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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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politische Briefe aus Sachsen

Verehrter Freund!

Sie schelten mich einen Optimisten, wenn ich annehme, daß sich die beiden
Flügel der konservativen Partei verständigen, und daß die Nostitzsche Rede
keinerlei ernste Folgen haben werde. Ich bleibe aber dabei, daß die einzige Folge
wahrscheinlich die sein wird, daß die Leute, die künftig von der Staatsregierung
etwas wünschen und den leitenden Kreisen der konservativen Partei nahestehn,
in bezug auf ihre Wünsche und Bestrebungen vielleicht etwas vorsichtiger und
zurückhaltender sein werden als früher, und daß an Stelle des "autokratischen"
Regiments in der Partei die wirklich kollegiale Entschließung der zuständigen
Organe treten wird. Das aber scheint mir beides recht nützlich und gut.

Wenn Sie einwerfen, daß sich der Vorwurf, eine Ncbcnregierung versucht
oder gebildet zu haben, nicht nur gegen den Präsidenten der zweiten Kammer,
sondern auch gegen deren einen Vizepräsidenten und gegen den Oberbürgermeister
von Dresden gerichtet habe, nun so ist wohl der von dem konservativen Vize¬
präsidenten der zweiten Kammer geübte Einfluß kaum anders zu beurteilen als
der des Präsidenten; was aber die Hereinbeziehung des Dresdner Oberbürger¬
meisters anlangt, so wird diesen sicher niemand, der die Verhältnisse kennt, mit
Mehrere und Opitz politisch identifizieren.

Ein "autokratisches" Regiment in der Partei aber ist nur dann und nur so
lange möglich, wenn und insoweit man einer einzelnen Person die Arbeit und
damit den Einfluß allein überläßt. Wirklich tätige und arbeitende Politiker
werden sich von andern niemals auf die Dauer ins Schlepptau nehmen lassen.
Die konservative Partei hat es also völlig in der Hand, daß sich die Verhältnisse
in der Führung ändern. Diejenigen aber, die bisher beiseite gestanden haben,
sind nicht befugt, den Leitern der Partei, die die ganze politische Arbeit und
Verantwortung auf sich genommen haben, den Vorwurf eines autokratischen
Regiments zu machen. Wohl aber hat die Partei alle Veranlassung, ihren
Führern ein reiches Maß von Dankbarkeit für die in ihrem Dienste geleistete
Arbeit zu bewahren.

Was die Wahlrechtsvorlage betrifft, so glaube auch ich nicht, daß sie so,
wie sie veröffentlicht worden ist, ohne weiteres und ohne jede wesentliche
Änderung angenommen werden wird. Das dürfte auch die Staatsregierung,
die ja doch auch das parlamentarische Leben kennt, nicht erwarten.

Zwei Grundsätze aber sind es vor allem, über die man sich schlüssig
machen muß, und mit denen das Ganze steht und füllt. Dazu rechne ich
zunächst nicht, wie Sie annehmen, die Wahlen durch die Kommunalverbände.
Diese sind vielmehr erst eine Folge der Verhältniswahl. Diese Verhältniswahl
und das Pluralwahlrecht sind nach meiner Ansicht die vornehmsten Grundlagen
des ganzen Gesetzes.

Sie wissen, daß ich kein Freund der unerprobten Neuerung der Ver¬
hältniswahl bin, daß ich aber das Pluralwahlrecht in etwas weitrer Aus-


politische Briefe aus Sachsen

Verehrter Freund!

Sie schelten mich einen Optimisten, wenn ich annehme, daß sich die beiden
Flügel der konservativen Partei verständigen, und daß die Nostitzsche Rede
keinerlei ernste Folgen haben werde. Ich bleibe aber dabei, daß die einzige Folge
wahrscheinlich die sein wird, daß die Leute, die künftig von der Staatsregierung
etwas wünschen und den leitenden Kreisen der konservativen Partei nahestehn,
in bezug auf ihre Wünsche und Bestrebungen vielleicht etwas vorsichtiger und
zurückhaltender sein werden als früher, und daß an Stelle des „autokratischen"
Regiments in der Partei die wirklich kollegiale Entschließung der zuständigen
Organe treten wird. Das aber scheint mir beides recht nützlich und gut.

Wenn Sie einwerfen, daß sich der Vorwurf, eine Ncbcnregierung versucht
oder gebildet zu haben, nicht nur gegen den Präsidenten der zweiten Kammer,
sondern auch gegen deren einen Vizepräsidenten und gegen den Oberbürgermeister
von Dresden gerichtet habe, nun so ist wohl der von dem konservativen Vize¬
präsidenten der zweiten Kammer geübte Einfluß kaum anders zu beurteilen als
der des Präsidenten; was aber die Hereinbeziehung des Dresdner Oberbürger¬
meisters anlangt, so wird diesen sicher niemand, der die Verhältnisse kennt, mit
Mehrere und Opitz politisch identifizieren.

Ein „autokratisches" Regiment in der Partei aber ist nur dann und nur so
lange möglich, wenn und insoweit man einer einzelnen Person die Arbeit und
damit den Einfluß allein überläßt. Wirklich tätige und arbeitende Politiker
werden sich von andern niemals auf die Dauer ins Schlepptau nehmen lassen.
Die konservative Partei hat es also völlig in der Hand, daß sich die Verhältnisse
in der Führung ändern. Diejenigen aber, die bisher beiseite gestanden haben,
sind nicht befugt, den Leitern der Partei, die die ganze politische Arbeit und
Verantwortung auf sich genommen haben, den Vorwurf eines autokratischen
Regiments zu machen. Wohl aber hat die Partei alle Veranlassung, ihren
Führern ein reiches Maß von Dankbarkeit für die in ihrem Dienste geleistete
Arbeit zu bewahren.

Was die Wahlrechtsvorlage betrifft, so glaube auch ich nicht, daß sie so,
wie sie veröffentlicht worden ist, ohne weiteres und ohne jede wesentliche
Änderung angenommen werden wird. Das dürfte auch die Staatsregierung,
die ja doch auch das parlamentarische Leben kennt, nicht erwarten.

Zwei Grundsätze aber sind es vor allem, über die man sich schlüssig
machen muß, und mit denen das Ganze steht und füllt. Dazu rechne ich
zunächst nicht, wie Sie annehmen, die Wahlen durch die Kommunalverbände.
Diese sind vielmehr erst eine Folge der Verhältniswahl. Diese Verhältniswahl
und das Pluralwahlrecht sind nach meiner Ansicht die vornehmsten Grundlagen
des ganzen Gesetzes.

Sie wissen, daß ich kein Freund der unerprobten Neuerung der Ver¬
hältniswahl bin, daß ich aber das Pluralwahlrecht in etwas weitrer Aus-


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[0559] politische Briefe aus Sachsen Verehrter Freund! Sie schelten mich einen Optimisten, wenn ich annehme, daß sich die beiden Flügel der konservativen Partei verständigen, und daß die Nostitzsche Rede keinerlei ernste Folgen haben werde. Ich bleibe aber dabei, daß die einzige Folge wahrscheinlich die sein wird, daß die Leute, die künftig von der Staatsregierung etwas wünschen und den leitenden Kreisen der konservativen Partei nahestehn, in bezug auf ihre Wünsche und Bestrebungen vielleicht etwas vorsichtiger und zurückhaltender sein werden als früher, und daß an Stelle des „autokratischen" Regiments in der Partei die wirklich kollegiale Entschließung der zuständigen Organe treten wird. Das aber scheint mir beides recht nützlich und gut. Wenn Sie einwerfen, daß sich der Vorwurf, eine Ncbcnregierung versucht oder gebildet zu haben, nicht nur gegen den Präsidenten der zweiten Kammer, sondern auch gegen deren einen Vizepräsidenten und gegen den Oberbürgermeister von Dresden gerichtet habe, nun so ist wohl der von dem konservativen Vize¬ präsidenten der zweiten Kammer geübte Einfluß kaum anders zu beurteilen als der des Präsidenten; was aber die Hereinbeziehung des Dresdner Oberbürger¬ meisters anlangt, so wird diesen sicher niemand, der die Verhältnisse kennt, mit Mehrere und Opitz politisch identifizieren. Ein „autokratisches" Regiment in der Partei aber ist nur dann und nur so lange möglich, wenn und insoweit man einer einzelnen Person die Arbeit und damit den Einfluß allein überläßt. Wirklich tätige und arbeitende Politiker werden sich von andern niemals auf die Dauer ins Schlepptau nehmen lassen. Die konservative Partei hat es also völlig in der Hand, daß sich die Verhältnisse in der Führung ändern. Diejenigen aber, die bisher beiseite gestanden haben, sind nicht befugt, den Leitern der Partei, die die ganze politische Arbeit und Verantwortung auf sich genommen haben, den Vorwurf eines autokratischen Regiments zu machen. Wohl aber hat die Partei alle Veranlassung, ihren Führern ein reiches Maß von Dankbarkeit für die in ihrem Dienste geleistete Arbeit zu bewahren. Was die Wahlrechtsvorlage betrifft, so glaube auch ich nicht, daß sie so, wie sie veröffentlicht worden ist, ohne weiteres und ohne jede wesentliche Änderung angenommen werden wird. Das dürfte auch die Staatsregierung, die ja doch auch das parlamentarische Leben kennt, nicht erwarten. Zwei Grundsätze aber sind es vor allem, über die man sich schlüssig machen muß, und mit denen das Ganze steht und füllt. Dazu rechne ich zunächst nicht, wie Sie annehmen, die Wahlen durch die Kommunalverbände. Diese sind vielmehr erst eine Folge der Verhältniswahl. Diese Verhältniswahl und das Pluralwahlrecht sind nach meiner Ansicht die vornehmsten Grundlagen des ganzen Gesetzes. Sie wissen, daß ich kein Freund der unerprobten Neuerung der Ver¬ hältniswahl bin, daß ich aber das Pluralwahlrecht in etwas weitrer Aus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/559>, abgerufen am 30.05.2024.