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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Volksbildung und Heimatkunde

gutes Recht, sich die Köpfe nicht übermäßig vollpfropfen zu lassen von Sachen,
die für die Zukunft nur einen idealen Wert haben. Solche Werte zu wecken
und zu pflegen ist die Aufgabe der Volksbildungsvereine, da die meisten Menschen
der untern Volksschichten von ihrer täglichen Berufsarbeit so in Anspruch
genommen werden, daß sie sich nicht auch noch geistig beschäftigen können,
wenigstens nicht mit der Muße und dem Genuß, den die Gebildeten von geistiger
Beschäftigung haben. Deshalb ist es empfehlenswert und zweckmäßig, die
Heimatkunde in dem weitverzweigten Vereinsleben unsrer Tage weiter aus¬
zubauen, namentlich durch Schriften, Vorträge und Sammlungen.

Man kann immer wieder beobachten, daß die Landleute für ihr Dorf und
dessen Geschichte ebenso großes Interesse haben wie die Bürger für ihre Stadt¬
geschichte. Wer jenen von ihren Fluren, den alten Flurnamen, den Ausgrabungen
auf ihren Feldern oder auch von den einstigen Sitten, Festen und Gebräuchen
erzählt, wer es versteht, ihnen über die großen Kriege der frühern Jahrhunderte
mit Beziehung auf ihr Dorf zu berichten oder ihnen die alten Bauarten der
Höfe vorzuführen, wird stets dankbare Zuhörer haben, die dann wohl auch
nachher aus ihren eignen Beobachtungen erzählen und das Vernommene mit
den gegenwärtigen Zuständen vergleichen. Und ebenso liegen die Verhältnisse
in kleinern Städten, wenn man über die ehemaligen Jnnungseinrichtungen,
über die kirchlichen und städtischen Verhältnisse, über die Kirchen und sonstigen
ältern Bauwerke spricht. Oft genug sind die Leute ganz erstaunt über die Fülle
von Altertümern und Sehenswürdigkeiten ihrer Vaterstadt, von denen sie bisher
keine Ahnung gehabt haben. Nun liegt es freilich in der Natur der Sache,
daß sich der Stoff mit der Zeit erschöpft, und man weiter greifen muß zu
Vorträgen, die nur mittelbar mit der Heimat zusammenhängen. Dahin gehört,
um nur ein Beispiel aus der Geschichte anzuführen, ein Vortrag über die
Geschichte der Vertreibung der Salzburger im Jahre 1732. Diese armen Aus¬
wandrer sind damals durch Mitteldeutschland nach dem Norden, namentlich
nach Ostpreußen gezogen, und fast in jedem Kirchenbuche finden sich Auf¬
zeichnungen über die Durchzüge, über die Aufnahme und Bewirtung in den
Ortschaften, die sie berührt haben. Diese Berichte können recht passend in den
Vortrag hineingeflochten werden und machen einen tiefen Eindruck. Ein weiteres
Thema ist der Heimatschutz und die Pflege der Naturdenkmäler, die gerade
jetzt wieder die ihnen zukommende Beachtung finden. Die wenigsten Menschen
kennen ihre heimische Flora, gehen jahrelang an seltnen Bäumen und Pflanzen
vorüber, die sie niemals näher betrachtet haben. Wenn sie aber durch Vorträge
erst einmal darauf hingewiesen werden, kommt auch der Sinn und das Ver¬
ständnis dafür von selbst, falls überhaupt die Anregung auf einigermaßen
fruchtbaren Boden fällt. Auch Vorträge über das Volkslied passen noch in den
Rahmen der Heimatkunde hinein, denn mehr als je sind die alten Lieder
wieder hervorgesucht worden und werden an den Vereinsabenden gesungen.
Das Volkslied wird noch mehr geschätzt werden, wenn erst die neue, kürzlich


Volksbildung und Heimatkunde

gutes Recht, sich die Köpfe nicht übermäßig vollpfropfen zu lassen von Sachen,
die für die Zukunft nur einen idealen Wert haben. Solche Werte zu wecken
und zu pflegen ist die Aufgabe der Volksbildungsvereine, da die meisten Menschen
der untern Volksschichten von ihrer täglichen Berufsarbeit so in Anspruch
genommen werden, daß sie sich nicht auch noch geistig beschäftigen können,
wenigstens nicht mit der Muße und dem Genuß, den die Gebildeten von geistiger
Beschäftigung haben. Deshalb ist es empfehlenswert und zweckmäßig, die
Heimatkunde in dem weitverzweigten Vereinsleben unsrer Tage weiter aus¬
zubauen, namentlich durch Schriften, Vorträge und Sammlungen.

Man kann immer wieder beobachten, daß die Landleute für ihr Dorf und
dessen Geschichte ebenso großes Interesse haben wie die Bürger für ihre Stadt¬
geschichte. Wer jenen von ihren Fluren, den alten Flurnamen, den Ausgrabungen
auf ihren Feldern oder auch von den einstigen Sitten, Festen und Gebräuchen
erzählt, wer es versteht, ihnen über die großen Kriege der frühern Jahrhunderte
mit Beziehung auf ihr Dorf zu berichten oder ihnen die alten Bauarten der
Höfe vorzuführen, wird stets dankbare Zuhörer haben, die dann wohl auch
nachher aus ihren eignen Beobachtungen erzählen und das Vernommene mit
den gegenwärtigen Zuständen vergleichen. Und ebenso liegen die Verhältnisse
in kleinern Städten, wenn man über die ehemaligen Jnnungseinrichtungen,
über die kirchlichen und städtischen Verhältnisse, über die Kirchen und sonstigen
ältern Bauwerke spricht. Oft genug sind die Leute ganz erstaunt über die Fülle
von Altertümern und Sehenswürdigkeiten ihrer Vaterstadt, von denen sie bisher
keine Ahnung gehabt haben. Nun liegt es freilich in der Natur der Sache,
daß sich der Stoff mit der Zeit erschöpft, und man weiter greifen muß zu
Vorträgen, die nur mittelbar mit der Heimat zusammenhängen. Dahin gehört,
um nur ein Beispiel aus der Geschichte anzuführen, ein Vortrag über die
Geschichte der Vertreibung der Salzburger im Jahre 1732. Diese armen Aus¬
wandrer sind damals durch Mitteldeutschland nach dem Norden, namentlich
nach Ostpreußen gezogen, und fast in jedem Kirchenbuche finden sich Auf¬
zeichnungen über die Durchzüge, über die Aufnahme und Bewirtung in den
Ortschaften, die sie berührt haben. Diese Berichte können recht passend in den
Vortrag hineingeflochten werden und machen einen tiefen Eindruck. Ein weiteres
Thema ist der Heimatschutz und die Pflege der Naturdenkmäler, die gerade
jetzt wieder die ihnen zukommende Beachtung finden. Die wenigsten Menschen
kennen ihre heimische Flora, gehen jahrelang an seltnen Bäumen und Pflanzen
vorüber, die sie niemals näher betrachtet haben. Wenn sie aber durch Vorträge
erst einmal darauf hingewiesen werden, kommt auch der Sinn und das Ver¬
ständnis dafür von selbst, falls überhaupt die Anregung auf einigermaßen
fruchtbaren Boden fällt. Auch Vorträge über das Volkslied passen noch in den
Rahmen der Heimatkunde hinein, denn mehr als je sind die alten Lieder
wieder hervorgesucht worden und werden an den Vereinsabenden gesungen.
Das Volkslied wird noch mehr geschätzt werden, wenn erst die neue, kürzlich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/630>, abgerufen am 14.05.2024.