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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Asiatische Probleme

Rußland den Norden, Frankreich den Südosten, Holländer und Amerikaner die
Inseln. Zuletzt erhält auch Deutschland ein gepachtetes Plätzchen an der Sonne.
In der Gegenwart aber versprechen das erwachende Nationalgefühl der Japaner
und Chinesen und die panislamische Bewegung dem alternden Asien neue
Kraft. Die Asiaten haben aufgehört, den Europären blindlings zu gehorchen.
Die nächsten Jahrhunderte werden eine gewaltige Auseinandersetzung zwischen
Occident und Orient sehn, an der diesesmal auch die Neue Welt, Amerika,
teilnehmen wird.

Die asiatische Geschichte wird von Wirth eingeteilt in: das mesopotamische
Zeitalter, die Kämpfe der Arier gegen Babylon, die Epoche von Sadi hoangti
bis Attila, die Zeit der westöstlichen Hochentwicklung, und in die Epoche des
Übergewichts der Nordvölker, auf die dann die Europüerherrschaft folgt.

Die historischen Tatsachen werden von Wirth mit zahlreichen Bemerkungen
über Kultur und Zivilisation durchzogen. Insbesondre weist er nach, daß sich
trotz der Rassenverschiedenheit Ähnlichkeiten der äußern Zivilisation finden, die
allen Asiaten gemeinsam sind. So findet sich die Tracht der altpersischen Bogen¬
schützen wieder bei den Kukis der Japaner, die viereckige UmWallung persischer
Städte in dem gleichen Befestigungsshstems Chinas. Die Gewohnheit der
Karawansereien und die Benutzung des Kameldungs trifft man fast überall vom
Ägüischen Meere bis zum Stillen Ozean, ebenso das Zeltlager mit seinem eigen¬
artigen Leben, das dann sogar in festen Städten wie Konstantinopel bei¬
behalten wird.

Zu den äußern Ähnlichkeiten fügten sich aber im Laufe der Jahrhunderte
innere hinzu, durch die unvermerkt eine geistige Wahlverwandtschaft zwischen
den Ariern und den Fremden angebahnt wurde. So wurden die Perser, von deren
Tüchtigkeit Herodot so viel Rühmliches zu erzählen weiß, nach anderthalb
Jahrhunderten derart durch babylonisches Wohlleben entnervt, daß sie den
Griechen als verächtliche Weichlinge erschienen. Die Durchdringung mit fremden
Vorstellungen und Gewohnheiten hat es schließlich dahin gebracht, daß die
Ostarier nach zwölf Jahrhunderten eigner Entwicklung gänzlich von den semitischen
Arabern und dann von den Türken überwältigt wurden. Der große Aufschwung
des Orients erfolgte dann von den Küsten Japans bis zu den Tschadländeru
und bis an die atlantischen Gestade Marokkos. Das erste bedeutsame Zeichen,
das den Niedergang des Orients verkündete, war die Niederlage der Türken
vor Wien. Auf sie folgten, wie Wirth mit Recht hervorhebt, das Vordringen
der Russen in der Kirgisensteppe und die europäischen Festsetzungen in Indien
und Australien. Dabei hatten die Europäer unter sich harte Kämpfe auszu-
fechten, ehe dem überlebenden Sieger Südasien als Beute anheimfiel. Die
Holländer gründeten 1602 ihre Ostindische Kompagnie, besetzten Batavia auf
Java 1619, Kapstadt 1652, Ceylon 1656 und waren 1690 auf der Hohe ihrer
Kolonialmacht, auf der sie sich ungefähr bis 1750 erhielten. Inzwischen waren
die Franzosen in Indien erschienen und hatten sich dort festgesetzt. Holländer


Asiatische Probleme

Rußland den Norden, Frankreich den Südosten, Holländer und Amerikaner die
Inseln. Zuletzt erhält auch Deutschland ein gepachtetes Plätzchen an der Sonne.
In der Gegenwart aber versprechen das erwachende Nationalgefühl der Japaner
und Chinesen und die panislamische Bewegung dem alternden Asien neue
Kraft. Die Asiaten haben aufgehört, den Europären blindlings zu gehorchen.
Die nächsten Jahrhunderte werden eine gewaltige Auseinandersetzung zwischen
Occident und Orient sehn, an der diesesmal auch die Neue Welt, Amerika,
teilnehmen wird.

Die asiatische Geschichte wird von Wirth eingeteilt in: das mesopotamische
Zeitalter, die Kämpfe der Arier gegen Babylon, die Epoche von Sadi hoangti
bis Attila, die Zeit der westöstlichen Hochentwicklung, und in die Epoche des
Übergewichts der Nordvölker, auf die dann die Europüerherrschaft folgt.

Die historischen Tatsachen werden von Wirth mit zahlreichen Bemerkungen
über Kultur und Zivilisation durchzogen. Insbesondre weist er nach, daß sich
trotz der Rassenverschiedenheit Ähnlichkeiten der äußern Zivilisation finden, die
allen Asiaten gemeinsam sind. So findet sich die Tracht der altpersischen Bogen¬
schützen wieder bei den Kukis der Japaner, die viereckige UmWallung persischer
Städte in dem gleichen Befestigungsshstems Chinas. Die Gewohnheit der
Karawansereien und die Benutzung des Kameldungs trifft man fast überall vom
Ägüischen Meere bis zum Stillen Ozean, ebenso das Zeltlager mit seinem eigen¬
artigen Leben, das dann sogar in festen Städten wie Konstantinopel bei¬
behalten wird.

Zu den äußern Ähnlichkeiten fügten sich aber im Laufe der Jahrhunderte
innere hinzu, durch die unvermerkt eine geistige Wahlverwandtschaft zwischen
den Ariern und den Fremden angebahnt wurde. So wurden die Perser, von deren
Tüchtigkeit Herodot so viel Rühmliches zu erzählen weiß, nach anderthalb
Jahrhunderten derart durch babylonisches Wohlleben entnervt, daß sie den
Griechen als verächtliche Weichlinge erschienen. Die Durchdringung mit fremden
Vorstellungen und Gewohnheiten hat es schließlich dahin gebracht, daß die
Ostarier nach zwölf Jahrhunderten eigner Entwicklung gänzlich von den semitischen
Arabern und dann von den Türken überwältigt wurden. Der große Aufschwung
des Orients erfolgte dann von den Küsten Japans bis zu den Tschadländeru
und bis an die atlantischen Gestade Marokkos. Das erste bedeutsame Zeichen,
das den Niedergang des Orients verkündete, war die Niederlage der Türken
vor Wien. Auf sie folgten, wie Wirth mit Recht hervorhebt, das Vordringen
der Russen in der Kirgisensteppe und die europäischen Festsetzungen in Indien
und Australien. Dabei hatten die Europäer unter sich harte Kämpfe auszu-
fechten, ehe dem überlebenden Sieger Südasien als Beute anheimfiel. Die
Holländer gründeten 1602 ihre Ostindische Kompagnie, besetzten Batavia auf
Java 1619, Kapstadt 1652, Ceylon 1656 und waren 1690 auf der Hohe ihrer
Kolonialmacht, auf der sie sich ungefähr bis 1750 erhielten. Inzwischen waren
die Franzosen in Indien erschienen und hatten sich dort festgesetzt. Holländer


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[0023] Asiatische Probleme Rußland den Norden, Frankreich den Südosten, Holländer und Amerikaner die Inseln. Zuletzt erhält auch Deutschland ein gepachtetes Plätzchen an der Sonne. In der Gegenwart aber versprechen das erwachende Nationalgefühl der Japaner und Chinesen und die panislamische Bewegung dem alternden Asien neue Kraft. Die Asiaten haben aufgehört, den Europären blindlings zu gehorchen. Die nächsten Jahrhunderte werden eine gewaltige Auseinandersetzung zwischen Occident und Orient sehn, an der diesesmal auch die Neue Welt, Amerika, teilnehmen wird. Die asiatische Geschichte wird von Wirth eingeteilt in: das mesopotamische Zeitalter, die Kämpfe der Arier gegen Babylon, die Epoche von Sadi hoangti bis Attila, die Zeit der westöstlichen Hochentwicklung, und in die Epoche des Übergewichts der Nordvölker, auf die dann die Europüerherrschaft folgt. Die historischen Tatsachen werden von Wirth mit zahlreichen Bemerkungen über Kultur und Zivilisation durchzogen. Insbesondre weist er nach, daß sich trotz der Rassenverschiedenheit Ähnlichkeiten der äußern Zivilisation finden, die allen Asiaten gemeinsam sind. So findet sich die Tracht der altpersischen Bogen¬ schützen wieder bei den Kukis der Japaner, die viereckige UmWallung persischer Städte in dem gleichen Befestigungsshstems Chinas. Die Gewohnheit der Karawansereien und die Benutzung des Kameldungs trifft man fast überall vom Ägüischen Meere bis zum Stillen Ozean, ebenso das Zeltlager mit seinem eigen¬ artigen Leben, das dann sogar in festen Städten wie Konstantinopel bei¬ behalten wird. Zu den äußern Ähnlichkeiten fügten sich aber im Laufe der Jahrhunderte innere hinzu, durch die unvermerkt eine geistige Wahlverwandtschaft zwischen den Ariern und den Fremden angebahnt wurde. So wurden die Perser, von deren Tüchtigkeit Herodot so viel Rühmliches zu erzählen weiß, nach anderthalb Jahrhunderten derart durch babylonisches Wohlleben entnervt, daß sie den Griechen als verächtliche Weichlinge erschienen. Die Durchdringung mit fremden Vorstellungen und Gewohnheiten hat es schließlich dahin gebracht, daß die Ostarier nach zwölf Jahrhunderten eigner Entwicklung gänzlich von den semitischen Arabern und dann von den Türken überwältigt wurden. Der große Aufschwung des Orients erfolgte dann von den Küsten Japans bis zu den Tschadländeru und bis an die atlantischen Gestade Marokkos. Das erste bedeutsame Zeichen, das den Niedergang des Orients verkündete, war die Niederlage der Türken vor Wien. Auf sie folgten, wie Wirth mit Recht hervorhebt, das Vordringen der Russen in der Kirgisensteppe und die europäischen Festsetzungen in Indien und Australien. Dabei hatten die Europäer unter sich harte Kämpfe auszu- fechten, ehe dem überlebenden Sieger Südasien als Beute anheimfiel. Die Holländer gründeten 1602 ihre Ostindische Kompagnie, besetzten Batavia auf Java 1619, Kapstadt 1652, Ceylon 1656 und waren 1690 auf der Hohe ihrer Kolonialmacht, auf der sie sich ungefähr bis 1750 erhielten. Inzwischen waren die Franzosen in Indien erschienen und hatten sich dort festgesetzt. Holländer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/23>, abgerufen am 15.05.2024.