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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Asiatische Probleme

artig angenommen haben, sich organisieren oder gar politisch ans Gängelband
nehmen zu lassen. Es ist ja nicht ausgeschlossen, daß Japan die jetzige mili¬
tärische Schwäche Chinas noch einmal benutzt, um es mit Krieg zu überziehen
und auszuplündern, aber auf die Dauer -- und die Weltgeschichte rechnet
nur mit Jahrhunderten -- wird China doch über Japan, das nur etwa ein
Zehntel so reich an Menschen und nur etwa ein Fünfzigste! so reich an
Kapital und an Naturschätzen ist, triumphieren und seine frühere dominierende
Stellung im Osten wieder einnehmen. Der Gegensatz zwischen China und
Japan wird für absehbare Zeit ein Hinübergreifen der asiatischen Völker in
die politischen Verhältnisse Europas unmöglich machen. Diese Sorge können
wir deshalb getrost unsern Nachkommen überlassen.

Dagegen ist es richtig, die chinesische und japanische Auswandrung nach
Kräften zu verhindern. In der amerikanischen Union erließ man zuerst Gesetze
gegen die chinesische Einwandrung 1380, dann in Australien, hierauf in
Kanada. Wirth erwähnt, daß die Auswandrung der Chinesen schon im
sechzehnten Jahrhundert begann und sich zunächst nach den asiatischen Inseln
richtete. Einen neuen Anstoß erhielt die Bewegung durch die überseeische
Ausbreitung der Europäer und die Entdeckung von reichen Goldfeldern.
Seit 1848 gingen Zehntausende von Zopfträgern nach Kalifornien, seit den
fünfziger Jahren nach Australien und Australasien, seit 1860 nach dem Ussuri
und Amur und weiter nach Hawaii und Südamerika. Diese Auswandrer
kehrten allerdings fast alle wieder zurück. seßhaft wurden dagegen die
Chinesen in Tonkin. Hinterindien. Arran sowie auf den Philippinen und den
Sundainseln. Für die ältern Ansiedler stellten die Chinesen überall eine ernste
Gefahr dar.

Die japanische Auswandrung begann ebenfalls sehr früh. Lange vor
Kolumbus fuhren japanische Schiffe nach Mexiko, wo Cortez die von ihnen
gebrachten Porzellanvasen vorfand, und nach Kambodscha. Der Japaner
Matsuamai unternahm Ende des fünfzehnten Jahrhunderts einen Zug nach
Sachalin. Man begann mit den Anwohnern des Amur einen regen Handel
und tauschte Jakutenmädchen gegen kostbare Pelze ein. Der Japaner Kiufiro
ging 1613 bis 1615 ebenfalls mit einer Expedition nach Sachalin, das von
Europäern zuerst de Vries 1643 besuchte. Eine nicht unbeträchtliche Aus¬
wandrung fand nach den Philippinen statt. Die Abschließung Japans gegen
das Ausland verhinderte dann lange Zeit hindurch eine Auswandrung, die
erst im letzten Jahrhundert wieder einsetzte und sich bis heute in nie geahnter
Weise gesteigert hat.

Für uns Deutsche ist es besonders lästig, daß die Japaner neuerdings
auch nach Teilen Südamerikas auswandern, die bisher fast ausschließlich von
Europäern besiedelt wurden. Schon jetzt ersieht man aber aus den mexikanischen,
peruanischen und brasilianischen Zeitungen, daß keineswegs alle Teile der Be¬
völkerung mit der japanischen Einwandrung einverstanden sind. Es dürfte sich


Asiatische Probleme

artig angenommen haben, sich organisieren oder gar politisch ans Gängelband
nehmen zu lassen. Es ist ja nicht ausgeschlossen, daß Japan die jetzige mili¬
tärische Schwäche Chinas noch einmal benutzt, um es mit Krieg zu überziehen
und auszuplündern, aber auf die Dauer — und die Weltgeschichte rechnet
nur mit Jahrhunderten — wird China doch über Japan, das nur etwa ein
Zehntel so reich an Menschen und nur etwa ein Fünfzigste! so reich an
Kapital und an Naturschätzen ist, triumphieren und seine frühere dominierende
Stellung im Osten wieder einnehmen. Der Gegensatz zwischen China und
Japan wird für absehbare Zeit ein Hinübergreifen der asiatischen Völker in
die politischen Verhältnisse Europas unmöglich machen. Diese Sorge können
wir deshalb getrost unsern Nachkommen überlassen.

Dagegen ist es richtig, die chinesische und japanische Auswandrung nach
Kräften zu verhindern. In der amerikanischen Union erließ man zuerst Gesetze
gegen die chinesische Einwandrung 1380, dann in Australien, hierauf in
Kanada. Wirth erwähnt, daß die Auswandrung der Chinesen schon im
sechzehnten Jahrhundert begann und sich zunächst nach den asiatischen Inseln
richtete. Einen neuen Anstoß erhielt die Bewegung durch die überseeische
Ausbreitung der Europäer und die Entdeckung von reichen Goldfeldern.
Seit 1848 gingen Zehntausende von Zopfträgern nach Kalifornien, seit den
fünfziger Jahren nach Australien und Australasien, seit 1860 nach dem Ussuri
und Amur und weiter nach Hawaii und Südamerika. Diese Auswandrer
kehrten allerdings fast alle wieder zurück. seßhaft wurden dagegen die
Chinesen in Tonkin. Hinterindien. Arran sowie auf den Philippinen und den
Sundainseln. Für die ältern Ansiedler stellten die Chinesen überall eine ernste
Gefahr dar.

Die japanische Auswandrung begann ebenfalls sehr früh. Lange vor
Kolumbus fuhren japanische Schiffe nach Mexiko, wo Cortez die von ihnen
gebrachten Porzellanvasen vorfand, und nach Kambodscha. Der Japaner
Matsuamai unternahm Ende des fünfzehnten Jahrhunderts einen Zug nach
Sachalin. Man begann mit den Anwohnern des Amur einen regen Handel
und tauschte Jakutenmädchen gegen kostbare Pelze ein. Der Japaner Kiufiro
ging 1613 bis 1615 ebenfalls mit einer Expedition nach Sachalin, das von
Europäern zuerst de Vries 1643 besuchte. Eine nicht unbeträchtliche Aus¬
wandrung fand nach den Philippinen statt. Die Abschließung Japans gegen
das Ausland verhinderte dann lange Zeit hindurch eine Auswandrung, die
erst im letzten Jahrhundert wieder einsetzte und sich bis heute in nie geahnter
Weise gesteigert hat.

Für uns Deutsche ist es besonders lästig, daß die Japaner neuerdings
auch nach Teilen Südamerikas auswandern, die bisher fast ausschließlich von
Europäern besiedelt wurden. Schon jetzt ersieht man aber aus den mexikanischen,
peruanischen und brasilianischen Zeitungen, daß keineswegs alle Teile der Be¬
völkerung mit der japanischen Einwandrung einverstanden sind. Es dürfte sich


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[0027] Asiatische Probleme artig angenommen haben, sich organisieren oder gar politisch ans Gängelband nehmen zu lassen. Es ist ja nicht ausgeschlossen, daß Japan die jetzige mili¬ tärische Schwäche Chinas noch einmal benutzt, um es mit Krieg zu überziehen und auszuplündern, aber auf die Dauer — und die Weltgeschichte rechnet nur mit Jahrhunderten — wird China doch über Japan, das nur etwa ein Zehntel so reich an Menschen und nur etwa ein Fünfzigste! so reich an Kapital und an Naturschätzen ist, triumphieren und seine frühere dominierende Stellung im Osten wieder einnehmen. Der Gegensatz zwischen China und Japan wird für absehbare Zeit ein Hinübergreifen der asiatischen Völker in die politischen Verhältnisse Europas unmöglich machen. Diese Sorge können wir deshalb getrost unsern Nachkommen überlassen. Dagegen ist es richtig, die chinesische und japanische Auswandrung nach Kräften zu verhindern. In der amerikanischen Union erließ man zuerst Gesetze gegen die chinesische Einwandrung 1380, dann in Australien, hierauf in Kanada. Wirth erwähnt, daß die Auswandrung der Chinesen schon im sechzehnten Jahrhundert begann und sich zunächst nach den asiatischen Inseln richtete. Einen neuen Anstoß erhielt die Bewegung durch die überseeische Ausbreitung der Europäer und die Entdeckung von reichen Goldfeldern. Seit 1848 gingen Zehntausende von Zopfträgern nach Kalifornien, seit den fünfziger Jahren nach Australien und Australasien, seit 1860 nach dem Ussuri und Amur und weiter nach Hawaii und Südamerika. Diese Auswandrer kehrten allerdings fast alle wieder zurück. seßhaft wurden dagegen die Chinesen in Tonkin. Hinterindien. Arran sowie auf den Philippinen und den Sundainseln. Für die ältern Ansiedler stellten die Chinesen überall eine ernste Gefahr dar. Die japanische Auswandrung begann ebenfalls sehr früh. Lange vor Kolumbus fuhren japanische Schiffe nach Mexiko, wo Cortez die von ihnen gebrachten Porzellanvasen vorfand, und nach Kambodscha. Der Japaner Matsuamai unternahm Ende des fünfzehnten Jahrhunderts einen Zug nach Sachalin. Man begann mit den Anwohnern des Amur einen regen Handel und tauschte Jakutenmädchen gegen kostbare Pelze ein. Der Japaner Kiufiro ging 1613 bis 1615 ebenfalls mit einer Expedition nach Sachalin, das von Europäern zuerst de Vries 1643 besuchte. Eine nicht unbeträchtliche Aus¬ wandrung fand nach den Philippinen statt. Die Abschließung Japans gegen das Ausland verhinderte dann lange Zeit hindurch eine Auswandrung, die erst im letzten Jahrhundert wieder einsetzte und sich bis heute in nie geahnter Weise gesteigert hat. Für uns Deutsche ist es besonders lästig, daß die Japaner neuerdings auch nach Teilen Südamerikas auswandern, die bisher fast ausschließlich von Europäern besiedelt wurden. Schon jetzt ersieht man aber aus den mexikanischen, peruanischen und brasilianischen Zeitungen, daß keineswegs alle Teile der Be¬ völkerung mit der japanischen Einwandrung einverstanden sind. Es dürfte sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/27>, abgerufen am 15.05.2024.