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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

kurz fassen: es ist ein unerträglicher Übelstand, daß aus zahlreichen Gymnasien
-- soll ich sagen aus den meisten? -- die Schüler uach langjährigem Geschichts¬
unterricht herauskommen und doch unser gegenwärtiges Verfassungsleben und unsre
öffentlichen Rechtszustände auch nicht einmal in den Grundzügen kennen. Ich sage
nicht zuviel, wenigstens nicht in bezug auf die deutschen Verhältnisse; denn ich habe
mich immer wieder durch Nachforschen und Fragen von der bodenlosen Unwissenheit
überzeugt. Und diese Unwissenheit gilt nicht einmal als Unbildung, und doch ist
sie die folgenschwerste Unbildung; denn ohne Kenntnis der öffentlichen Rechts¬
verhältnisse sällt die Jugend sofort der Macht des politischen Schlagwortes anheim,
wobei oft nur Zufall oder Familienprovenienz entscheiden, auf welche Seite sie
gerät. In zweckmäßiger Weise kann in. E. hier nur Abhilfe geschafft werden,
wenn auf den Universitäten für Zuhörer aller Fakultäten ein Kolleg über Bürger¬
kunde, das heißt über die Verfassung und die Grundzüge des öffentlichen Rechts,
gelesen wird, und wenn gleichzeitig schon auf der Schule der Unterricht in der
Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts diese Grundzüge zur Darstellung bringt
und einprägt. Dem wahren Patriotismus wird dadurch mehr gedient werden als
durch detaillierte Schilderung der Kriege und Schlachten, die erhebender wirken
werden, wenn man sie der Privatlektüre überläßt." Nachdem auch der Regierungsrat
Negenborn, von seinem Standpunkt als praktischer Verwaltungsmann, in den Grenz¬
boten diese Forderung init allem Nachdruck erhoben hat, werden die maßgebenden
Kreise dieser wichtigen Frage des bürgerkundlichen Unterrichts nicht mehr interesselos
aus dem Wege gehn dürfen.









Maßgebliches und Unmaßgebliches

kurz fassen: es ist ein unerträglicher Übelstand, daß aus zahlreichen Gymnasien
— soll ich sagen aus den meisten? — die Schüler uach langjährigem Geschichts¬
unterricht herauskommen und doch unser gegenwärtiges Verfassungsleben und unsre
öffentlichen Rechtszustände auch nicht einmal in den Grundzügen kennen. Ich sage
nicht zuviel, wenigstens nicht in bezug auf die deutschen Verhältnisse; denn ich habe
mich immer wieder durch Nachforschen und Fragen von der bodenlosen Unwissenheit
überzeugt. Und diese Unwissenheit gilt nicht einmal als Unbildung, und doch ist
sie die folgenschwerste Unbildung; denn ohne Kenntnis der öffentlichen Rechts¬
verhältnisse sällt die Jugend sofort der Macht des politischen Schlagwortes anheim,
wobei oft nur Zufall oder Familienprovenienz entscheiden, auf welche Seite sie
gerät. In zweckmäßiger Weise kann in. E. hier nur Abhilfe geschafft werden,
wenn auf den Universitäten für Zuhörer aller Fakultäten ein Kolleg über Bürger¬
kunde, das heißt über die Verfassung und die Grundzüge des öffentlichen Rechts,
gelesen wird, und wenn gleichzeitig schon auf der Schule der Unterricht in der
Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts diese Grundzüge zur Darstellung bringt
und einprägt. Dem wahren Patriotismus wird dadurch mehr gedient werden als
durch detaillierte Schilderung der Kriege und Schlachten, die erhebender wirken
werden, wenn man sie der Privatlektüre überläßt." Nachdem auch der Regierungsrat
Negenborn, von seinem Standpunkt als praktischer Verwaltungsmann, in den Grenz¬
boten diese Forderung init allem Nachdruck erhoben hat, werden die maßgebenden
Kreise dieser wichtigen Frage des bürgerkundlichen Unterrichts nicht mehr interesselos
aus dem Wege gehn dürfen.









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[0060] Maßgebliches und Unmaßgebliches kurz fassen: es ist ein unerträglicher Übelstand, daß aus zahlreichen Gymnasien — soll ich sagen aus den meisten? — die Schüler uach langjährigem Geschichts¬ unterricht herauskommen und doch unser gegenwärtiges Verfassungsleben und unsre öffentlichen Rechtszustände auch nicht einmal in den Grundzügen kennen. Ich sage nicht zuviel, wenigstens nicht in bezug auf die deutschen Verhältnisse; denn ich habe mich immer wieder durch Nachforschen und Fragen von der bodenlosen Unwissenheit überzeugt. Und diese Unwissenheit gilt nicht einmal als Unbildung, und doch ist sie die folgenschwerste Unbildung; denn ohne Kenntnis der öffentlichen Rechts¬ verhältnisse sällt die Jugend sofort der Macht des politischen Schlagwortes anheim, wobei oft nur Zufall oder Familienprovenienz entscheiden, auf welche Seite sie gerät. In zweckmäßiger Weise kann in. E. hier nur Abhilfe geschafft werden, wenn auf den Universitäten für Zuhörer aller Fakultäten ein Kolleg über Bürger¬ kunde, das heißt über die Verfassung und die Grundzüge des öffentlichen Rechts, gelesen wird, und wenn gleichzeitig schon auf der Schule der Unterricht in der Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts diese Grundzüge zur Darstellung bringt und einprägt. Dem wahren Patriotismus wird dadurch mehr gedient werden als durch detaillierte Schilderung der Kriege und Schlachten, die erhebender wirken werden, wenn man sie der Privatlektüre überläßt." Nachdem auch der Regierungsrat Negenborn, von seinem Standpunkt als praktischer Verwaltungsmann, in den Grenz¬ boten diese Forderung init allem Nachdruck erhoben hat, werden die maßgebenden Kreise dieser wichtigen Frage des bürgerkundlichen Unterrichts nicht mehr interesselos aus dem Wege gehn dürfen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/60>, abgerufen am 22.05.2024.