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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Politik in der Schule

haften äußern Merkzeichen fein Gehirn übervölkert, sondern mit Verständnis
und Besonnenheit die Lehren der Wissenschaft in sich aufnimmt, um in dem
unermeßlichen Weltgetriebe die Stelle zu finden, die just für ihn und damit
auch für das Ganze die beste ist -- diesem, d. h. dem vernünftigen Menschen
predigen alle Wissenschaften die Lehre von dem organischen Zusammenhang alles
Bestehenden, sie zeigen ihm Ordnung und Gesetz überall und lehren ihn, auch
seine eigne Person in den Dienst des Ganzen zu stellen, sich einzuordnen, sich
unterzuordnen, zum Heil des Ganzen, zum Heil des Vaterlands, und begeistert
zu kämpfen für die "heilige Ordnung, die segensreiche Himmelstochter, die das
Gleiche frei und leicht und freudig bindet". Das also ist die Politik, die in
der Schule gelehrt werden soll, und diese Politik kann auch der jugendliche Geist
gut verstehn. Wie er in der Sprache aus grammatischen und syntaktischen
Einheiten oder in der Mathematik aus Zahlen und Formeln ein wunderbares
Ganzes hervorgebracht sieht, so erkennt er auch im Staate ein geordnetes Ganzes;
aber die Einheiten, die den Staat bilden, sind menschliche Persönlichkeiten. Und
je mehr diese einzelnen, trotz aller individuellen Verschiedenheit, ein gemeinsames
Ziel verfolgen, nämlich ihre besten Kräfte zum Wohle des Ganzen zu verwenden,
um so besser wird es um den Staat bestellt sein.
"

Wie weit geht nun aber dieser "Staat?

Eine allgemeine Verbrüderung der gesamten Menschheit ist eine Utopie, ein
unfruchtbarer Traum, dessen Unausführbarkeit nur den unklaren Schwärmer
betrüben kann. Die ganze Welt kann unser Vaterland nicht sein, dazu sind
die Völker in Sprache, Sitte und Lebensinteresse zu verschieden. Die gemein¬
same Nationalität aber ist keine Erfindung der Philosophen oder ein Märchen
phantastischer Grübler, sondern eine der sichersten und beglückendsten Tatsachen,
die es gibt. Und diese Tatsache wollen wir unsrer Jugend in der Schule bei¬
bringen. Das ist Politik in der Schule!

Ich danke Ihnen für Ihre Ausführungen, die mir allerdings einen ganz
neuen Begriff von einer politischen Erziehung gegeben haben. Wenn die
Politik so in der Schule gelehrt wird, dann ist mir um unsre künftigen Staats¬
bürger nicht bange; und wenn es überhaupt einen Talisman gibt in dem ver¬
wirrenden Kampfe der politischen Parteimeinungen, dann kann es nur die
Überzeugung sein, die Sie als das Ergebnis Ihres politischen Denkens ge¬
funden haben.

Ich hoffe, daß der Standpunkt, auf den ich meine jungen Freunde heben
will, befestigt genug ist, dem Sturm der Feinde zu trotzen.

Jawohl, das hoffe und glaube auch ich. Gott segne Ihr Werk!




Politik in der Schule

haften äußern Merkzeichen fein Gehirn übervölkert, sondern mit Verständnis
und Besonnenheit die Lehren der Wissenschaft in sich aufnimmt, um in dem
unermeßlichen Weltgetriebe die Stelle zu finden, die just für ihn und damit
auch für das Ganze die beste ist — diesem, d. h. dem vernünftigen Menschen
predigen alle Wissenschaften die Lehre von dem organischen Zusammenhang alles
Bestehenden, sie zeigen ihm Ordnung und Gesetz überall und lehren ihn, auch
seine eigne Person in den Dienst des Ganzen zu stellen, sich einzuordnen, sich
unterzuordnen, zum Heil des Ganzen, zum Heil des Vaterlands, und begeistert
zu kämpfen für die „heilige Ordnung, die segensreiche Himmelstochter, die das
Gleiche frei und leicht und freudig bindet". Das also ist die Politik, die in
der Schule gelehrt werden soll, und diese Politik kann auch der jugendliche Geist
gut verstehn. Wie er in der Sprache aus grammatischen und syntaktischen
Einheiten oder in der Mathematik aus Zahlen und Formeln ein wunderbares
Ganzes hervorgebracht sieht, so erkennt er auch im Staate ein geordnetes Ganzes;
aber die Einheiten, die den Staat bilden, sind menschliche Persönlichkeiten. Und
je mehr diese einzelnen, trotz aller individuellen Verschiedenheit, ein gemeinsames
Ziel verfolgen, nämlich ihre besten Kräfte zum Wohle des Ganzen zu verwenden,
um so besser wird es um den Staat bestellt sein.
"

Wie weit geht nun aber dieser „Staat?

Eine allgemeine Verbrüderung der gesamten Menschheit ist eine Utopie, ein
unfruchtbarer Traum, dessen Unausführbarkeit nur den unklaren Schwärmer
betrüben kann. Die ganze Welt kann unser Vaterland nicht sein, dazu sind
die Völker in Sprache, Sitte und Lebensinteresse zu verschieden. Die gemein¬
same Nationalität aber ist keine Erfindung der Philosophen oder ein Märchen
phantastischer Grübler, sondern eine der sichersten und beglückendsten Tatsachen,
die es gibt. Und diese Tatsache wollen wir unsrer Jugend in der Schule bei¬
bringen. Das ist Politik in der Schule!

Ich danke Ihnen für Ihre Ausführungen, die mir allerdings einen ganz
neuen Begriff von einer politischen Erziehung gegeben haben. Wenn die
Politik so in der Schule gelehrt wird, dann ist mir um unsre künftigen Staats¬
bürger nicht bange; und wenn es überhaupt einen Talisman gibt in dem ver¬
wirrenden Kampfe der politischen Parteimeinungen, dann kann es nur die
Überzeugung sein, die Sie als das Ergebnis Ihres politischen Denkens ge¬
funden haben.

Ich hoffe, daß der Standpunkt, auf den ich meine jungen Freunde heben
will, befestigt genug ist, dem Sturm der Feinde zu trotzen.

Jawohl, das hoffe und glaube auch ich. Gott segne Ihr Werk!




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/187>, abgerufen am 31.10.2024.