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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Die modernen chinesischen Truppen in Petschili

bestiehlt, sich betrinkt und öffentliches Ärgernis erregt, wer die Waffen be¬
schädigt. Vorgesetzte beleidigt, ihre Abzeichen nicht respektiert, wer beim Exer¬
zieren ohne Erlaubnis redet, und wer Hasard spielt.

Die. die sich liederlich betragen. Opium rauchen und ausschweifend leben,
zu spät in die Kaserne zurückkehren, ohne Grund vom Dienst wegbleiben, das
Gewehr verlieren. Kommandos falsch ausführen. Gehorsam verweigern, er¬
pressen und belügen, haben Prügelstrafen. Arrest oder Ausstoßung aus dem
Heere zu erwarten. Milder wird bestraft, wer sich beim Dienst vernachlässigt,
die Waffen und den Anzug schlecht instant hält, wer zu spät zu Bett geht
und zu spät aufsteht. Auf solche Vergehen stehn vierzig Hiebe.

Welcher Unterschied zwischen diesen Zeilen und den ermahnenden Worten
des vorhergehenden Ausrufs! Aber wie berechtigt diese Strenge ist. erkennt
man. wenn man an den absolut unmilitärischen Geist des Chinesen denkt,
dessen Heeresapparat noch in den Kinderschuhen steckt. Der Anblick der Ge¬
wehre ist oft trostlos. Vielfach sind sie ungeputzt und verrostet, manchmal
dient statt des Gewehrriemens ein Bindfaden und statt des Mündungsschoners
ein roter Zengpfropfen. Viele haben das Schloß mit blauem Tuch gegen
Nässe, feuchte Luft und Staub umwickelt.

Um der Reorganisation der Armee gerecht zu werden, mußte man Haupt-
sächlich die Frage des Offizierersatzes in Angriff nehmen. Was nützten den
modern umzugestaltenden Waffen die Militärmandarine in Sammet und Seide
mit dem breiten grünen Steinring am rechten Daumen, dem Zeichen des Bogen¬
spanners des Ritters? (Da der rechte Daumen hauptsächlich zum Festhalten
der Bogensehne gebraucht wird, bedarf er eines besondern Schutzes, und man
trug als solchen den Steinring, der sich der Tradition gemäß bei den männlichen
Nachkommen der alten Rittergeschlechter als äußeres Zeichen erhalten hat.)

Man verlangte nach tüchtigen, modern durchgebildeten Männern! So
wurde ein kaiserliches Edikt im Sommer 1905 den neuen Anforderungen
gerecht. Es vergleicht die Gegenwart mit der Vergangenheit und spricht von
den Wandlungen der Kriegskunst. Es kommt somit auf die Überflüssigkeit
des Bogens und bestimmt, daß die Beamten, die bei Audienzen dem Zere¬
moniell entsprechend bisher den Bogen getragen haben, ihn nun weglassen sollten.
Auch die Fürstlichkeiten sollen emsig die Kriegskunst studieren!

Brauchte der Bewerbende früher nur das schon erwähnte Bogenschießen
zu Fuß und zu Pferde. Säbelfechten und Steinstoßen und -werfen (eine Art
Diskus) zu können, und hatte der Sauers (Bestechung oder Erpressung) seine
Rolle gespielt, so wurde der junge Mann "Offizier", gleichgiltig aus welcher
Familie er war, und wie seine Bildung und sein Körper beschaffen waren.
Das hat sich nun geändert! Jetzt verlangt man Abstammung aus guter Familie,
anständiges Vorleben und gute körperliche Beschaffenheit.

Der Aspirant beginnt seine Ausbildung in einer der neu in dem letzten
Jahrzehnt entstandnen Militärschulen, die man etwa mit unsern Kadettenkorps


Die modernen chinesischen Truppen in Petschili

bestiehlt, sich betrinkt und öffentliches Ärgernis erregt, wer die Waffen be¬
schädigt. Vorgesetzte beleidigt, ihre Abzeichen nicht respektiert, wer beim Exer¬
zieren ohne Erlaubnis redet, und wer Hasard spielt.

Die. die sich liederlich betragen. Opium rauchen und ausschweifend leben,
zu spät in die Kaserne zurückkehren, ohne Grund vom Dienst wegbleiben, das
Gewehr verlieren. Kommandos falsch ausführen. Gehorsam verweigern, er¬
pressen und belügen, haben Prügelstrafen. Arrest oder Ausstoßung aus dem
Heere zu erwarten. Milder wird bestraft, wer sich beim Dienst vernachlässigt,
die Waffen und den Anzug schlecht instant hält, wer zu spät zu Bett geht
und zu spät aufsteht. Auf solche Vergehen stehn vierzig Hiebe.

Welcher Unterschied zwischen diesen Zeilen und den ermahnenden Worten
des vorhergehenden Ausrufs! Aber wie berechtigt diese Strenge ist. erkennt
man. wenn man an den absolut unmilitärischen Geist des Chinesen denkt,
dessen Heeresapparat noch in den Kinderschuhen steckt. Der Anblick der Ge¬
wehre ist oft trostlos. Vielfach sind sie ungeputzt und verrostet, manchmal
dient statt des Gewehrriemens ein Bindfaden und statt des Mündungsschoners
ein roter Zengpfropfen. Viele haben das Schloß mit blauem Tuch gegen
Nässe, feuchte Luft und Staub umwickelt.

Um der Reorganisation der Armee gerecht zu werden, mußte man Haupt-
sächlich die Frage des Offizierersatzes in Angriff nehmen. Was nützten den
modern umzugestaltenden Waffen die Militärmandarine in Sammet und Seide
mit dem breiten grünen Steinring am rechten Daumen, dem Zeichen des Bogen¬
spanners des Ritters? (Da der rechte Daumen hauptsächlich zum Festhalten
der Bogensehne gebraucht wird, bedarf er eines besondern Schutzes, und man
trug als solchen den Steinring, der sich der Tradition gemäß bei den männlichen
Nachkommen der alten Rittergeschlechter als äußeres Zeichen erhalten hat.)

Man verlangte nach tüchtigen, modern durchgebildeten Männern! So
wurde ein kaiserliches Edikt im Sommer 1905 den neuen Anforderungen
gerecht. Es vergleicht die Gegenwart mit der Vergangenheit und spricht von
den Wandlungen der Kriegskunst. Es kommt somit auf die Überflüssigkeit
des Bogens und bestimmt, daß die Beamten, die bei Audienzen dem Zere¬
moniell entsprechend bisher den Bogen getragen haben, ihn nun weglassen sollten.
Auch die Fürstlichkeiten sollen emsig die Kriegskunst studieren!

Brauchte der Bewerbende früher nur das schon erwähnte Bogenschießen
zu Fuß und zu Pferde. Säbelfechten und Steinstoßen und -werfen (eine Art
Diskus) zu können, und hatte der Sauers (Bestechung oder Erpressung) seine
Rolle gespielt, so wurde der junge Mann „Offizier", gleichgiltig aus welcher
Familie er war, und wie seine Bildung und sein Körper beschaffen waren.
Das hat sich nun geändert! Jetzt verlangt man Abstammung aus guter Familie,
anständiges Vorleben und gute körperliche Beschaffenheit.

Der Aspirant beginnt seine Ausbildung in einer der neu in dem letzten
Jahrzehnt entstandnen Militärschulen, die man etwa mit unsern Kadettenkorps


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[0169] Die modernen chinesischen Truppen in Petschili bestiehlt, sich betrinkt und öffentliches Ärgernis erregt, wer die Waffen be¬ schädigt. Vorgesetzte beleidigt, ihre Abzeichen nicht respektiert, wer beim Exer¬ zieren ohne Erlaubnis redet, und wer Hasard spielt. Die. die sich liederlich betragen. Opium rauchen und ausschweifend leben, zu spät in die Kaserne zurückkehren, ohne Grund vom Dienst wegbleiben, das Gewehr verlieren. Kommandos falsch ausführen. Gehorsam verweigern, er¬ pressen und belügen, haben Prügelstrafen. Arrest oder Ausstoßung aus dem Heere zu erwarten. Milder wird bestraft, wer sich beim Dienst vernachlässigt, die Waffen und den Anzug schlecht instant hält, wer zu spät zu Bett geht und zu spät aufsteht. Auf solche Vergehen stehn vierzig Hiebe. Welcher Unterschied zwischen diesen Zeilen und den ermahnenden Worten des vorhergehenden Ausrufs! Aber wie berechtigt diese Strenge ist. erkennt man. wenn man an den absolut unmilitärischen Geist des Chinesen denkt, dessen Heeresapparat noch in den Kinderschuhen steckt. Der Anblick der Ge¬ wehre ist oft trostlos. Vielfach sind sie ungeputzt und verrostet, manchmal dient statt des Gewehrriemens ein Bindfaden und statt des Mündungsschoners ein roter Zengpfropfen. Viele haben das Schloß mit blauem Tuch gegen Nässe, feuchte Luft und Staub umwickelt. Um der Reorganisation der Armee gerecht zu werden, mußte man Haupt- sächlich die Frage des Offizierersatzes in Angriff nehmen. Was nützten den modern umzugestaltenden Waffen die Militärmandarine in Sammet und Seide mit dem breiten grünen Steinring am rechten Daumen, dem Zeichen des Bogen¬ spanners des Ritters? (Da der rechte Daumen hauptsächlich zum Festhalten der Bogensehne gebraucht wird, bedarf er eines besondern Schutzes, und man trug als solchen den Steinring, der sich der Tradition gemäß bei den männlichen Nachkommen der alten Rittergeschlechter als äußeres Zeichen erhalten hat.) Man verlangte nach tüchtigen, modern durchgebildeten Männern! So wurde ein kaiserliches Edikt im Sommer 1905 den neuen Anforderungen gerecht. Es vergleicht die Gegenwart mit der Vergangenheit und spricht von den Wandlungen der Kriegskunst. Es kommt somit auf die Überflüssigkeit des Bogens und bestimmt, daß die Beamten, die bei Audienzen dem Zere¬ moniell entsprechend bisher den Bogen getragen haben, ihn nun weglassen sollten. Auch die Fürstlichkeiten sollen emsig die Kriegskunst studieren! Brauchte der Bewerbende früher nur das schon erwähnte Bogenschießen zu Fuß und zu Pferde. Säbelfechten und Steinstoßen und -werfen (eine Art Diskus) zu können, und hatte der Sauers (Bestechung oder Erpressung) seine Rolle gespielt, so wurde der junge Mann „Offizier", gleichgiltig aus welcher Familie er war, und wie seine Bildung und sein Körper beschaffen waren. Das hat sich nun geändert! Jetzt verlangt man Abstammung aus guter Familie, anständiges Vorleben und gute körperliche Beschaffenheit. Der Aspirant beginnt seine Ausbildung in einer der neu in dem letzten Jahrzehnt entstandnen Militärschulen, die man etwa mit unsern Kadettenkorps

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/169>, abgerufen am 05.06.2024.