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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Das Emporkommen Lonapartes

stehn in wenigen Tagen und Wochen zwei Millionen kriegsgeübte Männer,
Linie, Reserve und Landwehr, wohlgeordnet im Armeekorps mit allen Offizieren
und Unteroffizieren vollständig kriegsmäßig ausgerüstet bereit, des Einfalls
gewärtig, und selbst der älteste Kriegsdampfer, der noch zu irgendeinem Zweck
brauchbar ist, findet ausreichende Besatzung. Dieses Volk in Waffen wird
niemand angreifen; das weiß man in Deutschland, und darum bleibt man
ruhig. Dieselbe "kanonische Ruhe" könnte sich England noch leichter ver¬
schaffen und dabei doch, dank seiner insularen Lage, die Hauptkraft zum Schutz
feiner Seeinteresseu auf die Flotte verwenden, deren heutiges Übergewicht damit
d -y- auernd gesichert würde.




Das Emporkommen Vonapartes
Gottlob Lzelhaaf von

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5^ir haben im Jahrgang 1903 der Grenzboten Band II den ersten
Band des Werkes des Grafen Albert Vcmdal l'^vvnoment. <lo
^ IZonApg.re><z besprochen, der die Geschichte des Staatsstreichs vom
18. Brumaire enthielt; es sei uns heute gestattet, über den 1907
I erschienenen zweiten Band kurz zu berichten.

Im allgemeinen gilt von ihm dasselbe, was vom ersten Bande gesagt
werden konnte: er ist ein Meisterwerk der Geschichtschreibung nach Form und
Inhalt, klar, fesselnd, anschaulich, und er ist aus einem tiefen, weithin ver¬
zweigten Studium der gedruckten wie der ungedruckten Quellen erwachsen.

Als sich Bonaparte am 25. Dezember 1799 unter Vorwegnahme des noch
nicht abgeschlossenen ganzen Ergebnisses der Volksabstimmung zum ersten
Konsul proklamierte, zahlte er dreißig Jahre und vier Monate. Seine durch¬
furchten Züge und sein verfallner Gesichtsausdruck gaben keine Andeutung
seines Alters. Seine nicht ganz mittelgroße Gestalt bog sich ein wenig; sein
Leib war von der äußersten Magerkeit. Er hatte ein langes Gesicht, eine weite
Stirn unter buschigen Haaren, hohle Schläfe, außerordentliche Augen, wunder¬
bar unter der Wölbung der Brauen gelagert, voll von Gedanken und Blitzen,
einen schön gezeichneten Mund, eingefallne Wangen und ein dünnes Kinn.
Wenn er bezaubern und gewinnen wollte, so erhellte ein Lächeln von einzig¬
artiger Anmut sein strenges Gesicht. Seine bald gelbe, bald graue Gesichts¬
farbe mißfiel den Leuten sehr. Sein Wort war bilderreich und ungekünstelt,
überquellend an eigenartigen Einfällen und an Ausdrücken, die den Stempel
des Heroischen trugen. Man sah ihn öfter stehn oder gehn als sitzen. Er
hatte ein lebendiges, bewegtes Gebärdenspiel, das manchmal etwas Stoßartiges
hatte; oft hob sich seine rechte Schulter durch eine unfreiwillige Bewegung,
ein Zeichen seiner Erregtheit. Er sorgte für seine Person, zeigte aber in


Grenzboten IV 1908 2
Das Emporkommen Lonapartes

stehn in wenigen Tagen und Wochen zwei Millionen kriegsgeübte Männer,
Linie, Reserve und Landwehr, wohlgeordnet im Armeekorps mit allen Offizieren
und Unteroffizieren vollständig kriegsmäßig ausgerüstet bereit, des Einfalls
gewärtig, und selbst der älteste Kriegsdampfer, der noch zu irgendeinem Zweck
brauchbar ist, findet ausreichende Besatzung. Dieses Volk in Waffen wird
niemand angreifen; das weiß man in Deutschland, und darum bleibt man
ruhig. Dieselbe „kanonische Ruhe" könnte sich England noch leichter ver¬
schaffen und dabei doch, dank seiner insularen Lage, die Hauptkraft zum Schutz
feiner Seeinteresseu auf die Flotte verwenden, deren heutiges Übergewicht damit
d -y- auernd gesichert würde.




Das Emporkommen Vonapartes
Gottlob Lzelhaaf von

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5^ir haben im Jahrgang 1903 der Grenzboten Band II den ersten
Band des Werkes des Grafen Albert Vcmdal l'^vvnoment. <lo
^ IZonApg.re><z besprochen, der die Geschichte des Staatsstreichs vom
18. Brumaire enthielt; es sei uns heute gestattet, über den 1907
I erschienenen zweiten Band kurz zu berichten.

Im allgemeinen gilt von ihm dasselbe, was vom ersten Bande gesagt
werden konnte: er ist ein Meisterwerk der Geschichtschreibung nach Form und
Inhalt, klar, fesselnd, anschaulich, und er ist aus einem tiefen, weithin ver¬
zweigten Studium der gedruckten wie der ungedruckten Quellen erwachsen.

Als sich Bonaparte am 25. Dezember 1799 unter Vorwegnahme des noch
nicht abgeschlossenen ganzen Ergebnisses der Volksabstimmung zum ersten
Konsul proklamierte, zahlte er dreißig Jahre und vier Monate. Seine durch¬
furchten Züge und sein verfallner Gesichtsausdruck gaben keine Andeutung
seines Alters. Seine nicht ganz mittelgroße Gestalt bog sich ein wenig; sein
Leib war von der äußersten Magerkeit. Er hatte ein langes Gesicht, eine weite
Stirn unter buschigen Haaren, hohle Schläfe, außerordentliche Augen, wunder¬
bar unter der Wölbung der Brauen gelagert, voll von Gedanken und Blitzen,
einen schön gezeichneten Mund, eingefallne Wangen und ein dünnes Kinn.
Wenn er bezaubern und gewinnen wollte, so erhellte ein Lächeln von einzig¬
artiger Anmut sein strenges Gesicht. Seine bald gelbe, bald graue Gesichts¬
farbe mißfiel den Leuten sehr. Sein Wort war bilderreich und ungekünstelt,
überquellend an eigenartigen Einfällen und an Ausdrücken, die den Stempel
des Heroischen trugen. Man sah ihn öfter stehn oder gehn als sitzen. Er
hatte ein lebendiges, bewegtes Gebärdenspiel, das manchmal etwas Stoßartiges
hatte; oft hob sich seine rechte Schulter durch eine unfreiwillige Bewegung,
ein Zeichen seiner Erregtheit. Er sorgte für seine Person, zeigte aber in


Grenzboten IV 1908 2
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/17>, abgerufen am 22.05.2024.