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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Asiatische Probleme

also dasselbe Schauspiel wie in der Union auch in Südamerika wiederholen
und damit der japanischen Einwandrung ein frühes Ende bereitet werden.
Dagegen wird ihre Einwandrung nach den Philippinen und andern asiatischen
und australasiatischcn Inseln kaum zu verhindern sein. Für die Aankees
waren jedenfalls die Erwerbungen des spanischen Krieges ein richtiges Danaer¬
geschenk.

Mit gleicher Meisterschaft wie die gelbe Gefahr des Ostens beurteilt
Wirth die panislamische Bewegung im Westen Asiens. Ebenso wie M. Hart¬
mann*) faßt er den Islamismus mehr als Kulturbewegung auf, als einen
Reflex und als eine Reaktion auf die christliche Kultur des Abendlandes, die
immer kräftiger auf Asien einzuwirken beginnt. So richtig es aber auch ist,
daß sich der Panislamismus nicht nach der Weltherrschaft reckt, so falsch wäre
es doch, die Kraft der Türkei zu unterschätzen und anzunehmen, daß ihre
asiatischen Besitzungen in absehbarer Zeit die Beute einer europäischen Macht
werden könnten. Militärisch haben die Türken ihre alte Kraft im Russen-
und im Hellenenkrieg aufs neue glänzend bewährt. Auch haben sie alle Ver¬
suche der Christenheit, die armenischen Metzeleien zu rächen, erfolgreich zurück¬
gewiesen. Finanziell haben sie ihre Kraft neuerdings durch den Bau der
Hedschasbahn bewiesen, die ausschließlich mit Subskriptionsgeldern aus der
ganzen islamischen Welt ausgeführt wird und schon ihrer Vollendung ent¬
gegengeht, allerdings nur infolge der Tatkraft des deutschen Ingenieurs
Meißner Pascha. Die Hedschasbahn hat aber nicht nur eine religiöse und
wirtschaftliche, sondern auch eine eminente politische Bedeutung, da durch sie
die strategische Verbindung mit Arabien wiederhergestellt und die britische
Stellung in Ägypten wirksam flankiert wird.

Die Eisenbahnen haben das gesamte wirtschaftliche Leben der Türkei
merkbar gehoben. Für die deutschen Schienenpläne waren die beiden Besuche
des Kaisers von hohem Werte. Die Pforte war, wie Wirth mit Recht be¬
tont, lange Zeit zweifelhaft, ob sie die Taurus- und Bagdadbahn nicht an
England geben sollte. Die Freundschaft des Sultans mit dem Kaiser ließ
1901 die Entscheidung für Deutschland fallen. Vorher waren schon die
anatolischen Bahnen mit deutschem Gelde gebaut. Je dichter aber das asiatische
Eisenbahnnetz der Türkei wird, desto größer wird auch die Möglichkeit für sie,
ihre Truppen zu konzentrieren und an die gerade bedrohte Grenze zu werfen.
Eine europäische Invasion der asiatischen Türkei darf schon jetzt als aus¬
geschlossen betrachtet werden. Von Tag zu Tage mehr wird die Türkei eine
Macht werden, die bei der internationalen Politik eine gewichtige Rolle spielt.
Als eigenstes Verdienst unsers Kaisers muß es gelten, daß er es mit genialen
Blick verstanden hat, sich die Freundschaft des Sultans zur rechten Zeit zu
erwerben.



*) (Zusstiollki äiplomsttiizliös se oolomals", 15. Juli 1901.
Asiatische Probleme

also dasselbe Schauspiel wie in der Union auch in Südamerika wiederholen
und damit der japanischen Einwandrung ein frühes Ende bereitet werden.
Dagegen wird ihre Einwandrung nach den Philippinen und andern asiatischen
und australasiatischcn Inseln kaum zu verhindern sein. Für die Aankees
waren jedenfalls die Erwerbungen des spanischen Krieges ein richtiges Danaer¬
geschenk.

Mit gleicher Meisterschaft wie die gelbe Gefahr des Ostens beurteilt
Wirth die panislamische Bewegung im Westen Asiens. Ebenso wie M. Hart¬
mann*) faßt er den Islamismus mehr als Kulturbewegung auf, als einen
Reflex und als eine Reaktion auf die christliche Kultur des Abendlandes, die
immer kräftiger auf Asien einzuwirken beginnt. So richtig es aber auch ist,
daß sich der Panislamismus nicht nach der Weltherrschaft reckt, so falsch wäre
es doch, die Kraft der Türkei zu unterschätzen und anzunehmen, daß ihre
asiatischen Besitzungen in absehbarer Zeit die Beute einer europäischen Macht
werden könnten. Militärisch haben die Türken ihre alte Kraft im Russen-
und im Hellenenkrieg aufs neue glänzend bewährt. Auch haben sie alle Ver¬
suche der Christenheit, die armenischen Metzeleien zu rächen, erfolgreich zurück¬
gewiesen. Finanziell haben sie ihre Kraft neuerdings durch den Bau der
Hedschasbahn bewiesen, die ausschließlich mit Subskriptionsgeldern aus der
ganzen islamischen Welt ausgeführt wird und schon ihrer Vollendung ent¬
gegengeht, allerdings nur infolge der Tatkraft des deutschen Ingenieurs
Meißner Pascha. Die Hedschasbahn hat aber nicht nur eine religiöse und
wirtschaftliche, sondern auch eine eminente politische Bedeutung, da durch sie
die strategische Verbindung mit Arabien wiederhergestellt und die britische
Stellung in Ägypten wirksam flankiert wird.

Die Eisenbahnen haben das gesamte wirtschaftliche Leben der Türkei
merkbar gehoben. Für die deutschen Schienenpläne waren die beiden Besuche
des Kaisers von hohem Werte. Die Pforte war, wie Wirth mit Recht be¬
tont, lange Zeit zweifelhaft, ob sie die Taurus- und Bagdadbahn nicht an
England geben sollte. Die Freundschaft des Sultans mit dem Kaiser ließ
1901 die Entscheidung für Deutschland fallen. Vorher waren schon die
anatolischen Bahnen mit deutschem Gelde gebaut. Je dichter aber das asiatische
Eisenbahnnetz der Türkei wird, desto größer wird auch die Möglichkeit für sie,
ihre Truppen zu konzentrieren und an die gerade bedrohte Grenze zu werfen.
Eine europäische Invasion der asiatischen Türkei darf schon jetzt als aus¬
geschlossen betrachtet werden. Von Tag zu Tage mehr wird die Türkei eine
Macht werden, die bei der internationalen Politik eine gewichtige Rolle spielt.
Als eigenstes Verdienst unsers Kaisers muß es gelten, daß er es mit genialen
Blick verstanden hat, sich die Freundschaft des Sultans zur rechten Zeit zu
erwerben.



*) (Zusstiollki äiplomsttiizliös se oolomals», 15. Juli 1901.
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[0028] Asiatische Probleme also dasselbe Schauspiel wie in der Union auch in Südamerika wiederholen und damit der japanischen Einwandrung ein frühes Ende bereitet werden. Dagegen wird ihre Einwandrung nach den Philippinen und andern asiatischen und australasiatischcn Inseln kaum zu verhindern sein. Für die Aankees waren jedenfalls die Erwerbungen des spanischen Krieges ein richtiges Danaer¬ geschenk. Mit gleicher Meisterschaft wie die gelbe Gefahr des Ostens beurteilt Wirth die panislamische Bewegung im Westen Asiens. Ebenso wie M. Hart¬ mann*) faßt er den Islamismus mehr als Kulturbewegung auf, als einen Reflex und als eine Reaktion auf die christliche Kultur des Abendlandes, die immer kräftiger auf Asien einzuwirken beginnt. So richtig es aber auch ist, daß sich der Panislamismus nicht nach der Weltherrschaft reckt, so falsch wäre es doch, die Kraft der Türkei zu unterschätzen und anzunehmen, daß ihre asiatischen Besitzungen in absehbarer Zeit die Beute einer europäischen Macht werden könnten. Militärisch haben die Türken ihre alte Kraft im Russen- und im Hellenenkrieg aufs neue glänzend bewährt. Auch haben sie alle Ver¬ suche der Christenheit, die armenischen Metzeleien zu rächen, erfolgreich zurück¬ gewiesen. Finanziell haben sie ihre Kraft neuerdings durch den Bau der Hedschasbahn bewiesen, die ausschließlich mit Subskriptionsgeldern aus der ganzen islamischen Welt ausgeführt wird und schon ihrer Vollendung ent¬ gegengeht, allerdings nur infolge der Tatkraft des deutschen Ingenieurs Meißner Pascha. Die Hedschasbahn hat aber nicht nur eine religiöse und wirtschaftliche, sondern auch eine eminente politische Bedeutung, da durch sie die strategische Verbindung mit Arabien wiederhergestellt und die britische Stellung in Ägypten wirksam flankiert wird. Die Eisenbahnen haben das gesamte wirtschaftliche Leben der Türkei merkbar gehoben. Für die deutschen Schienenpläne waren die beiden Besuche des Kaisers von hohem Werte. Die Pforte war, wie Wirth mit Recht be¬ tont, lange Zeit zweifelhaft, ob sie die Taurus- und Bagdadbahn nicht an England geben sollte. Die Freundschaft des Sultans mit dem Kaiser ließ 1901 die Entscheidung für Deutschland fallen. Vorher waren schon die anatolischen Bahnen mit deutschem Gelde gebaut. Je dichter aber das asiatische Eisenbahnnetz der Türkei wird, desto größer wird auch die Möglichkeit für sie, ihre Truppen zu konzentrieren und an die gerade bedrohte Grenze zu werfen. Eine europäische Invasion der asiatischen Türkei darf schon jetzt als aus¬ geschlossen betrachtet werden. Von Tag zu Tage mehr wird die Türkei eine Macht werden, die bei der internationalen Politik eine gewichtige Rolle spielt. Als eigenstes Verdienst unsers Kaisers muß es gelten, daß er es mit genialen Blick verstanden hat, sich die Freundschaft des Sultans zur rechten Zeit zu erwerben. *) (Zusstiollki äiplomsttiizliös se oolomals», 15. Juli 1901.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/28>, abgerufen am 22.05.2024.