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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Das Emporkommen Bonapartes

seinem Anzug die äußerste Nachlässigkeit, legte noch den bürgerlichen Rock
an und trug gewöhnlich einen olivenfarbigen, ziemlich abgenützten Frack. Um
auszugehn, legte er einen grauen Überzieher an, dessen Aufschläge er fröstelnd
über seiner Brust zusammenschlug. Die Frauen der alten Gesellschaft fanden
ihn äußerst häßlich. Die Masse der Pariser aber interessierte sich von der
ganzen Regierung nur für ihn, und bis in die Winkel der Provinzen nannte
man ihn mit einer zärtlichen oder abgefeimten Vertraulichkeit den kleinen Kor¬
poral, 1s xetit e,g,xor"1. Die Menschen, die ihm nahe kamen, fühlten sich
einem Phänomen von geistiger Kraft und von eisernem Willen gegenüber.

Die erste Aufgabe Bonapartes war, mit den Royalisten fertig zu werden,
die dank der Schwäche des Direktoriums den 1796 von Hoche beruhigten
Westen aufs neue zur Erhebung vermocht hatten und darauf rechneten, auch
den Süden unter die Waffen zu bringen. Ehe er den Rücken frei hatte, konnte
der erste Konsul nicht daran denken, die Engländer und die Österreicher zu
Paaren zu treiben. Er war von Anfang an entschlossen, sich mit keiner Partei
zusammenwerfen zulassen; "ich werde nie die Farben einer Partei annehmen":
er wollte nur und stets ganz Frankreich im Auge haben. Insofern konnte
Cambaceres sagen, er habe damals keinen Hintergedanken merken lassen und
nichts sein wollen als das Oberhaupt einer meisterlich geordneten Republik,
das heißt einer Republik, wie sie sich die Arbeiter und Soldaten dachten, eines
Frankreichs ohne König, siegreich über die Könige, stark regiert, sich für frei
haltend, weil es das Wort Freiheit im Munde führte, den Schrecken seiner
Waffen und die Herrschaft seiner Gesetze überall hintragend, die alten Mächte
Europas zwingend, sich vor der überlegnen Nation zu demütigen. Mit den
Royalisten hat Napoleon verhandelt; aber ihre Bevollmächtigten forderten
Dinge, die aus dem Westen eine Nation für sich gemacht hätten, volle
Freiheit der Religion, Erlassung der rückständigen Steuern, Befreiung von
jeder militärischen Aushebung. Ein "Weißes Frankreich" sollte neben dem der
dreifarbigen Fahne stehn. Wenn sich Napoleon auf diese Forderungen einließ,
so war ihnen das ein Zeichen, daß er wankte, daß er eine Wiedereinsetzung der
Vertriebnen Königsfamilie zugeben oder gleich Mont selbst durchführen werde. In
diesem Sinne sagte der hartnäckigste und gescheiteste der realistischen Führer, der
Graf Frotte: "Wenn alle unsre Artikel angenommen werden, so will man uns
wohl; andernfalls Kampf!" Napoleon hat selbst mit einigen rohalistischen
Führern eine Unterredung gehabt; sie verlief aber ohne Ergebnis. Indem er
nun den Krieg mit erneuter Kraft führte und zugleich mit scharfem Blick er¬
kannte, daß im Westen die Führer wohl Royalisten, die Massen aber vor allem
katholisch waren, und demgemäß religiöse Duldsamkeit walten ließ und den
Gemeinden ihre Kirchen und Priester zurückgab, unter der Bedingung, daß sie
der Verfassung Treue gelobten, gelang es ihm, die Empörer allmählich zur
Unterwerfung zu bringen. Von größtem Wert war es hier, daß das Depar¬
tement der Vendee, mit dessen Namen man damals wohl den ganzen für


Das Emporkommen Bonapartes

seinem Anzug die äußerste Nachlässigkeit, legte noch den bürgerlichen Rock
an und trug gewöhnlich einen olivenfarbigen, ziemlich abgenützten Frack. Um
auszugehn, legte er einen grauen Überzieher an, dessen Aufschläge er fröstelnd
über seiner Brust zusammenschlug. Die Frauen der alten Gesellschaft fanden
ihn äußerst häßlich. Die Masse der Pariser aber interessierte sich von der
ganzen Regierung nur für ihn, und bis in die Winkel der Provinzen nannte
man ihn mit einer zärtlichen oder abgefeimten Vertraulichkeit den kleinen Kor¬
poral, 1s xetit e,g,xor»1. Die Menschen, die ihm nahe kamen, fühlten sich
einem Phänomen von geistiger Kraft und von eisernem Willen gegenüber.

Die erste Aufgabe Bonapartes war, mit den Royalisten fertig zu werden,
die dank der Schwäche des Direktoriums den 1796 von Hoche beruhigten
Westen aufs neue zur Erhebung vermocht hatten und darauf rechneten, auch
den Süden unter die Waffen zu bringen. Ehe er den Rücken frei hatte, konnte
der erste Konsul nicht daran denken, die Engländer und die Österreicher zu
Paaren zu treiben. Er war von Anfang an entschlossen, sich mit keiner Partei
zusammenwerfen zulassen; „ich werde nie die Farben einer Partei annehmen":
er wollte nur und stets ganz Frankreich im Auge haben. Insofern konnte
Cambaceres sagen, er habe damals keinen Hintergedanken merken lassen und
nichts sein wollen als das Oberhaupt einer meisterlich geordneten Republik,
das heißt einer Republik, wie sie sich die Arbeiter und Soldaten dachten, eines
Frankreichs ohne König, siegreich über die Könige, stark regiert, sich für frei
haltend, weil es das Wort Freiheit im Munde führte, den Schrecken seiner
Waffen und die Herrschaft seiner Gesetze überall hintragend, die alten Mächte
Europas zwingend, sich vor der überlegnen Nation zu demütigen. Mit den
Royalisten hat Napoleon verhandelt; aber ihre Bevollmächtigten forderten
Dinge, die aus dem Westen eine Nation für sich gemacht hätten, volle
Freiheit der Religion, Erlassung der rückständigen Steuern, Befreiung von
jeder militärischen Aushebung. Ein „Weißes Frankreich" sollte neben dem der
dreifarbigen Fahne stehn. Wenn sich Napoleon auf diese Forderungen einließ,
so war ihnen das ein Zeichen, daß er wankte, daß er eine Wiedereinsetzung der
Vertriebnen Königsfamilie zugeben oder gleich Mont selbst durchführen werde. In
diesem Sinne sagte der hartnäckigste und gescheiteste der realistischen Führer, der
Graf Frotte: „Wenn alle unsre Artikel angenommen werden, so will man uns
wohl; andernfalls Kampf!" Napoleon hat selbst mit einigen rohalistischen
Führern eine Unterredung gehabt; sie verlief aber ohne Ergebnis. Indem er
nun den Krieg mit erneuter Kraft führte und zugleich mit scharfem Blick er¬
kannte, daß im Westen die Führer wohl Royalisten, die Massen aber vor allem
katholisch waren, und demgemäß religiöse Duldsamkeit walten ließ und den
Gemeinden ihre Kirchen und Priester zurückgab, unter der Bedingung, daß sie
der Verfassung Treue gelobten, gelang es ihm, die Empörer allmählich zur
Unterwerfung zu bringen. Von größtem Wert war es hier, daß das Depar¬
tement der Vendee, mit dessen Namen man damals wohl den ganzen für


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/18>, abgerufen am 22.05.2024.