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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Das Wesen der Freimaurerei

sind im Grunde Vertreter der eben geschilderten Denk- und Willensrichtung,
sie bezwecken also -- un? es kurz zusammenzufassen -- ihren letzten Zielen
nach eine in der Pflege des Menschentums, des sittlichen Verlangens der
Menschennatur wurzelnde freiheitliche Erziehung, die mit Hilfe unermüdlicher,
unbegrenzter Aufklärung die Menschen zur wahrhaft förderlichen Behandlung
ihrer eignen Persönlichkeit, aber auch aller andern ihrem Einflüsse unterliegenden
Bausteine der menschlichen Gesellschaft heranbildet. Die freimaurerische Ethik
als Vertreterin des Humanitütsgedankens strebt dahin, den Individuen die
Wege zu weisen, auf denen sie durch ihre Selbsterziehung und ihre Mitmenschen¬
behandlung den Wert des Volkslebens zu erhöhen, das heißt zur Entwicklung
eines Lebenszustandes beizutragen haben, der dem Wachstum der innern Wohl¬
fahrt, des gesunden Innenlebens aller am dienlichsten ist. Das humanitäre
Ideal freiheitlicher Kulturveredlung, pflichtmäßiger, einsichtsvoller Mitwirkung
am Aufbau einer wahrhaft wertvollen und wohltuender Lebensgemeinschaft im
Geistesleben der Gesamtheit zur Herrschaft zu bringen, die intelligente, frei¬
willige Sorge für ein den realen Verhältnissen und Anforderungen des Gegen¬
wartslebens gerecht werdendes "Hilligenlei" in möglichst hohem Maße zum
Leitmotiv unsrer gesamten Lebensführung zu machen, das ist das wichtigste
Ziel des Freimcmrertums.- Das hierauf gerichtete Bestreben ist -- nebenbei
bemerkt -- an sich nicht kirchenfeindlich; es geht nur von dem Gedanken aus,
daß um der Menschheit willen pflichtgemäß darauf hingewirkt werden muß,
die Dogmcnherrschaft durch die Pflege des Menschentums und seiner geistigen
Entwicklungsbedingungen mehr und mehr entbehrlich zu machen. Dieser
Humanitätsglaube ist einst sogar unter den katholischen Klerikern so lebendig
gewesen, daß zahlreiche, zum Teil hochstehende "Brüder" aus diesen Kreisen
dem Freimaurertum angehörten. Eben jene ganze humanitäre Auffassung
von der an das eigne religiöse Erleben appellierenden, nach Licht und Freiheit
trachtenden Erziehung aller Menschen zum Idealismus der Tat, zur täglichen
praktischen Arbeit am Menschheitsfortschritt, an der Gesunderhaltung und Ver¬
vollkommnung des Gemeinlebens ist es auch gewesen, die unsre Dichterfürsten
und andre an einen sittlich gegründeten Kulturfortschritt glaubende Denker zum
Maurertum hingezogen hat. Nicht das Logenwesen, sondern der freimaurerische
Erziehungsgedanke hat diese Anziehungskraft bewährt.

Die Loge ist an sich dazu bestimmt, für die Pflege, Verbreitung und
Verwirklichung des geschilderten Humanitütsgedankens zu sorgen. Dabei liegt
es ihr ob, durch Anregung zur Jnnenschau, zur "Selbsterkenntnis" und durch
sorgfältige Aufklärung über die zur zeit- und sachgemäßen individuellen Kultur¬
arbeit erforderliche Lebenstechnik auch an ihren eignen Mitgliedern jene Hu-
manitütserziehung zu vollführen, durch die sie zu tüchtigen "Arbeitern am
Menschheitsbau", zu Förderern wahren Wohlfahrtsfvrtschritts, zur Vervoll¬
kommnung des engern und weitern Gemeinschaftslebens herangebildet werden.
Bei dieser Erziehung der "Brüder" bedienen sich die Logen unter anderen von


Das Wesen der Freimaurerei

sind im Grunde Vertreter der eben geschilderten Denk- und Willensrichtung,
sie bezwecken also — un? es kurz zusammenzufassen — ihren letzten Zielen
nach eine in der Pflege des Menschentums, des sittlichen Verlangens der
Menschennatur wurzelnde freiheitliche Erziehung, die mit Hilfe unermüdlicher,
unbegrenzter Aufklärung die Menschen zur wahrhaft förderlichen Behandlung
ihrer eignen Persönlichkeit, aber auch aller andern ihrem Einflüsse unterliegenden
Bausteine der menschlichen Gesellschaft heranbildet. Die freimaurerische Ethik
als Vertreterin des Humanitütsgedankens strebt dahin, den Individuen die
Wege zu weisen, auf denen sie durch ihre Selbsterziehung und ihre Mitmenschen¬
behandlung den Wert des Volkslebens zu erhöhen, das heißt zur Entwicklung
eines Lebenszustandes beizutragen haben, der dem Wachstum der innern Wohl¬
fahrt, des gesunden Innenlebens aller am dienlichsten ist. Das humanitäre
Ideal freiheitlicher Kulturveredlung, pflichtmäßiger, einsichtsvoller Mitwirkung
am Aufbau einer wahrhaft wertvollen und wohltuender Lebensgemeinschaft im
Geistesleben der Gesamtheit zur Herrschaft zu bringen, die intelligente, frei¬
willige Sorge für ein den realen Verhältnissen und Anforderungen des Gegen¬
wartslebens gerecht werdendes „Hilligenlei" in möglichst hohem Maße zum
Leitmotiv unsrer gesamten Lebensführung zu machen, das ist das wichtigste
Ziel des Freimcmrertums.- Das hierauf gerichtete Bestreben ist — nebenbei
bemerkt — an sich nicht kirchenfeindlich; es geht nur von dem Gedanken aus,
daß um der Menschheit willen pflichtgemäß darauf hingewirkt werden muß,
die Dogmcnherrschaft durch die Pflege des Menschentums und seiner geistigen
Entwicklungsbedingungen mehr und mehr entbehrlich zu machen. Dieser
Humanitätsglaube ist einst sogar unter den katholischen Klerikern so lebendig
gewesen, daß zahlreiche, zum Teil hochstehende „Brüder" aus diesen Kreisen
dem Freimaurertum angehörten. Eben jene ganze humanitäre Auffassung
von der an das eigne religiöse Erleben appellierenden, nach Licht und Freiheit
trachtenden Erziehung aller Menschen zum Idealismus der Tat, zur täglichen
praktischen Arbeit am Menschheitsfortschritt, an der Gesunderhaltung und Ver¬
vollkommnung des Gemeinlebens ist es auch gewesen, die unsre Dichterfürsten
und andre an einen sittlich gegründeten Kulturfortschritt glaubende Denker zum
Maurertum hingezogen hat. Nicht das Logenwesen, sondern der freimaurerische
Erziehungsgedanke hat diese Anziehungskraft bewährt.

Die Loge ist an sich dazu bestimmt, für die Pflege, Verbreitung und
Verwirklichung des geschilderten Humanitütsgedankens zu sorgen. Dabei liegt
es ihr ob, durch Anregung zur Jnnenschau, zur „Selbsterkenntnis" und durch
sorgfältige Aufklärung über die zur zeit- und sachgemäßen individuellen Kultur¬
arbeit erforderliche Lebenstechnik auch an ihren eignen Mitgliedern jene Hu-
manitütserziehung zu vollführen, durch die sie zu tüchtigen „Arbeitern am
Menschheitsbau", zu Förderern wahren Wohlfahrtsfvrtschritts, zur Vervoll¬
kommnung des engern und weitern Gemeinschaftslebens herangebildet werden.
Bei dieser Erziehung der „Brüder" bedienen sich die Logen unter anderen von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/36>, abgerufen am 22.05.2024.