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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Aufgaben der innern Politik

Arbeitermangel abgeholfen werden kann, unter dem die östliche Landwirtschaft
in einem solchen Maße leidet, daß die schwersten Gefahren daraus entstehn
können. Alle nur erdenklichen Einwendungen werden gemacht, die sämtlich in
dem Satze gipfeln: es geht nicht. Und es geht doch, denn es muß gehn. Der
Beweis dafür ist in einzelnen Fällen auch schon erbracht worden, und von be¬
sondern! Interesse ist es, daß sich unter denen, die auf ihren Besitzungen durchaus
gelungne Ansiedlungsversuche gemacht haben, auch der frühere preußische Land¬
wirtschaftsminister von Podbielski befindet,*) Ähnliche Versuche haben, um nur
einige Beispiele zu nennen, mit Erfolg gemacht ein Herr von Klitzing auf Kolzig
im Kreise Grünberg und besonders der Kreisausschnß des Kreises Briefen. Aber
das sind eben nur Versuche Einzelner. Wirkliche Erfolge hat man auf diesem
Gebiete in dem viel geschmähten Lande Mecklenburg-Schwerin aufzuweisen,
wo man auf den Domcmialgütern des Großherzogs seit dem Jahre 1846
10500 Häuslerstellen neu gegründet hat. Was das bedeutet, wird klar, wenn
man bedenkt, daß man in den sechs östlichen Provinzen 400 000 Häuslerstellen
schaffen müßte, um dem Größenverhältnis entsprechend ähnliches zu leisten, wie
in Mecklenburg-Schwerin geschehen ist. Was auf diesem Gebiete geleistet-werden
kann, wenn der Wille vorhanden ist, das hat auch Dänemark bewiesen. In
vier Jahren hat man dort 1592 ländliche Arbeitsstellen gegründet, und der
Staat stellt jährlich für diesen Zweck drei Millionen Kronen zur Verfügung,
was für den Osten Preußens ungerechnet etwa 25 Millionen Mark jährlich
bedeuten würde. Was Mecklenburg und Dänemark können, muß Preußen auch
können.

Nach der Rede des preußischen Landwirtschaftsministers kann man hoffen,
daß eine Ansiedlungspolitik auch für die bisher vernachlässigten Provinzen
endlich eingeleitet werden wird. Geld wird diese Kolonisation kosten, aber das
darf davon nicht abschrecken. Man ist geneigt, anzunehmen, daß Friedrich
Wilhelm den Ersten und Friedrich den Großen ihre kolonisatorische Tätigkeit
wenig oder nichts gekostet habe, weil damals die Ansprüche auf allen Gebieten
geringer waren. Nach BeHeim-Schwarzbachs Angaben (Kolonisationswerk in
Litauen) kostete Friedrich Wilhelm den Ersten, als er die Vertriebnen Salz¬
burger nach Ostpreußen zog, die Umsetzung jeder Kolonistenfamilie 400 Taler,
eine für jene Zeit und den armen Staat gewiß sehr bedeutende Summe, und
diesen Betrag behielt Friedrich der Große als Norm bei. Die Ausgabe hat
reiche Zinsen getragen, wie heute jedermann anerkennt, und so wird sich jede
Ausgabe lohnen, die auf die Besiedlung des Landes und besonders des Ostens
verwandt wird. Man muß diese Dinge im Zusammenhange betrachten. Eine
große Tageszeitung schrieb kürzlich in ihrem Börsenberichte: Wir sehen ein
Land, das in der Entwicklung seiner wirtschaftlichen Kräfte in einem Maße
fortschreitet, mit dem die Bereitstellung seiner Kapitalmengen nicht mehr gleichen



*) or, E. Stumpfe, Die Seßhastmachung der Landarbeiter. Berlin, Paul Parey, 1906.
Aufgaben der innern Politik

Arbeitermangel abgeholfen werden kann, unter dem die östliche Landwirtschaft
in einem solchen Maße leidet, daß die schwersten Gefahren daraus entstehn
können. Alle nur erdenklichen Einwendungen werden gemacht, die sämtlich in
dem Satze gipfeln: es geht nicht. Und es geht doch, denn es muß gehn. Der
Beweis dafür ist in einzelnen Fällen auch schon erbracht worden, und von be¬
sondern! Interesse ist es, daß sich unter denen, die auf ihren Besitzungen durchaus
gelungne Ansiedlungsversuche gemacht haben, auch der frühere preußische Land¬
wirtschaftsminister von Podbielski befindet,*) Ähnliche Versuche haben, um nur
einige Beispiele zu nennen, mit Erfolg gemacht ein Herr von Klitzing auf Kolzig
im Kreise Grünberg und besonders der Kreisausschnß des Kreises Briefen. Aber
das sind eben nur Versuche Einzelner. Wirkliche Erfolge hat man auf diesem
Gebiete in dem viel geschmähten Lande Mecklenburg-Schwerin aufzuweisen,
wo man auf den Domcmialgütern des Großherzogs seit dem Jahre 1846
10500 Häuslerstellen neu gegründet hat. Was das bedeutet, wird klar, wenn
man bedenkt, daß man in den sechs östlichen Provinzen 400 000 Häuslerstellen
schaffen müßte, um dem Größenverhältnis entsprechend ähnliches zu leisten, wie
in Mecklenburg-Schwerin geschehen ist. Was auf diesem Gebiete geleistet-werden
kann, wenn der Wille vorhanden ist, das hat auch Dänemark bewiesen. In
vier Jahren hat man dort 1592 ländliche Arbeitsstellen gegründet, und der
Staat stellt jährlich für diesen Zweck drei Millionen Kronen zur Verfügung,
was für den Osten Preußens ungerechnet etwa 25 Millionen Mark jährlich
bedeuten würde. Was Mecklenburg und Dänemark können, muß Preußen auch
können.

Nach der Rede des preußischen Landwirtschaftsministers kann man hoffen,
daß eine Ansiedlungspolitik auch für die bisher vernachlässigten Provinzen
endlich eingeleitet werden wird. Geld wird diese Kolonisation kosten, aber das
darf davon nicht abschrecken. Man ist geneigt, anzunehmen, daß Friedrich
Wilhelm den Ersten und Friedrich den Großen ihre kolonisatorische Tätigkeit
wenig oder nichts gekostet habe, weil damals die Ansprüche auf allen Gebieten
geringer waren. Nach BeHeim-Schwarzbachs Angaben (Kolonisationswerk in
Litauen) kostete Friedrich Wilhelm den Ersten, als er die Vertriebnen Salz¬
burger nach Ostpreußen zog, die Umsetzung jeder Kolonistenfamilie 400 Taler,
eine für jene Zeit und den armen Staat gewiß sehr bedeutende Summe, und
diesen Betrag behielt Friedrich der Große als Norm bei. Die Ausgabe hat
reiche Zinsen getragen, wie heute jedermann anerkennt, und so wird sich jede
Ausgabe lohnen, die auf die Besiedlung des Landes und besonders des Ostens
verwandt wird. Man muß diese Dinge im Zusammenhange betrachten. Eine
große Tageszeitung schrieb kürzlich in ihrem Börsenberichte: Wir sehen ein
Land, das in der Entwicklung seiner wirtschaftlichen Kräfte in einem Maße
fortschreitet, mit dem die Bereitstellung seiner Kapitalmengen nicht mehr gleichen



*) or, E. Stumpfe, Die Seßhastmachung der Landarbeiter. Berlin, Paul Parey, 1906.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/671>, abgerufen am 29.05.2024.