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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Flottenfra^en und Iveltpolitik

Erfolg von Tsuschima ging weit über alle Erwartungen der Engländer hinaus.
Die japanische Flotte ist nicht allein nahezu unversehrt aus den Seekämpfen
hervorgegangen, sondern sie hat sich auch noch um die neusten und besten
russischen Schiffe verstärkt. Die Japaner haben nicht weniger als sechs russische
Linienschiffe, zwei Küstenpanzer und drei gepanzerte größere Kreuzer wieder¬
hergestellt und in Dienst genommen. Dieser Zuwachs von elf großen modernen
Schiffen hat die japanische Marine auf einmal zu einer Bedeutung erhoben,
die berechtigte Aufmerksamkeit in den Vereinigten Staaten und in England
erregt hat. Nun hält ja trotzdem die japanische Seestreitmacht gegenüber der
englischen Flotte an sich kaum- einen Vergleich aus, aber das gilt nur im all¬
gemeinen und nicht für die Verhältnisse im fernen Ostasien, wo Japan den
natürlichen Sitz seiner Hilfskräfte hat, während es England große Opfer kostet,
wenn es dort seine Übermacht zur Geltung bringen will. Niemand kann leugnen,
daß sich in Ostasien eine große Machtverschiebung vollzogen hat.

Ganz Europa und die Vereinigten Staaten, also überhaupt die Gebiete
mit europäischer Gesittung, empfinden die Wirkung davon. Schon der Buren¬
krieg, als ein lange Zeit hindurch unentschiedner Kampf Weißer gegen Weiße,
hatte in der schwarzen und der gelben Welt großes Aufsehe" erregt, die ja¬
panischen Siege haben in den Asiaten die Meinung erweckt, daß die Europäer
nicht unbesiegbar sind, und in Indien haben sie geradezu im Sinne einer
asiatischen Renaissance gewirkt. Der russisch-japanische Krieg, von dem gewisse
Leute in Downingstrcet seinerzeit gehofft hatten, er werde durch die Befreiung
vom russischen Alp die britische Herrschaft in Indien sichern, hat eher das
Gegenteil bewirkt. Man hat erst hinterher erkannt, daß gerade die Furcht
vor den Russen den Hindus den englischen Herrn erträglich erscheinen ließ.
Jetzt gilt der siegreiche Japaner den Hindus als der zukünftige Befreier von
der weißen Herrschaft. Unter diesen Umstünden werden sich die englischen
Politiker hüten, japanische Hilfe in einem Kampfe in oder gar um Indien
anzurufen, aber damit hat auch das Bündnis mit Japan, das ohnehin von
den Engländern selbst in sicherm Instinkt mit wenig Sympathie aufgenommen
worden war, seinen Zweck verfehlt. Für England liegen nun seit der neuen
Wendung in Ostasien die Dinge so, daß in Zukunft an Stelle eines unter¬
stützungsbedürftigen und zu Gegenleistungen bereiten Verbündeten eine über
alle Erwartung emporgediehne Seemacht an dem für die englischen Macht¬
mittel am entferntesten liegenden Winkel des Großen Ozeans getreten ist und
allen mit dem Einfluß der Europäer uuzufriednen Asiaten als Vormacht er¬
scheint. Daraus ergibt sich zweierlei: erstens, daß die Interessen aller Länder
mit europäischer Gesittung in Ostasien solidarisch sind, und zum zweiten, daß
England dort am meisten für die Zukunft besorgt sein muß, weil es am
meisten zu verlieren hat. Mit verständnisvoller Zurückhaltung spricht man in
England davon freilich nicht, man erwähnt Japan bei der Flottenfrage mit
keiner Silbe, und es wird das Bündnis mit ihm aufrecht erhalten, solange es


Flottenfra^en und Iveltpolitik

Erfolg von Tsuschima ging weit über alle Erwartungen der Engländer hinaus.
Die japanische Flotte ist nicht allein nahezu unversehrt aus den Seekämpfen
hervorgegangen, sondern sie hat sich auch noch um die neusten und besten
russischen Schiffe verstärkt. Die Japaner haben nicht weniger als sechs russische
Linienschiffe, zwei Küstenpanzer und drei gepanzerte größere Kreuzer wieder¬
hergestellt und in Dienst genommen. Dieser Zuwachs von elf großen modernen
Schiffen hat die japanische Marine auf einmal zu einer Bedeutung erhoben,
die berechtigte Aufmerksamkeit in den Vereinigten Staaten und in England
erregt hat. Nun hält ja trotzdem die japanische Seestreitmacht gegenüber der
englischen Flotte an sich kaum- einen Vergleich aus, aber das gilt nur im all¬
gemeinen und nicht für die Verhältnisse im fernen Ostasien, wo Japan den
natürlichen Sitz seiner Hilfskräfte hat, während es England große Opfer kostet,
wenn es dort seine Übermacht zur Geltung bringen will. Niemand kann leugnen,
daß sich in Ostasien eine große Machtverschiebung vollzogen hat.

Ganz Europa und die Vereinigten Staaten, also überhaupt die Gebiete
mit europäischer Gesittung, empfinden die Wirkung davon. Schon der Buren¬
krieg, als ein lange Zeit hindurch unentschiedner Kampf Weißer gegen Weiße,
hatte in der schwarzen und der gelben Welt großes Aufsehe« erregt, die ja¬
panischen Siege haben in den Asiaten die Meinung erweckt, daß die Europäer
nicht unbesiegbar sind, und in Indien haben sie geradezu im Sinne einer
asiatischen Renaissance gewirkt. Der russisch-japanische Krieg, von dem gewisse
Leute in Downingstrcet seinerzeit gehofft hatten, er werde durch die Befreiung
vom russischen Alp die britische Herrschaft in Indien sichern, hat eher das
Gegenteil bewirkt. Man hat erst hinterher erkannt, daß gerade die Furcht
vor den Russen den Hindus den englischen Herrn erträglich erscheinen ließ.
Jetzt gilt der siegreiche Japaner den Hindus als der zukünftige Befreier von
der weißen Herrschaft. Unter diesen Umstünden werden sich die englischen
Politiker hüten, japanische Hilfe in einem Kampfe in oder gar um Indien
anzurufen, aber damit hat auch das Bündnis mit Japan, das ohnehin von
den Engländern selbst in sicherm Instinkt mit wenig Sympathie aufgenommen
worden war, seinen Zweck verfehlt. Für England liegen nun seit der neuen
Wendung in Ostasien die Dinge so, daß in Zukunft an Stelle eines unter¬
stützungsbedürftigen und zu Gegenleistungen bereiten Verbündeten eine über
alle Erwartung emporgediehne Seemacht an dem für die englischen Macht¬
mittel am entferntesten liegenden Winkel des Großen Ozeans getreten ist und
allen mit dem Einfluß der Europäer uuzufriednen Asiaten als Vormacht er¬
scheint. Daraus ergibt sich zweierlei: erstens, daß die Interessen aller Länder
mit europäischer Gesittung in Ostasien solidarisch sind, und zum zweiten, daß
England dort am meisten für die Zukunft besorgt sein muß, weil es am
meisten zu verlieren hat. Mit verständnisvoller Zurückhaltung spricht man in
England davon freilich nicht, man erwähnt Japan bei der Flottenfrage mit
keiner Silbe, und es wird das Bündnis mit ihm aufrecht erhalten, solange es


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[0012] Flottenfra^en und Iveltpolitik Erfolg von Tsuschima ging weit über alle Erwartungen der Engländer hinaus. Die japanische Flotte ist nicht allein nahezu unversehrt aus den Seekämpfen hervorgegangen, sondern sie hat sich auch noch um die neusten und besten russischen Schiffe verstärkt. Die Japaner haben nicht weniger als sechs russische Linienschiffe, zwei Küstenpanzer und drei gepanzerte größere Kreuzer wieder¬ hergestellt und in Dienst genommen. Dieser Zuwachs von elf großen modernen Schiffen hat die japanische Marine auf einmal zu einer Bedeutung erhoben, die berechtigte Aufmerksamkeit in den Vereinigten Staaten und in England erregt hat. Nun hält ja trotzdem die japanische Seestreitmacht gegenüber der englischen Flotte an sich kaum- einen Vergleich aus, aber das gilt nur im all¬ gemeinen und nicht für die Verhältnisse im fernen Ostasien, wo Japan den natürlichen Sitz seiner Hilfskräfte hat, während es England große Opfer kostet, wenn es dort seine Übermacht zur Geltung bringen will. Niemand kann leugnen, daß sich in Ostasien eine große Machtverschiebung vollzogen hat. Ganz Europa und die Vereinigten Staaten, also überhaupt die Gebiete mit europäischer Gesittung, empfinden die Wirkung davon. Schon der Buren¬ krieg, als ein lange Zeit hindurch unentschiedner Kampf Weißer gegen Weiße, hatte in der schwarzen und der gelben Welt großes Aufsehe« erregt, die ja¬ panischen Siege haben in den Asiaten die Meinung erweckt, daß die Europäer nicht unbesiegbar sind, und in Indien haben sie geradezu im Sinne einer asiatischen Renaissance gewirkt. Der russisch-japanische Krieg, von dem gewisse Leute in Downingstrcet seinerzeit gehofft hatten, er werde durch die Befreiung vom russischen Alp die britische Herrschaft in Indien sichern, hat eher das Gegenteil bewirkt. Man hat erst hinterher erkannt, daß gerade die Furcht vor den Russen den Hindus den englischen Herrn erträglich erscheinen ließ. Jetzt gilt der siegreiche Japaner den Hindus als der zukünftige Befreier von der weißen Herrschaft. Unter diesen Umstünden werden sich die englischen Politiker hüten, japanische Hilfe in einem Kampfe in oder gar um Indien anzurufen, aber damit hat auch das Bündnis mit Japan, das ohnehin von den Engländern selbst in sicherm Instinkt mit wenig Sympathie aufgenommen worden war, seinen Zweck verfehlt. Für England liegen nun seit der neuen Wendung in Ostasien die Dinge so, daß in Zukunft an Stelle eines unter¬ stützungsbedürftigen und zu Gegenleistungen bereiten Verbündeten eine über alle Erwartung emporgediehne Seemacht an dem für die englischen Macht¬ mittel am entferntesten liegenden Winkel des Großen Ozeans getreten ist und allen mit dem Einfluß der Europäer uuzufriednen Asiaten als Vormacht er¬ scheint. Daraus ergibt sich zweierlei: erstens, daß die Interessen aller Länder mit europäischer Gesittung in Ostasien solidarisch sind, und zum zweiten, daß England dort am meisten für die Zukunft besorgt sein muß, weil es am meisten zu verlieren hat. Mit verständnisvoller Zurückhaltung spricht man in England davon freilich nicht, man erwähnt Japan bei der Flottenfrage mit keiner Silbe, und es wird das Bündnis mit ihm aufrecht erhalten, solange es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/12>, abgerufen am 22.05.2024.