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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Oberlehrer Hau?

dies so entfuhr, ganz unbedachtsam, wissen Sie, ohne Spur von Sinn! Ich werde
mein ganzes Leben lang nicht wieder glücklich, wenn Sie mir nicht verzeihen! Ich,
der ich Ihren Vater so grenzenlos liebe, und Sie -- und -- ja -- auch Ihre
Mutter. Das war es ja gar nicht, sehen Sie, es war nur, weil ich meinte, weil
ich finde, daß Ihre Mutter -- mich nicht so recht gern mag. Und ich finde, das
ist so schade. Wer das ist doch etwas ganz andres, das ist ja so natürlich, und
ich begreife es auch ganz gut, wissen Sie!

Sie entzog ihm jetzt ihre Hand, sah aber auf und mußte ihn ein klein wenig
anlächeln.

Haben Sie nun vielen Dank, Fräulein Berry. Das war ehrlich und schön
von Ihnen!

Er stand einen Augenblick da und trocknete sich die Stirn.

Puh! sagte er. Mir ist ganz schwach vor Schrecken geworden!

Das ist Ihnen recht gesund. Wissen Sie, was Sie sind?

Nun, was bin ich denn?

Ja. das will ich Ihnen sagen. Ein richtiger Schlaps sind Sie!

Herrgott, nichts schlimmeres! Ach ja, ein arger Schlaps bin ich mein Lebtag
gewesen, Fräulein Berry!

Sie ging bergabwärts, und er folgte ihr schweigend.

Das ist nun übrigens gar nicht wahr, sagte er plötzlich ganz bestimmt.

Was ist nicht wahr?

Ich bin nicht mein Lebtag so ein Schlaps gewesen. Es ist das Sonderbare
bei mir, daß ich es erst geworden bin, seit ich erwachsen bin! Andre Leute pflegen
es im Heranwachsen zu sein und es dann abzustreifen.

Berry empfand mehr Interesse für das, was er ihr erzählte, als sie ihm
zeigen wollte.

Aber das hängt mit so vielerlei zusammen, wissen Sie! Man ist nicht immer
Herr über so etwas!

Ach!

Ja, natürlich über so etwas wie dies hier, so eine reine Verrücktheit, aber ich
meine -- er brach ärgerlich ab und hielt inne: Da ist etwas, was ich hasse,
Fräulein Berry!

Und was ist denn das?

Das ist die verfluchte Demut!

Jetzt stimmte Berry ein lautes Gelächter an, sie wollte es gern unterdrücken,
vermochte es aber nicht.

Es ist wirklich wahr! sagte er gekränkt.

Ja, aber Ihre eigne Demut, die können Sie doch wahrhaftig nicht hassen!

Nein, weil Sie meinen, daß ich ein eingebildeter Bursche bin, ein überlegner
Schlaps!

Und sind Sie selbst denn etwa der Ansicht, daß Sie ein demütiger und be¬
scheidner . . .

Ich meine etwas Ernsthaftes, Fräulein Berry, und das könnten Sie ruhig
anhören. Denn es ist auch gewissermaßen eine Erklärung. Ich hasse diese ver¬
fluchte Demut, in der man uns erzieht, solange man die Macht über uns hat.

Wer?

Ach, Vater und Mutter und die Schule, alle, die uns etwas zu sagen und
zu raten hatten, solange wir noch wehrlos waren, oder es sich wenigstens anmaßten.
Das Leben ist ein Kampf! sagten sie. Wahrhaftig, sie stabilen uns mächtig


Oberlehrer Hau?

dies so entfuhr, ganz unbedachtsam, wissen Sie, ohne Spur von Sinn! Ich werde
mein ganzes Leben lang nicht wieder glücklich, wenn Sie mir nicht verzeihen! Ich,
der ich Ihren Vater so grenzenlos liebe, und Sie — und — ja — auch Ihre
Mutter. Das war es ja gar nicht, sehen Sie, es war nur, weil ich meinte, weil
ich finde, daß Ihre Mutter — mich nicht so recht gern mag. Und ich finde, das
ist so schade. Wer das ist doch etwas ganz andres, das ist ja so natürlich, und
ich begreife es auch ganz gut, wissen Sie!

Sie entzog ihm jetzt ihre Hand, sah aber auf und mußte ihn ein klein wenig
anlächeln.

Haben Sie nun vielen Dank, Fräulein Berry. Das war ehrlich und schön
von Ihnen!

Er stand einen Augenblick da und trocknete sich die Stirn.

Puh! sagte er. Mir ist ganz schwach vor Schrecken geworden!

Das ist Ihnen recht gesund. Wissen Sie, was Sie sind?

Nun, was bin ich denn?

Ja. das will ich Ihnen sagen. Ein richtiger Schlaps sind Sie!

Herrgott, nichts schlimmeres! Ach ja, ein arger Schlaps bin ich mein Lebtag
gewesen, Fräulein Berry!

Sie ging bergabwärts, und er folgte ihr schweigend.

Das ist nun übrigens gar nicht wahr, sagte er plötzlich ganz bestimmt.

Was ist nicht wahr?

Ich bin nicht mein Lebtag so ein Schlaps gewesen. Es ist das Sonderbare
bei mir, daß ich es erst geworden bin, seit ich erwachsen bin! Andre Leute pflegen
es im Heranwachsen zu sein und es dann abzustreifen.

Berry empfand mehr Interesse für das, was er ihr erzählte, als sie ihm
zeigen wollte.

Aber das hängt mit so vielerlei zusammen, wissen Sie! Man ist nicht immer
Herr über so etwas!

Ach!

Ja, natürlich über so etwas wie dies hier, so eine reine Verrücktheit, aber ich
meine — er brach ärgerlich ab und hielt inne: Da ist etwas, was ich hasse,
Fräulein Berry!

Und was ist denn das?

Das ist die verfluchte Demut!

Jetzt stimmte Berry ein lautes Gelächter an, sie wollte es gern unterdrücken,
vermochte es aber nicht.

Es ist wirklich wahr! sagte er gekränkt.

Ja, aber Ihre eigne Demut, die können Sie doch wahrhaftig nicht hassen!

Nein, weil Sie meinen, daß ich ein eingebildeter Bursche bin, ein überlegner
Schlaps!

Und sind Sie selbst denn etwa der Ansicht, daß Sie ein demütiger und be¬
scheidner . . .

Ich meine etwas Ernsthaftes, Fräulein Berry, und das könnten Sie ruhig
anhören. Denn es ist auch gewissermaßen eine Erklärung. Ich hasse diese ver¬
fluchte Demut, in der man uns erzieht, solange man die Macht über uns hat.

Wer?

Ach, Vater und Mutter und die Schule, alle, die uns etwas zu sagen und
zu raten hatten, solange wir noch wehrlos waren, oder es sich wenigstens anmaßten.
Das Leben ist ein Kampf! sagten sie. Wahrhaftig, sie stabilen uns mächtig


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[0051] Oberlehrer Hau? dies so entfuhr, ganz unbedachtsam, wissen Sie, ohne Spur von Sinn! Ich werde mein ganzes Leben lang nicht wieder glücklich, wenn Sie mir nicht verzeihen! Ich, der ich Ihren Vater so grenzenlos liebe, und Sie — und — ja — auch Ihre Mutter. Das war es ja gar nicht, sehen Sie, es war nur, weil ich meinte, weil ich finde, daß Ihre Mutter — mich nicht so recht gern mag. Und ich finde, das ist so schade. Wer das ist doch etwas ganz andres, das ist ja so natürlich, und ich begreife es auch ganz gut, wissen Sie! Sie entzog ihm jetzt ihre Hand, sah aber auf und mußte ihn ein klein wenig anlächeln. Haben Sie nun vielen Dank, Fräulein Berry. Das war ehrlich und schön von Ihnen! Er stand einen Augenblick da und trocknete sich die Stirn. Puh! sagte er. Mir ist ganz schwach vor Schrecken geworden! Das ist Ihnen recht gesund. Wissen Sie, was Sie sind? Nun, was bin ich denn? Ja. das will ich Ihnen sagen. Ein richtiger Schlaps sind Sie! Herrgott, nichts schlimmeres! Ach ja, ein arger Schlaps bin ich mein Lebtag gewesen, Fräulein Berry! Sie ging bergabwärts, und er folgte ihr schweigend. Das ist nun übrigens gar nicht wahr, sagte er plötzlich ganz bestimmt. Was ist nicht wahr? Ich bin nicht mein Lebtag so ein Schlaps gewesen. Es ist das Sonderbare bei mir, daß ich es erst geworden bin, seit ich erwachsen bin! Andre Leute pflegen es im Heranwachsen zu sein und es dann abzustreifen. Berry empfand mehr Interesse für das, was er ihr erzählte, als sie ihm zeigen wollte. Aber das hängt mit so vielerlei zusammen, wissen Sie! Man ist nicht immer Herr über so etwas! Ach! Ja, natürlich über so etwas wie dies hier, so eine reine Verrücktheit, aber ich meine — er brach ärgerlich ab und hielt inne: Da ist etwas, was ich hasse, Fräulein Berry! Und was ist denn das? Das ist die verfluchte Demut! Jetzt stimmte Berry ein lautes Gelächter an, sie wollte es gern unterdrücken, vermochte es aber nicht. Es ist wirklich wahr! sagte er gekränkt. Ja, aber Ihre eigne Demut, die können Sie doch wahrhaftig nicht hassen! Nein, weil Sie meinen, daß ich ein eingebildeter Bursche bin, ein überlegner Schlaps! Und sind Sie selbst denn etwa der Ansicht, daß Sie ein demütiger und be¬ scheidner . . . Ich meine etwas Ernsthaftes, Fräulein Berry, und das könnten Sie ruhig anhören. Denn es ist auch gewissermaßen eine Erklärung. Ich hasse diese ver¬ fluchte Demut, in der man uns erzieht, solange man die Macht über uns hat. Wer? Ach, Vater und Mutter und die Schule, alle, die uns etwas zu sagen und zu raten hatten, solange wir noch wehrlos waren, oder es sich wenigstens anmaßten. Das Leben ist ein Kampf! sagten sie. Wahrhaftig, sie stabilen uns mächtig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/51>, abgerufen am 16.06.2024.