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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Flottenfragen und UX'ltpolitik

geht, aber man richtet stillschweigend Singapore zu einem großen Flotten¬
stützpunkt her. Bei uns würde man einen großen Zeitungslärm gegen Bülow,
den Kaiser und wer weiß gegen wen sonst noch erheben, weil sie Japan hätten
zu groß werden lassen, in England sucht man gerade die Aufmerksamkeit davon
abzulenken, hat gar nichts dagegen, daß die minder urteilsfähigen einstweilen
mit der vermeintlichen Furcht vor Deutschland beschäftigt werden, dem man
gar nichts tun will, und von dem man auch nichts zu befürchten hat, aber
man sieht sich für die Zukunft vor.

England sieht seine Machtstellung in Ostasien durch Japan schon mehr
gefährdet als durch Rußland, mit dem es darum unter geschickter Benutzung
der Zeitverhältnisse ein Abkommen getroffen hat. Die Geflissentlichkeit, mit
der die immer patriotisch klug handelnde englische Presse diese Auffassung in
Abrede stellt oder totschweigt, spricht eher für die Richtigkeit. Zu welchem
Zwecke sonst ließe denn England die Dreadnoughts und riesigen Kreuzer in
fieberhafter Eile bauen, wenn nicht für die in Zukunft möglichen Entscheidungs¬
kampfe im Großen Ozean? Gegen das verbündete Frankreich und gegen
Deutschland, das immer vorgeschützt wird, braucht das britische Reich diese
beschleunigte Erneuerung und Erweiterung seiner Flotte nicht, denn es ist
beiden zur See überlegen und hat bei der heutigen Stimmung einen gemein¬
samen Angriff von ihnen gar nicht zu fürchten. Mit den Vereinigten Staaten
besteht keine Streitfrage und wird auch auf lange Zeit hinaus keine bestehn.
Die englischen Flottenbauten können sich bloß gegen den bisherigen guten
Freund in Ostasien richten, der unter Umstünden leicht zum Feinde werden
kann und so schwer zu erreichen ist. Nur eine stark überlegne Seemacht bietet
die Gewähr dafür, daß diese Wendung nicht eintritt, und das wird um so
sichrer erreicht, je früher die britische Flotte aus lauter Schiffen erster Klasse
besteht, bei denen in den modernen Seeschlachten die Entscheidung ruht. In
dem seekundigen England begreift jedermann den Ernst der neuen Lage, denn
Briten sind sie doch alle, einerlei ob sie sich Tories oder Whigs, konservativ
oder liberal nennen. Auf der Herrschaft zur See bestehn sie alle, und wer
sie darin beeinträchtigt, ist ihr Feind, wenn sie ihn auch aus Klugheit nicht
immer offen dafür erklären. Früher stellte man sich dabei auf den "Zwei¬
mächte-Standard", nach dem die englische Flotte so stark erhalten werden
müsse, daß sie zwei Mächten (Frankreich und Nußland) mindestens gewachsen
sei. Jetzt ist Rußland auf längere Zeit als Flottenmacht ausgeschieden, und
die französische Flotte fällt nach ihrer dermaligen Verfassung kaum ins Ge¬
wicht. Aber im Großen Ozean haben sich zwei Mächte aufgetan, die wenigstens
die Teilnahme am "Kommando zur See", wie Lord Tweedmouth am 17. April
1907 die Suprematie Englands auf den Meeren nannte, beanspruchen. Japan
ist durch das Bündnis vorläufig an die Hand genommen worden, aber die
Union hat auch plötzlich die Anwandlung bekommen, durch die demonstrative
Fahrt einer starken Flotte im Großen Ozean zu bekunden, daß sie die Rechte


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geht, aber man richtet stillschweigend Singapore zu einem großen Flotten¬
stützpunkt her. Bei uns würde man einen großen Zeitungslärm gegen Bülow,
den Kaiser und wer weiß gegen wen sonst noch erheben, weil sie Japan hätten
zu groß werden lassen, in England sucht man gerade die Aufmerksamkeit davon
abzulenken, hat gar nichts dagegen, daß die minder urteilsfähigen einstweilen
mit der vermeintlichen Furcht vor Deutschland beschäftigt werden, dem man
gar nichts tun will, und von dem man auch nichts zu befürchten hat, aber
man sieht sich für die Zukunft vor.

England sieht seine Machtstellung in Ostasien durch Japan schon mehr
gefährdet als durch Rußland, mit dem es darum unter geschickter Benutzung
der Zeitverhältnisse ein Abkommen getroffen hat. Die Geflissentlichkeit, mit
der die immer patriotisch klug handelnde englische Presse diese Auffassung in
Abrede stellt oder totschweigt, spricht eher für die Richtigkeit. Zu welchem
Zwecke sonst ließe denn England die Dreadnoughts und riesigen Kreuzer in
fieberhafter Eile bauen, wenn nicht für die in Zukunft möglichen Entscheidungs¬
kampfe im Großen Ozean? Gegen das verbündete Frankreich und gegen
Deutschland, das immer vorgeschützt wird, braucht das britische Reich diese
beschleunigte Erneuerung und Erweiterung seiner Flotte nicht, denn es ist
beiden zur See überlegen und hat bei der heutigen Stimmung einen gemein¬
samen Angriff von ihnen gar nicht zu fürchten. Mit den Vereinigten Staaten
besteht keine Streitfrage und wird auch auf lange Zeit hinaus keine bestehn.
Die englischen Flottenbauten können sich bloß gegen den bisherigen guten
Freund in Ostasien richten, der unter Umstünden leicht zum Feinde werden
kann und so schwer zu erreichen ist. Nur eine stark überlegne Seemacht bietet
die Gewähr dafür, daß diese Wendung nicht eintritt, und das wird um so
sichrer erreicht, je früher die britische Flotte aus lauter Schiffen erster Klasse
besteht, bei denen in den modernen Seeschlachten die Entscheidung ruht. In
dem seekundigen England begreift jedermann den Ernst der neuen Lage, denn
Briten sind sie doch alle, einerlei ob sie sich Tories oder Whigs, konservativ
oder liberal nennen. Auf der Herrschaft zur See bestehn sie alle, und wer
sie darin beeinträchtigt, ist ihr Feind, wenn sie ihn auch aus Klugheit nicht
immer offen dafür erklären. Früher stellte man sich dabei auf den „Zwei¬
mächte-Standard", nach dem die englische Flotte so stark erhalten werden
müsse, daß sie zwei Mächten (Frankreich und Nußland) mindestens gewachsen
sei. Jetzt ist Rußland auf längere Zeit als Flottenmacht ausgeschieden, und
die französische Flotte fällt nach ihrer dermaligen Verfassung kaum ins Ge¬
wicht. Aber im Großen Ozean haben sich zwei Mächte aufgetan, die wenigstens
die Teilnahme am „Kommando zur See", wie Lord Tweedmouth am 17. April
1907 die Suprematie Englands auf den Meeren nannte, beanspruchen. Japan
ist durch das Bündnis vorläufig an die Hand genommen worden, aber die
Union hat auch plötzlich die Anwandlung bekommen, durch die demonstrative
Fahrt einer starken Flotte im Großen Ozean zu bekunden, daß sie die Rechte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/13>, abgerufen am 22.05.2024.