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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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vie modernen chinesischen Truppen in Petschili

und Kriegsschulen vergleichen könnte, und betritt diese etwa im zwanzigsten
Lebensjahre (dies entspricht unserm neunzehnten, denn der Chinese rechnet sich
im allgemeinen im Vergleiche zu unsrer Altersrechnung immer ein Jahr mehr
an, als ihm eigentlich zusteht).

Zunächst lernt der Militärschüler theoretisch und praktisch das Gewehr
und seinen Gebrauch kennen sowie die Schießlehre, ferner Planzeichnen. Er
übt und vervollkommnet sich im Rechnen, Lesen und Schreiben. Wen dieses
wundernehmen sollte, der denke an die schier unendliche Menge der chinesischen
Schriftzeichen, an denen selbst ein hochgebildeter Chinese kaum auslernt.
Unterricht in der Geographie und Geschichte, Politik und Industrie gehören
weiter zur theoretischen Ausbildung. Die praktische verlangt Vervollkommnung
im Felddienst. Turnen und Schießen.

Nach fünf bis acht Jahren ist die Lehrzeit beendet, und der Schüler
kann als Offizier (Wuguen) nach bestandnen Examen in die Armee eintreten.
Wie streng und rücksichtslos man die jungen Leute auf den Militärschnlen be¬
handelt, dafür gibt nachstehendes Beispiel einen Beweis: Es war in der neusten
Zeit, als sich ein Zögling mehrfach unter falschem Vorwand Urlaub erschwindelte;
die Sache kam ans Licht, und er sollte hingerichtet werden, nur ans Bitten
seiner Eltern schonte man seiner, doch wurde dem angehenden Fähnrich ein
Ohr abgeschnitten!

Zwar gibt das japanische Exerzierreglement die Richtschnur der mili¬
tärischen Ausbildung, aber, wie wir wissen, lernt der Chinese auch von andern
Staaten, zum Beispiel von uns, denn viele anserlesne junge Männer befinden
sich zurzeit zur Informierung in unsrer Armee.

Daß man jetzt auch für die Entfernung von vielen unnützen Vrotcssern
sorgt, beweist die dankenswerte Tat eines höhern Beamten im Sommer 1904.
der schonungslos der auf den s^use^e gestützten Herrschaft des heiligen
Bnreaukratius im chinesischen Kriegsministerium einen scharfen Hieb versetzte,
indem er die dortigen Verhältnisse aufdeckte. Recht einfach war das Verfahren,
dessen man sich zur Abhilfe bediente: es erschien eines schönen Tages die Polizei
im Kriegsministerium und entfernte die überflüssigen Schreiber, aus 3712
wurden 30! Und das genügte auch.

Was hat nun China in Tschiki mit seineu modernen Heeresabsichten er¬
reicht? Antwort: Viel! -- denn es finden moderne Manöver in Tschiki statt;
die ersten sind im Herbst 1905 abgehalten worden.

Rund 23000 Mann, zu acht Brigaden gebildet, hatten sich zusammen¬
gefunden, man formierte aus ihnen eine Nord- (blaue) und eine Süd- (rote)
Partei, die sich während dreier Tage bekriegten. Rot trug dunkelblaue, Blau
gelbe (khakifarbne) Uniform, die Abzeichen der Offiziere und der Unteroffiziere
bestanden aus Ärmeltresseu oder -streifen. Kopfbedeckung war eine Art
Mütze bei allen. Die Manöveranlage entsprach vollständig den modernen
Anforderungen. Vom Jangtse kam die rote Armee und drang am Kaiser-


vie modernen chinesischen Truppen in Petschili

und Kriegsschulen vergleichen könnte, und betritt diese etwa im zwanzigsten
Lebensjahre (dies entspricht unserm neunzehnten, denn der Chinese rechnet sich
im allgemeinen im Vergleiche zu unsrer Altersrechnung immer ein Jahr mehr
an, als ihm eigentlich zusteht).

Zunächst lernt der Militärschüler theoretisch und praktisch das Gewehr
und seinen Gebrauch kennen sowie die Schießlehre, ferner Planzeichnen. Er
übt und vervollkommnet sich im Rechnen, Lesen und Schreiben. Wen dieses
wundernehmen sollte, der denke an die schier unendliche Menge der chinesischen
Schriftzeichen, an denen selbst ein hochgebildeter Chinese kaum auslernt.
Unterricht in der Geographie und Geschichte, Politik und Industrie gehören
weiter zur theoretischen Ausbildung. Die praktische verlangt Vervollkommnung
im Felddienst. Turnen und Schießen.

Nach fünf bis acht Jahren ist die Lehrzeit beendet, und der Schüler
kann als Offizier (Wuguen) nach bestandnen Examen in die Armee eintreten.
Wie streng und rücksichtslos man die jungen Leute auf den Militärschnlen be¬
handelt, dafür gibt nachstehendes Beispiel einen Beweis: Es war in der neusten
Zeit, als sich ein Zögling mehrfach unter falschem Vorwand Urlaub erschwindelte;
die Sache kam ans Licht, und er sollte hingerichtet werden, nur ans Bitten
seiner Eltern schonte man seiner, doch wurde dem angehenden Fähnrich ein
Ohr abgeschnitten!

Zwar gibt das japanische Exerzierreglement die Richtschnur der mili¬
tärischen Ausbildung, aber, wie wir wissen, lernt der Chinese auch von andern
Staaten, zum Beispiel von uns, denn viele anserlesne junge Männer befinden
sich zurzeit zur Informierung in unsrer Armee.

Daß man jetzt auch für die Entfernung von vielen unnützen Vrotcssern
sorgt, beweist die dankenswerte Tat eines höhern Beamten im Sommer 1904.
der schonungslos der auf den s^use^e gestützten Herrschaft des heiligen
Bnreaukratius im chinesischen Kriegsministerium einen scharfen Hieb versetzte,
indem er die dortigen Verhältnisse aufdeckte. Recht einfach war das Verfahren,
dessen man sich zur Abhilfe bediente: es erschien eines schönen Tages die Polizei
im Kriegsministerium und entfernte die überflüssigen Schreiber, aus 3712
wurden 30! Und das genügte auch.

Was hat nun China in Tschiki mit seineu modernen Heeresabsichten er¬
reicht? Antwort: Viel! — denn es finden moderne Manöver in Tschiki statt;
die ersten sind im Herbst 1905 abgehalten worden.

Rund 23000 Mann, zu acht Brigaden gebildet, hatten sich zusammen¬
gefunden, man formierte aus ihnen eine Nord- (blaue) und eine Süd- (rote)
Partei, die sich während dreier Tage bekriegten. Rot trug dunkelblaue, Blau
gelbe (khakifarbne) Uniform, die Abzeichen der Offiziere und der Unteroffiziere
bestanden aus Ärmeltresseu oder -streifen. Kopfbedeckung war eine Art
Mütze bei allen. Die Manöveranlage entsprach vollständig den modernen
Anforderungen. Vom Jangtse kam die rote Armee und drang am Kaiser-


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[0170] vie modernen chinesischen Truppen in Petschili und Kriegsschulen vergleichen könnte, und betritt diese etwa im zwanzigsten Lebensjahre (dies entspricht unserm neunzehnten, denn der Chinese rechnet sich im allgemeinen im Vergleiche zu unsrer Altersrechnung immer ein Jahr mehr an, als ihm eigentlich zusteht). Zunächst lernt der Militärschüler theoretisch und praktisch das Gewehr und seinen Gebrauch kennen sowie die Schießlehre, ferner Planzeichnen. Er übt und vervollkommnet sich im Rechnen, Lesen und Schreiben. Wen dieses wundernehmen sollte, der denke an die schier unendliche Menge der chinesischen Schriftzeichen, an denen selbst ein hochgebildeter Chinese kaum auslernt. Unterricht in der Geographie und Geschichte, Politik und Industrie gehören weiter zur theoretischen Ausbildung. Die praktische verlangt Vervollkommnung im Felddienst. Turnen und Schießen. Nach fünf bis acht Jahren ist die Lehrzeit beendet, und der Schüler kann als Offizier (Wuguen) nach bestandnen Examen in die Armee eintreten. Wie streng und rücksichtslos man die jungen Leute auf den Militärschnlen be¬ handelt, dafür gibt nachstehendes Beispiel einen Beweis: Es war in der neusten Zeit, als sich ein Zögling mehrfach unter falschem Vorwand Urlaub erschwindelte; die Sache kam ans Licht, und er sollte hingerichtet werden, nur ans Bitten seiner Eltern schonte man seiner, doch wurde dem angehenden Fähnrich ein Ohr abgeschnitten! Zwar gibt das japanische Exerzierreglement die Richtschnur der mili¬ tärischen Ausbildung, aber, wie wir wissen, lernt der Chinese auch von andern Staaten, zum Beispiel von uns, denn viele anserlesne junge Männer befinden sich zurzeit zur Informierung in unsrer Armee. Daß man jetzt auch für die Entfernung von vielen unnützen Vrotcssern sorgt, beweist die dankenswerte Tat eines höhern Beamten im Sommer 1904. der schonungslos der auf den s^use^e gestützten Herrschaft des heiligen Bnreaukratius im chinesischen Kriegsministerium einen scharfen Hieb versetzte, indem er die dortigen Verhältnisse aufdeckte. Recht einfach war das Verfahren, dessen man sich zur Abhilfe bediente: es erschien eines schönen Tages die Polizei im Kriegsministerium und entfernte die überflüssigen Schreiber, aus 3712 wurden 30! Und das genügte auch. Was hat nun China in Tschiki mit seineu modernen Heeresabsichten er¬ reicht? Antwort: Viel! — denn es finden moderne Manöver in Tschiki statt; die ersten sind im Herbst 1905 abgehalten worden. Rund 23000 Mann, zu acht Brigaden gebildet, hatten sich zusammen¬ gefunden, man formierte aus ihnen eine Nord- (blaue) und eine Süd- (rote) Partei, die sich während dreier Tage bekriegten. Rot trug dunkelblaue, Blau gelbe (khakifarbne) Uniform, die Abzeichen der Offiziere und der Unteroffiziere bestanden aus Ärmeltresseu oder -streifen. Kopfbedeckung war eine Art Mütze bei allen. Die Manöveranlage entsprach vollständig den modernen Anforderungen. Vom Jangtse kam die rote Armee und drang am Kaiser-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/170>, abgerufen am 01.11.2024.