parlamentarischen Mitwirkung an sich entzogen sind! Das ist menschlich erklärlich, und dann um so mehr, wenn die Regierung zeitweilig nicht stark genug ist, um ihre Anschauungen immer lediglich auf sach¬ liche Erwägungen zu stützen, sondern auch freundwilliger persönlicher Beziehungen bedarf, um sich im Parlament durchzusetzen. Die Schuld an dem Aufkommen einer Nebenregierung wird immer ebenso sehr die Negierung wie die Partei treffen, die sich Übergriffe in die Sphären der Regierung gestattet. Es kann deshalb auch ruhig abgewartet werden, wer mit reinem Gewissen den Beweis der Nostitzschen Behauptungen fordern wird. Die konservative Partei als solche hat meines Trachtens keinerlei Veranlassung, sich mit jenen Vorwürfen, die sich, um das Kind beim richtigen Namen zu nennen, vor allem gegen den Präsidenten der zweiten Kammer richteten und ebensosehr sein angeblich autokratisches Auf¬ treten in der Partei selbst bekämpften, zu beschäftigen, sie hat vielmehr ein reines Gewissen für ihre Vergangenheit und hat überdies alle Veranlassung dazu, ihre Aufmerksamkeit auf andre, sachliche Fragen zu lenken, und dazu gehört natürlich in erster Linie der Entwurf der Staatsregierung über die Wahlrechts¬ vorlage. Wenn Sie, mein verehrter Freund, diese Vorlage — wahrscheinlich auf Grund der ersten Äußerungen in der Presse — als ein totgeborncs Kind be¬ zeichnen, so, glaube ich, sind Sie im Irrtum. Die ersten, allerdings meist ab¬ lehnenden Äußerungen von Journalisten und Parlamentariern waren offenbar nur auf Grund der Rede Hohenthals in Bautzen erfolgt, die natürlich nur eine Skizze der wesentlichen Bestimmungen, nicht aber das ganze Wahlgesetz, und vor allen Dingen deren Begründung enthalten konnte. Spätere Erklärungen lauten schon wesentlich anders. Und wenn die Kreuzzeitung eine Zuschrift aus Sachsen gebracht hat, daß auch die Konservativen nicht gewillt sind, ihre Mit¬ wirkung an einer gedeihlichen Ausgestaltung des Wahlrechts zu versagen, so ist das eigentlich vorläufig hinreichend, um darauf die Hoffnung zu setzen, daß in der nächsten Session wirklich ein Wahlgesetz zwischen Staatsregierung und Ständen vereinbart wird. Meine Ansichten im einzelnen hoffe ich Ihnen bald einmal darlegen zu Germanikus. können. Ihr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/558>, abgerufen am 14.05.2024.