Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Einquartierung

händigte er ihm ein Paketchen ein, das wie ein Zwillingsbruder des heute Morgen
empfangner aussah. Se hat se vor Vätern gestickt, aber nu sollen Sie se ham.
Se wem uns ja uf de Kermse besuchen, wie S' es dem Alten versprochen ham.
Wenn Sie meine Schwester ooch gefällt, da können Se ja mit er reden.

Es ist erstaunlich, wie feinfühlig Erfahrung den von ihr belehrten bis in die
äußersten Fingerspitzen macht! Emil hatte sofort "durch das Papier durch" die
für die Ewigkeit berechneten Schnallen und die zur Aufnahme von Knopflöchern
dienenden, birnenförmigen, mit dickem Waschleder geränderten und gefütterten Leder¬
flecke des Bautzner Beutlers erkannt. Ein zweites Paar Hosenträger und mit
ihnen ein zweites weibliches Herz! Er fühlte sich sofort als unheilstiftendes Mikrob,
als Erreger eines schon im Reifen begriffnen Konflikts. Beide Schwestern konnte
er doch hier in diesem christlichen Lande nicht heiraten, und er hatte es ja auch
nur auf die eine, die im Augenblick die andre war, abgesehen.

August, sagte er, kannst du's Maul halten?

Ja, das konnte August.

Un willst ooch keenen nich wieder sagen, was ich dir sagen were?

Keeren, ganz wahrhaftig keenen.

Un ooch euer keenen?

Mädels sa ich erscht recht nischt.

Hannchen hat mir heite frieh ooch e Paar geschenkt, un wenn der dumme
Junge nich derzwischen gelatscht gekommen wäre mit seiner Gewerzbichse, wern mer,
gloob ich, eenig geworden. Ich kann doch keene zwee Paar Hosenträger nich brauchen,
und wenn ich die hier annehmen täte, mißte doch deine Schwester glooben, ich
wäre willens.

August hatte das Paketchen wieder an sich genommen. Nach einigem Nach¬
denken sagte er: Ich geb s' er wieder un sag er, Sie hätten se nich nehmen können,
Sie hätten schon eene.

Emil fiel ein, was Robert auf dem Hinwege gesagt hatte: was kein Verstand
der Verständigen sieht. Sicher war das, was August vorschlug, das einzig Richtige,
und wer die war, die er schon hatte, das würde ja Suschen seinerzeit auch
"weise wern".

Se sein ja alle beede meine Schwestern -- hiermit schloß das kleine Vorwerk
die Besprechung des Gegenstandes --, aber wenn ich eene von beeden heiraten
mißte, macht ichs ooch wie Sie.

Sie waren an die Stelle gekommen, wo für Emil der Weg rechts abbog.
Er stieg auf und drückte August die Hand. Ne wahr, waren seine letzten Worte,
ooch von dem andern Paare sagste niemanden nischt niche? Und damit setzte er
seinen Fuchs in Trab und war bald um die Ecke verschwunden.

(Schluß folgt)




Einquartierung

händigte er ihm ein Paketchen ein, das wie ein Zwillingsbruder des heute Morgen
empfangner aussah. Se hat se vor Vätern gestickt, aber nu sollen Sie se ham.
Se wem uns ja uf de Kermse besuchen, wie S' es dem Alten versprochen ham.
Wenn Sie meine Schwester ooch gefällt, da können Se ja mit er reden.

Es ist erstaunlich, wie feinfühlig Erfahrung den von ihr belehrten bis in die
äußersten Fingerspitzen macht! Emil hatte sofort „durch das Papier durch" die
für die Ewigkeit berechneten Schnallen und die zur Aufnahme von Knopflöchern
dienenden, birnenförmigen, mit dickem Waschleder geränderten und gefütterten Leder¬
flecke des Bautzner Beutlers erkannt. Ein zweites Paar Hosenträger und mit
ihnen ein zweites weibliches Herz! Er fühlte sich sofort als unheilstiftendes Mikrob,
als Erreger eines schon im Reifen begriffnen Konflikts. Beide Schwestern konnte
er doch hier in diesem christlichen Lande nicht heiraten, und er hatte es ja auch
nur auf die eine, die im Augenblick die andre war, abgesehen.

August, sagte er, kannst du's Maul halten?

Ja, das konnte August.

Un willst ooch keenen nich wieder sagen, was ich dir sagen were?

Keeren, ganz wahrhaftig keenen.

Un ooch euer keenen?

Mädels sa ich erscht recht nischt.

Hannchen hat mir heite frieh ooch e Paar geschenkt, un wenn der dumme
Junge nich derzwischen gelatscht gekommen wäre mit seiner Gewerzbichse, wern mer,
gloob ich, eenig geworden. Ich kann doch keene zwee Paar Hosenträger nich brauchen,
und wenn ich die hier annehmen täte, mißte doch deine Schwester glooben, ich
wäre willens.

August hatte das Paketchen wieder an sich genommen. Nach einigem Nach¬
denken sagte er: Ich geb s' er wieder un sag er, Sie hätten se nich nehmen können,
Sie hätten schon eene.

Emil fiel ein, was Robert auf dem Hinwege gesagt hatte: was kein Verstand
der Verständigen sieht. Sicher war das, was August vorschlug, das einzig Richtige,
und wer die war, die er schon hatte, das würde ja Suschen seinerzeit auch
„weise wern".

Se sein ja alle beede meine Schwestern — hiermit schloß das kleine Vorwerk
die Besprechung des Gegenstandes —, aber wenn ich eene von beeden heiraten
mißte, macht ichs ooch wie Sie.

Sie waren an die Stelle gekommen, wo für Emil der Weg rechts abbog.
Er stieg auf und drückte August die Hand. Ne wahr, waren seine letzten Worte,
ooch von dem andern Paare sagste niemanden nischt niche? Und damit setzte er
seinen Fuchs in Trab und war bald um die Ecke verschwunden.

(Schluß folgt)




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0646" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/303348"/>
          <fw type="header" place="top"> Einquartierung</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_3227" prev="#ID_3226"> händigte er ihm ein Paketchen ein, das wie ein Zwillingsbruder des heute Morgen<lb/>
empfangner aussah. Se hat se vor Vätern gestickt, aber nu sollen Sie se ham.<lb/>
Se wem uns ja uf de Kermse besuchen, wie S' es dem Alten versprochen ham.<lb/>
Wenn Sie meine Schwester ooch gefällt, da können Se ja mit er reden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3228"> Es ist erstaunlich, wie feinfühlig Erfahrung den von ihr belehrten bis in die<lb/>
äußersten Fingerspitzen macht! Emil hatte sofort &#x201E;durch das Papier durch" die<lb/>
für die Ewigkeit berechneten Schnallen und die zur Aufnahme von Knopflöchern<lb/>
dienenden, birnenförmigen, mit dickem Waschleder geränderten und gefütterten Leder¬<lb/>
flecke des Bautzner Beutlers erkannt. Ein zweites Paar Hosenträger und mit<lb/>
ihnen ein zweites weibliches Herz! Er fühlte sich sofort als unheilstiftendes Mikrob,<lb/>
als Erreger eines schon im Reifen begriffnen Konflikts. Beide Schwestern konnte<lb/>
er doch hier in diesem christlichen Lande nicht heiraten, und er hatte es ja auch<lb/>
nur auf die eine, die im Augenblick die andre war, abgesehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3229"> August, sagte er, kannst du's Maul halten?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3230"> Ja, das konnte August.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3231"> Un willst ooch keenen nich wieder sagen, was ich dir sagen were?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3232"> Keeren, ganz wahrhaftig keenen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3233"> Un ooch euer keenen?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3234"> Mädels sa ich erscht recht nischt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3235"> Hannchen hat mir heite frieh ooch e Paar geschenkt, un wenn der dumme<lb/>
Junge nich derzwischen gelatscht gekommen wäre mit seiner Gewerzbichse, wern mer,<lb/>
gloob ich, eenig geworden. Ich kann doch keene zwee Paar Hosenträger nich brauchen,<lb/>
und wenn ich die hier annehmen täte, mißte doch deine Schwester glooben, ich<lb/>
wäre willens.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3236"> August hatte das Paketchen wieder an sich genommen. Nach einigem Nach¬<lb/>
denken sagte er: Ich geb s' er wieder un sag er, Sie hätten se nich nehmen können,<lb/>
Sie hätten schon eene.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3237"> Emil fiel ein, was Robert auf dem Hinwege gesagt hatte: was kein Verstand<lb/>
der Verständigen sieht. Sicher war das, was August vorschlug, das einzig Richtige,<lb/>
und wer die war, die er schon hatte, das würde ja Suschen seinerzeit auch<lb/>
&#x201E;weise wern".</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3238"> Se sein ja alle beede meine Schwestern &#x2014; hiermit schloß das kleine Vorwerk<lb/>
die Besprechung des Gegenstandes &#x2014;, aber wenn ich eene von beeden heiraten<lb/>
mißte, macht ichs ooch wie Sie.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3239"> Sie waren an die Stelle gekommen, wo für Emil der Weg rechts abbog.<lb/>
Er stieg auf und drückte August die Hand. Ne wahr, waren seine letzten Worte,<lb/>
ooch von dem andern Paare sagste niemanden nischt niche? Und damit setzte er<lb/>
seinen Fuchs in Trab und war bald um die Ecke verschwunden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3240"> (Schluß folgt)</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0646] Einquartierung händigte er ihm ein Paketchen ein, das wie ein Zwillingsbruder des heute Morgen empfangner aussah. Se hat se vor Vätern gestickt, aber nu sollen Sie se ham. Se wem uns ja uf de Kermse besuchen, wie S' es dem Alten versprochen ham. Wenn Sie meine Schwester ooch gefällt, da können Se ja mit er reden. Es ist erstaunlich, wie feinfühlig Erfahrung den von ihr belehrten bis in die äußersten Fingerspitzen macht! Emil hatte sofort „durch das Papier durch" die für die Ewigkeit berechneten Schnallen und die zur Aufnahme von Knopflöchern dienenden, birnenförmigen, mit dickem Waschleder geränderten und gefütterten Leder¬ flecke des Bautzner Beutlers erkannt. Ein zweites Paar Hosenträger und mit ihnen ein zweites weibliches Herz! Er fühlte sich sofort als unheilstiftendes Mikrob, als Erreger eines schon im Reifen begriffnen Konflikts. Beide Schwestern konnte er doch hier in diesem christlichen Lande nicht heiraten, und er hatte es ja auch nur auf die eine, die im Augenblick die andre war, abgesehen. August, sagte er, kannst du's Maul halten? Ja, das konnte August. Un willst ooch keenen nich wieder sagen, was ich dir sagen were? Keeren, ganz wahrhaftig keenen. Un ooch euer keenen? Mädels sa ich erscht recht nischt. Hannchen hat mir heite frieh ooch e Paar geschenkt, un wenn der dumme Junge nich derzwischen gelatscht gekommen wäre mit seiner Gewerzbichse, wern mer, gloob ich, eenig geworden. Ich kann doch keene zwee Paar Hosenträger nich brauchen, und wenn ich die hier annehmen täte, mißte doch deine Schwester glooben, ich wäre willens. August hatte das Paketchen wieder an sich genommen. Nach einigem Nach¬ denken sagte er: Ich geb s' er wieder un sag er, Sie hätten se nich nehmen können, Sie hätten schon eene. Emil fiel ein, was Robert auf dem Hinwege gesagt hatte: was kein Verstand der Verständigen sieht. Sicher war das, was August vorschlug, das einzig Richtige, und wer die war, die er schon hatte, das würde ja Suschen seinerzeit auch „weise wern". Se sein ja alle beede meine Schwestern — hiermit schloß das kleine Vorwerk die Besprechung des Gegenstandes —, aber wenn ich eene von beeden heiraten mißte, macht ichs ooch wie Sie. Sie waren an die Stelle gekommen, wo für Emil der Weg rechts abbog. Er stieg auf und drückte August die Hand. Ne wahr, waren seine letzten Worte, ooch von dem andern Paare sagste niemanden nischt niche? Und damit setzte er seinen Fuchs in Trab und war bald um die Ecke verschwunden. (Schluß folgt)

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/646
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/646>, abgerufen am 14.05.2024.