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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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der Empfindungen dieser Art war es, daß in erster Linie nicht einmal Japaner
die Zielscheibe des Rassenhasses waren, sondern Hindus. Untertanen des Königs
Eduard wollten in einem andern Teile des Weltreichs landen, um sich dort
als friedliche, anspruchslose Arbeiter ihr Brot zu verdienen. Aber die weiße
Bevölkerung des Städtchens Vancouver rottete sich zusammen und machte den
Farbigen das Landen unmöglich. Die britische Regierung in Ottawa wie auch
in London tat nichts weiter, als daß sie freundlich zuriet, die Sache glimpflich
zu erledigen. Was konnte sie auch mehr? Sie hat längst die Erfahrung
machen müssen, daß die Australier in ihrer Abneigung gegen Farbige gar nicht
mit sich reden lassen. Wahrscheinlich würden die Australier eher einen Abfall
von England riskieren als sich den Zwang gefallen lasten, Farbige aufzu¬
nehmen. Australien sieht mit äußerstem Mißtrauen auf Japan; es fürchtet
die pazifische Großmacht. Es drängt mit voller Gewalt auf England, einen
größern Teil seiner Kriegsflotte in den australischen Gewässern zu halten,
wozu es auch Geldmittel anbietet. England will aber nicht daran; wer mit
bezahle, müsse auch das Recht haben, mit zu verfügen. England aber könne
seinen entlegnen Tochterstaaten keinen Einfluß auf die Reichspolitik einräumen,
es müsse die Entscheidung allein behalten. So kommt man nicht vorwärts.
Australien kann natürlich des englischen Schutzes nicht entraten. Allein es
sagt, daß es Englands Kriegsmacht nicht mehr brauche, wenn es Japaner zu¬
lassen solle; denn um diesen Preis könne es jeden Augenblick Japans Freund¬
schaft haben. Genug, England muß seinen australischen Schutzgebieten das
Recht zugestehn, Farbige fernzuhalten. Das hat zur selbstverständlichen Folge,
daß England auch den Kanadiern dasselbe Recht nicht versagen kann.

Der Eindruck auf Japan hat natürlich überaus nachteilig sein müssen.
Blitzartig wurde das beleuchtet durch die Auslassung eines der ersten japanischen
Staatsmänner, des Grafen Okuma, der geradezu explosiv gegen England vor¬
ging. Japan hätte von dieser Seite noch niemals wirklichen Vorteil gehabt.
Es müsse sich auf seine eignen Kräfte verlassen und könne das. Er machte
sogar eine Anspielung auf Indien. Indien ist lange die Achillesferse der eng¬
lischen Politik gewesen. Drei, vier Jahrzehnte lang haben die Staatsmänner
von Westminster nicht schlafen können, weil Rußland über Zentralasien näher
rückte und Eisenbahnen baute, auf denen einst die Heeressäulen der Kosaken
kommen konnten. Und diesen fürchtete man nicht genügende Streitkrüfte ent¬
gegenstellen zu können. Von diesem Alp hat Japans Sieg die Engländer
befreit. Rußland ist für absehbare Zeit nicht in der Lage, einen Krieg um
Indien zu führen. Vollends seitdem man es durch Auslieferung Nordpersiens
befriedigt hat, hält man jede ernste Gefahr in unabsehbare Ferne gerückt. Aber
nun droht aus dem Freunde ein Nebenbuhler zu werden. Der Sieg eines
asiatischen Volkes über die von den Engländern so sehr gefürchtete europäische
Militärmacht hat in Indien Sensation gemacht. In Bengalen wie im Pendschab
leben Inder genug, die auf europäischen Hochschulen herangebildet sind und


der Empfindungen dieser Art war es, daß in erster Linie nicht einmal Japaner
die Zielscheibe des Rassenhasses waren, sondern Hindus. Untertanen des Königs
Eduard wollten in einem andern Teile des Weltreichs landen, um sich dort
als friedliche, anspruchslose Arbeiter ihr Brot zu verdienen. Aber die weiße
Bevölkerung des Städtchens Vancouver rottete sich zusammen und machte den
Farbigen das Landen unmöglich. Die britische Regierung in Ottawa wie auch
in London tat nichts weiter, als daß sie freundlich zuriet, die Sache glimpflich
zu erledigen. Was konnte sie auch mehr? Sie hat längst die Erfahrung
machen müssen, daß die Australier in ihrer Abneigung gegen Farbige gar nicht
mit sich reden lassen. Wahrscheinlich würden die Australier eher einen Abfall
von England riskieren als sich den Zwang gefallen lasten, Farbige aufzu¬
nehmen. Australien sieht mit äußerstem Mißtrauen auf Japan; es fürchtet
die pazifische Großmacht. Es drängt mit voller Gewalt auf England, einen
größern Teil seiner Kriegsflotte in den australischen Gewässern zu halten,
wozu es auch Geldmittel anbietet. England will aber nicht daran; wer mit
bezahle, müsse auch das Recht haben, mit zu verfügen. England aber könne
seinen entlegnen Tochterstaaten keinen Einfluß auf die Reichspolitik einräumen,
es müsse die Entscheidung allein behalten. So kommt man nicht vorwärts.
Australien kann natürlich des englischen Schutzes nicht entraten. Allein es
sagt, daß es Englands Kriegsmacht nicht mehr brauche, wenn es Japaner zu¬
lassen solle; denn um diesen Preis könne es jeden Augenblick Japans Freund¬
schaft haben. Genug, England muß seinen australischen Schutzgebieten das
Recht zugestehn, Farbige fernzuhalten. Das hat zur selbstverständlichen Folge,
daß England auch den Kanadiern dasselbe Recht nicht versagen kann.

Der Eindruck auf Japan hat natürlich überaus nachteilig sein müssen.
Blitzartig wurde das beleuchtet durch die Auslassung eines der ersten japanischen
Staatsmänner, des Grafen Okuma, der geradezu explosiv gegen England vor¬
ging. Japan hätte von dieser Seite noch niemals wirklichen Vorteil gehabt.
Es müsse sich auf seine eignen Kräfte verlassen und könne das. Er machte
sogar eine Anspielung auf Indien. Indien ist lange die Achillesferse der eng¬
lischen Politik gewesen. Drei, vier Jahrzehnte lang haben die Staatsmänner
von Westminster nicht schlafen können, weil Rußland über Zentralasien näher
rückte und Eisenbahnen baute, auf denen einst die Heeressäulen der Kosaken
kommen konnten. Und diesen fürchtete man nicht genügende Streitkrüfte ent¬
gegenstellen zu können. Von diesem Alp hat Japans Sieg die Engländer
befreit. Rußland ist für absehbare Zeit nicht in der Lage, einen Krieg um
Indien zu führen. Vollends seitdem man es durch Auslieferung Nordpersiens
befriedigt hat, hält man jede ernste Gefahr in unabsehbare Ferne gerückt. Aber
nun droht aus dem Freunde ein Nebenbuhler zu werden. Der Sieg eines
asiatischen Volkes über die von den Engländern so sehr gefürchtete europäische
Militärmacht hat in Indien Sensation gemacht. In Bengalen wie im Pendschab
leben Inder genug, die auf europäischen Hochschulen herangebildet sind und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/263>, abgerufen am 16.06.2024.