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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Fehler und Unzulänglichkeiten, die ihr selbst anhafteten, mehr als die unge¬
duldige Eigenwilligkeit ihres fürstliche" Schutzherrn, der kühnlich den Aus¬
spruch tat: "Ich, der König, bin die Kunst von München""), schadeten der
kaum ins Leben gerufnen neuen Münchner Kunst heimliche Feinde im eignen
Lager. Cornelius mußte es erleben, daß er wie ein auf Verrat ertappter
Günstling von seinem hohen Freunde verstoßen wurde; und wo er nun seine
Wirksamkeit fortsetzte, in der preußischen Hauptstadt, blieb er ein Fremder.
Als ob es schon zu lange gedauert hätte, daß sich die deutsche Kunst nnter
seiner kraftvollen Führung in "euerwachtem nationalem Stolz unabhängig
von den Einflüssen der lebenden Kunst des Auslandes gehalten hatte, erlag
Deutschlands öffentliche Meinung widerstandslos einem raschen Ansturme des
Auslandes, als im Jahre 1842 die sogenannten ..Belgischen Bilder" der Maler
Gallait und de Biefve. Gallaits Abdankung Karls des Fünften und Biefves
Kompromiß des niederländischen Adels zur Abwehr der Inquisition, dem
staunenden Publikum vorgeführt wurden. Die ausländischen Bilder entfesselten
nicht ohne Mitwirkung politischer Stimmungen bei Kennern und Laien den
lebhaftesten Beifall. Cornelius war uicht so einseitig, daß ihm für jede von
seinem Stile abweichende fremde Knnsttütigteit Verständnis und gerechtes
Urteil gefehlt Hütten; aber als nun an seinem neuen Wohnorte in einer
Sitzung des Wissenschaftlicher Kunstvereins der als Gast geladne Biefve in
einem französischen Vortrage gefeiert und dem Ausländer Worte zu hören
gegeben wurden, die einer Herabsetzung der dentschen Kunst gleichkamen und
eine der deutscheu Nation selbst zugefügte Kränkung bedeuteten, gab er seiner
Entrüstung unzweideutigen Ausdruck. Das änderte jedoch nichts an der Tat¬
sache: die Kunst des Auslandes hatte ans deutschem Boden einen leichten,
aber vollkonunnen Sieg davongetragen, die Cornelianische Richtung eine
Niederlage erlitten. Wenn früher strebsame deutsche Künstler, die ihre Fähig¬
keiten bis zum höchsten möglichen Maße zu steigern sich vorsetzten, nach Rom
und Italien gepilgert waren, so wurde jetzt die Losung: Nach Antwerpen und
Paris! Mau hatte entdeckt, daß Italien mit seinen Kunstaltertümcrn und
seiner südlichen Natur in Land und Leuten das Grab künstlerischer Eigenart
des Deutschen sei, nicht aber die Meisterateliers französischer und belgischer
lebender Maler. Wilhelm Kaulbach durfte in seinen berüchtigten Pinakothek¬
fresken unter König Ludwigs Augen Cornelius und seine Mitarbeiter öffent¬
lich beleidigen, die sittliche Grundlage der deutschen Kunst schmählich ver¬
höhnen; Wilhelm Schadow in seinem modernen Vasari durfte verkünden,
daß das München des Königs Ludwig ein Treibhaus der Kunst gewesen
sei. Künstler, die tatsächlich die Kunst des Ölmalens wenig oder gar nicht
betrieben hatten, weil sie daran durch umfassende künstlerische Arbeiten monu-
mentalen Charakters verhindert waren, wurden nun zu Verächtern aller Öl¬
malerei, zu Nicht-Maleuwollcrn, nächstdem zu Nicht-Maleukönnern gestempelt.



Ernst Förster, Cornelius, Teil 2, S. 152.

Fehler und Unzulänglichkeiten, die ihr selbst anhafteten, mehr als die unge¬
duldige Eigenwilligkeit ihres fürstliche» Schutzherrn, der kühnlich den Aus¬
spruch tat: „Ich, der König, bin die Kunst von München""), schadeten der
kaum ins Leben gerufnen neuen Münchner Kunst heimliche Feinde im eignen
Lager. Cornelius mußte es erleben, daß er wie ein auf Verrat ertappter
Günstling von seinem hohen Freunde verstoßen wurde; und wo er nun seine
Wirksamkeit fortsetzte, in der preußischen Hauptstadt, blieb er ein Fremder.
Als ob es schon zu lange gedauert hätte, daß sich die deutsche Kunst nnter
seiner kraftvollen Führung in »euerwachtem nationalem Stolz unabhängig
von den Einflüssen der lebenden Kunst des Auslandes gehalten hatte, erlag
Deutschlands öffentliche Meinung widerstandslos einem raschen Ansturme des
Auslandes, als im Jahre 1842 die sogenannten ..Belgischen Bilder" der Maler
Gallait und de Biefve. Gallaits Abdankung Karls des Fünften und Biefves
Kompromiß des niederländischen Adels zur Abwehr der Inquisition, dem
staunenden Publikum vorgeführt wurden. Die ausländischen Bilder entfesselten
nicht ohne Mitwirkung politischer Stimmungen bei Kennern und Laien den
lebhaftesten Beifall. Cornelius war uicht so einseitig, daß ihm für jede von
seinem Stile abweichende fremde Knnsttütigteit Verständnis und gerechtes
Urteil gefehlt Hütten; aber als nun an seinem neuen Wohnorte in einer
Sitzung des Wissenschaftlicher Kunstvereins der als Gast geladne Biefve in
einem französischen Vortrage gefeiert und dem Ausländer Worte zu hören
gegeben wurden, die einer Herabsetzung der dentschen Kunst gleichkamen und
eine der deutscheu Nation selbst zugefügte Kränkung bedeuteten, gab er seiner
Entrüstung unzweideutigen Ausdruck. Das änderte jedoch nichts an der Tat¬
sache: die Kunst des Auslandes hatte ans deutschem Boden einen leichten,
aber vollkonunnen Sieg davongetragen, die Cornelianische Richtung eine
Niederlage erlitten. Wenn früher strebsame deutsche Künstler, die ihre Fähig¬
keiten bis zum höchsten möglichen Maße zu steigern sich vorsetzten, nach Rom
und Italien gepilgert waren, so wurde jetzt die Losung: Nach Antwerpen und
Paris! Mau hatte entdeckt, daß Italien mit seinen Kunstaltertümcrn und
seiner südlichen Natur in Land und Leuten das Grab künstlerischer Eigenart
des Deutschen sei, nicht aber die Meisterateliers französischer und belgischer
lebender Maler. Wilhelm Kaulbach durfte in seinen berüchtigten Pinakothek¬
fresken unter König Ludwigs Augen Cornelius und seine Mitarbeiter öffent¬
lich beleidigen, die sittliche Grundlage der deutschen Kunst schmählich ver¬
höhnen; Wilhelm Schadow in seinem modernen Vasari durfte verkünden,
daß das München des Königs Ludwig ein Treibhaus der Kunst gewesen
sei. Künstler, die tatsächlich die Kunst des Ölmalens wenig oder gar nicht
betrieben hatten, weil sie daran durch umfassende künstlerische Arbeiten monu-
mentalen Charakters verhindert waren, wurden nun zu Verächtern aller Öl¬
malerei, zu Nicht-Maleuwollcrn, nächstdem zu Nicht-Maleukönnern gestempelt.



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[0043] Fehler und Unzulänglichkeiten, die ihr selbst anhafteten, mehr als die unge¬ duldige Eigenwilligkeit ihres fürstliche» Schutzherrn, der kühnlich den Aus¬ spruch tat: „Ich, der König, bin die Kunst von München""), schadeten der kaum ins Leben gerufnen neuen Münchner Kunst heimliche Feinde im eignen Lager. Cornelius mußte es erleben, daß er wie ein auf Verrat ertappter Günstling von seinem hohen Freunde verstoßen wurde; und wo er nun seine Wirksamkeit fortsetzte, in der preußischen Hauptstadt, blieb er ein Fremder. Als ob es schon zu lange gedauert hätte, daß sich die deutsche Kunst nnter seiner kraftvollen Führung in »euerwachtem nationalem Stolz unabhängig von den Einflüssen der lebenden Kunst des Auslandes gehalten hatte, erlag Deutschlands öffentliche Meinung widerstandslos einem raschen Ansturme des Auslandes, als im Jahre 1842 die sogenannten ..Belgischen Bilder" der Maler Gallait und de Biefve. Gallaits Abdankung Karls des Fünften und Biefves Kompromiß des niederländischen Adels zur Abwehr der Inquisition, dem staunenden Publikum vorgeführt wurden. Die ausländischen Bilder entfesselten nicht ohne Mitwirkung politischer Stimmungen bei Kennern und Laien den lebhaftesten Beifall. Cornelius war uicht so einseitig, daß ihm für jede von seinem Stile abweichende fremde Knnsttütigteit Verständnis und gerechtes Urteil gefehlt Hütten; aber als nun an seinem neuen Wohnorte in einer Sitzung des Wissenschaftlicher Kunstvereins der als Gast geladne Biefve in einem französischen Vortrage gefeiert und dem Ausländer Worte zu hören gegeben wurden, die einer Herabsetzung der dentschen Kunst gleichkamen und eine der deutscheu Nation selbst zugefügte Kränkung bedeuteten, gab er seiner Entrüstung unzweideutigen Ausdruck. Das änderte jedoch nichts an der Tat¬ sache: die Kunst des Auslandes hatte ans deutschem Boden einen leichten, aber vollkonunnen Sieg davongetragen, die Cornelianische Richtung eine Niederlage erlitten. Wenn früher strebsame deutsche Künstler, die ihre Fähig¬ keiten bis zum höchsten möglichen Maße zu steigern sich vorsetzten, nach Rom und Italien gepilgert waren, so wurde jetzt die Losung: Nach Antwerpen und Paris! Mau hatte entdeckt, daß Italien mit seinen Kunstaltertümcrn und seiner südlichen Natur in Land und Leuten das Grab künstlerischer Eigenart des Deutschen sei, nicht aber die Meisterateliers französischer und belgischer lebender Maler. Wilhelm Kaulbach durfte in seinen berüchtigten Pinakothek¬ fresken unter König Ludwigs Augen Cornelius und seine Mitarbeiter öffent¬ lich beleidigen, die sittliche Grundlage der deutschen Kunst schmählich ver¬ höhnen; Wilhelm Schadow in seinem modernen Vasari durfte verkünden, daß das München des Königs Ludwig ein Treibhaus der Kunst gewesen sei. Künstler, die tatsächlich die Kunst des Ölmalens wenig oder gar nicht betrieben hatten, weil sie daran durch umfassende künstlerische Arbeiten monu- mentalen Charakters verhindert waren, wurden nun zu Verächtern aller Öl¬ malerei, zu Nicht-Maleuwollcrn, nächstdem zu Nicht-Maleukönnern gestempelt. Ernst Förster, Cornelius, Teil 2, S. 152.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/43>, abgerufen am 22.05.2024.