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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Volksbildung und Heimatkunde

erschienene Bearbeitung der 610 Volkslieder noch bekannter geworden ist. Die
Anregung des Kaisers zu diesem großen Werke wird sicherlich gute Früchte
tragen.

Doch schließlich werden sich die Heimatstoffe erschöpfen, und dann erst
sollte man mit Vortrügen allgemeinen Inhalts kommen. Seitdem sich in den
großen Städten Institute gebildet haben, wie das Laubesche Institut Kosmos
in Leipzig, ist an Vorträgen und Vortragenden kein Mangel. Richard Laube
allein bietet in seiner Jubiläumsanzeige 1500 Vorträge aus allen Gebieten
der Naturwissenschaften an und verfügt über 5000 Lichtbilder. Er hat in den
letzten zehn Jahren diese 1500 Vorträge mit Lichtbildern gehalten und ist
bestrebt, neue Vortrüge auszuarbeiten. Gegen diese Art Volksbildung ist gewiß
nichts zu sagen; die Kleinstädter erhalten dadurch Gelegenheit, ihren Bildungs-
kreis zu erweitern und Land und Leute fremder Gegenden und Erdteile an¬
schaulich kennen zu lernen und tiefere Blicke in die Werkstätten der Wissenschaft
zu tun. Bei alledem aber hat diese Vortragsart etwas gewerbsmäßiges an
sich; man geht gewissermaßen mit der Wissenschaft hausieren und hinterläßt
doch meist nur flüchtige Eindrücke bei den Zuhörern, die sich bestenfalls ein
paar Stunden ganz nett mit den Lichtbildern unterhalten haben. Wenn vollends
die Vereinsvorstände der kleinern Städte Anerbietungen im echten Kaufmanns¬
deutsch bekommen: Offeriere Ihnen Herrn Hauptmann N. N. zu einem Vortrage
über . . . zum Preise von ... -- so kann man sich des Eindrucks nicht er¬
wehren, daß es dem Vortragenden ebenso sehr auf das Honorar wie auf die
Hebung der Volksbildung ankommt. Um solche Vortrüge zu hören, müssen die
Vereine immerhin siebzig bis hundert Mark und mehr anwenden. In manchen
Beziehungen mögen die Vorträge recht wirksam sein, wenn zum Beispiel über
unsre Kolonien oder über die Flotte oder die Ostmarkenverhültnisse gesprochen
wird, aber größer ist der Erfolg, wenn Männer der engern oder weitern Heimat,
die bekannt sind, Vortrüge über heimatliche Stoffe halten und aus ihren eignen
Studien, Wanderungen und Anschauungen Mitteilungen macheu.

Ähnlich liegen die Verhältnisse bei der Begründung von kleinern Volks¬
bibliotheken, um die sich die Gesellschaft für Volksbildung große Verdienste
erworben hat. Auch hier sollte man zunächst auf die Zusammenstellung der
Heimatliteratur bedacht sein und solche schaffen, wo sie noch nicht vorhanden
sind. Bücher, wie die herrlichen, den Grenzbotenlesern bekannten Kursüchsischen
Streifzüge von Otto Eduard Schmidt, sollten für alle deutschen Landschaften
geschrieben werden. Es ist freilich nicht jedermanns Sache, solche Wanderungen
in derselben anziehenden, poetischen und doch gründlichen und wissenschaftlichen
Weise, wie es Schmidt versteht, zu schildern; aber gerade an dem Schmidtschen
Stoffe kann man ersehen, was aus Gegenden zu machen ist, die weder landschaftlich
noch geschichtlich besonders hervortreten, vielmehr allgemein recht unbekannt
und unbeachtet waren. Es sind Musterleistungen, wie ehedem die Fontaneschen
Wanderungen in der Provinz Brandenburg, und in bescheidneren Maße lassen


Volksbildung und Heimatkunde

erschienene Bearbeitung der 610 Volkslieder noch bekannter geworden ist. Die
Anregung des Kaisers zu diesem großen Werke wird sicherlich gute Früchte
tragen.

Doch schließlich werden sich die Heimatstoffe erschöpfen, und dann erst
sollte man mit Vortrügen allgemeinen Inhalts kommen. Seitdem sich in den
großen Städten Institute gebildet haben, wie das Laubesche Institut Kosmos
in Leipzig, ist an Vorträgen und Vortragenden kein Mangel. Richard Laube
allein bietet in seiner Jubiläumsanzeige 1500 Vorträge aus allen Gebieten
der Naturwissenschaften an und verfügt über 5000 Lichtbilder. Er hat in den
letzten zehn Jahren diese 1500 Vorträge mit Lichtbildern gehalten und ist
bestrebt, neue Vortrüge auszuarbeiten. Gegen diese Art Volksbildung ist gewiß
nichts zu sagen; die Kleinstädter erhalten dadurch Gelegenheit, ihren Bildungs-
kreis zu erweitern und Land und Leute fremder Gegenden und Erdteile an¬
schaulich kennen zu lernen und tiefere Blicke in die Werkstätten der Wissenschaft
zu tun. Bei alledem aber hat diese Vortragsart etwas gewerbsmäßiges an
sich; man geht gewissermaßen mit der Wissenschaft hausieren und hinterläßt
doch meist nur flüchtige Eindrücke bei den Zuhörern, die sich bestenfalls ein
paar Stunden ganz nett mit den Lichtbildern unterhalten haben. Wenn vollends
die Vereinsvorstände der kleinern Städte Anerbietungen im echten Kaufmanns¬
deutsch bekommen: Offeriere Ihnen Herrn Hauptmann N. N. zu einem Vortrage
über . . . zum Preise von ... — so kann man sich des Eindrucks nicht er¬
wehren, daß es dem Vortragenden ebenso sehr auf das Honorar wie auf die
Hebung der Volksbildung ankommt. Um solche Vortrüge zu hören, müssen die
Vereine immerhin siebzig bis hundert Mark und mehr anwenden. In manchen
Beziehungen mögen die Vorträge recht wirksam sein, wenn zum Beispiel über
unsre Kolonien oder über die Flotte oder die Ostmarkenverhültnisse gesprochen
wird, aber größer ist der Erfolg, wenn Männer der engern oder weitern Heimat,
die bekannt sind, Vortrüge über heimatliche Stoffe halten und aus ihren eignen
Studien, Wanderungen und Anschauungen Mitteilungen macheu.

Ähnlich liegen die Verhältnisse bei der Begründung von kleinern Volks¬
bibliotheken, um die sich die Gesellschaft für Volksbildung große Verdienste
erworben hat. Auch hier sollte man zunächst auf die Zusammenstellung der
Heimatliteratur bedacht sein und solche schaffen, wo sie noch nicht vorhanden
sind. Bücher, wie die herrlichen, den Grenzbotenlesern bekannten Kursüchsischen
Streifzüge von Otto Eduard Schmidt, sollten für alle deutschen Landschaften
geschrieben werden. Es ist freilich nicht jedermanns Sache, solche Wanderungen
in derselben anziehenden, poetischen und doch gründlichen und wissenschaftlichen
Weise, wie es Schmidt versteht, zu schildern; aber gerade an dem Schmidtschen
Stoffe kann man ersehen, was aus Gegenden zu machen ist, die weder landschaftlich
noch geschichtlich besonders hervortreten, vielmehr allgemein recht unbekannt
und unbeachtet waren. Es sind Musterleistungen, wie ehedem die Fontaneschen
Wanderungen in der Provinz Brandenburg, und in bescheidneren Maße lassen


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[0631] Volksbildung und Heimatkunde erschienene Bearbeitung der 610 Volkslieder noch bekannter geworden ist. Die Anregung des Kaisers zu diesem großen Werke wird sicherlich gute Früchte tragen. Doch schließlich werden sich die Heimatstoffe erschöpfen, und dann erst sollte man mit Vortrügen allgemeinen Inhalts kommen. Seitdem sich in den großen Städten Institute gebildet haben, wie das Laubesche Institut Kosmos in Leipzig, ist an Vorträgen und Vortragenden kein Mangel. Richard Laube allein bietet in seiner Jubiläumsanzeige 1500 Vorträge aus allen Gebieten der Naturwissenschaften an und verfügt über 5000 Lichtbilder. Er hat in den letzten zehn Jahren diese 1500 Vorträge mit Lichtbildern gehalten und ist bestrebt, neue Vortrüge auszuarbeiten. Gegen diese Art Volksbildung ist gewiß nichts zu sagen; die Kleinstädter erhalten dadurch Gelegenheit, ihren Bildungs- kreis zu erweitern und Land und Leute fremder Gegenden und Erdteile an¬ schaulich kennen zu lernen und tiefere Blicke in die Werkstätten der Wissenschaft zu tun. Bei alledem aber hat diese Vortragsart etwas gewerbsmäßiges an sich; man geht gewissermaßen mit der Wissenschaft hausieren und hinterläßt doch meist nur flüchtige Eindrücke bei den Zuhörern, die sich bestenfalls ein paar Stunden ganz nett mit den Lichtbildern unterhalten haben. Wenn vollends die Vereinsvorstände der kleinern Städte Anerbietungen im echten Kaufmanns¬ deutsch bekommen: Offeriere Ihnen Herrn Hauptmann N. N. zu einem Vortrage über . . . zum Preise von ... — so kann man sich des Eindrucks nicht er¬ wehren, daß es dem Vortragenden ebenso sehr auf das Honorar wie auf die Hebung der Volksbildung ankommt. Um solche Vortrüge zu hören, müssen die Vereine immerhin siebzig bis hundert Mark und mehr anwenden. In manchen Beziehungen mögen die Vorträge recht wirksam sein, wenn zum Beispiel über unsre Kolonien oder über die Flotte oder die Ostmarkenverhültnisse gesprochen wird, aber größer ist der Erfolg, wenn Männer der engern oder weitern Heimat, die bekannt sind, Vortrüge über heimatliche Stoffe halten und aus ihren eignen Studien, Wanderungen und Anschauungen Mitteilungen macheu. Ähnlich liegen die Verhältnisse bei der Begründung von kleinern Volks¬ bibliotheken, um die sich die Gesellschaft für Volksbildung große Verdienste erworben hat. Auch hier sollte man zunächst auf die Zusammenstellung der Heimatliteratur bedacht sein und solche schaffen, wo sie noch nicht vorhanden sind. Bücher, wie die herrlichen, den Grenzbotenlesern bekannten Kursüchsischen Streifzüge von Otto Eduard Schmidt, sollten für alle deutschen Landschaften geschrieben werden. Es ist freilich nicht jedermanns Sache, solche Wanderungen in derselben anziehenden, poetischen und doch gründlichen und wissenschaftlichen Weise, wie es Schmidt versteht, zu schildern; aber gerade an dem Schmidtschen Stoffe kann man ersehen, was aus Gegenden zu machen ist, die weder landschaftlich noch geschichtlich besonders hervortreten, vielmehr allgemein recht unbekannt und unbeachtet waren. Es sind Musterleistungen, wie ehedem die Fontaneschen Wanderungen in der Provinz Brandenburg, und in bescheidneren Maße lassen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/631>, abgerufen am 28.05.2024.