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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Das Gerichtswesen bei den Negern in Britisch-Zentralafrika

bringung von Gründen für und wider ist bewundernswert. Darin zeichnen
sich nicht nur die beiden Parteien aus, nein sogar die Natsmänner, die, mit
Ausnahme des Häuptlings, auch meist Parteigänger sind, lassen nichts zu
wünschen übrig. Die Anwälte, zumeist ältere, erfahrne Männer aus der Ver¬
wandtschaft, plädieren -- Frauen dürfen ihre Fälle vor Gericht nur durch
Männer vertreten lassen --; der Häuptling fällt sein Urteil und sorgt sofort
für die Vollstreckung. Die Entscheidung wird im allgemeinen weise gefällt.
Die Neger verstehn in der Tat, fein zu differenzieren, und uns sind mehrere
salomonische Urteile bekannt. Daher kommt es, daß weitaus in den meisten
Fällen die Sprüche des Dorfgerichts von beiden Parteien angenommen werden.
Es geschieht jedoch auch, daß der Verurteilte seiner Gemeinschaft entflieht und
von neuem sein Recht bei einem andern Potentaten sucht.

Man verfährt in vorstehender Weise bei allgemeinen Fällen von nicht
großer Bedeutung. Ist jedoch eine Sache für das Wohl eines größern
Distrikts oder gar eines Stammes von besondrer Bedeutung, so wird der
Häuptling eines solchen Distrikts, umgeben von seinen Unterhäuptlingen,
schließlich aber der erste Häuptling selbst das Recht sprechen und das Urteil
ausführen. Die Argumente sind dann äußerst subtil und sehr anschaulich.
In den Dörfern nahe bei dem Aufenthaltsort eines größern Häuptlings wird
gleich direkt dessen Entscheidung angerufen.

Hieraus geht hervor, daß eine gewisse Gerichtsführung dem Neger wohl
bekannt ist. Von Natur aus träge und faul, furchtsam und gleichgiltig, zieht
er es vor, sich dem Urteile seiner ihn streng, fast autokratisch regierenden
Häuptlinge zu unterwerfen. Ihre Entscheidung ist endgiltig. Die mächtigen
"Könige" der großen Stämme wie Angoni, Aw-emba, Mcikololo usw. jedoch
kümmern sich nicht um einen "Gerichtsrat", ihr Wille ist Gesetz. Berichtet
doch Sir Harry Johnston, daß vor nicht ganz zehn Jahren noch bei den
A-lunda- und Aw-cmbanegern Hände und Ohren für ganz geringe Vergehen
abgeschnitten wurden. Doch diese Fälle sind selten und als Ausnahme zu
betrachten; meist wird der Häuptling nicht so despotisch regieren und wichtige
Urteile nur dann füllen und vollstrecken, sobald er seine Unterhäuptlinge und
andre Ratgeber befragt hat.

Oft wird bei Verbrechen eine Art "Gottesurteil" angewandt. Fast im
ganzen heidnischen Afrika ist es den Negern bekannt und wird allgemein ge¬
braucht. Es ist eine furchtbar grausame, schreckliche Methode. Beschuldigt
jemand einen andern Menschen, ihn durch Zauberei krank gemacht oder
vielleicht sein Weib zur Untreue verführt zu haben, so muß der Angeklagte
Gift nehmen. Überall wird dasselbe Gift zu diesem Zwecke benutzt. In
Britisch-Zentralafrika ist es als Muavi oder Mwai bekannt. Es wird aus
der Rinde des Lr^tnropvleuro. xnineensö zubereitet, indem die Rinde in einem
kleinen hölzernen Mörser mit einem hölzernen Stößel zerrieben wird. Soll
das furchtbare Muavi gegeben werden, so rührt der Giftmischer, oft ein altes


Das Gerichtswesen bei den Negern in Britisch-Zentralafrika

bringung von Gründen für und wider ist bewundernswert. Darin zeichnen
sich nicht nur die beiden Parteien aus, nein sogar die Natsmänner, die, mit
Ausnahme des Häuptlings, auch meist Parteigänger sind, lassen nichts zu
wünschen übrig. Die Anwälte, zumeist ältere, erfahrne Männer aus der Ver¬
wandtschaft, plädieren — Frauen dürfen ihre Fälle vor Gericht nur durch
Männer vertreten lassen —; der Häuptling fällt sein Urteil und sorgt sofort
für die Vollstreckung. Die Entscheidung wird im allgemeinen weise gefällt.
Die Neger verstehn in der Tat, fein zu differenzieren, und uns sind mehrere
salomonische Urteile bekannt. Daher kommt es, daß weitaus in den meisten
Fällen die Sprüche des Dorfgerichts von beiden Parteien angenommen werden.
Es geschieht jedoch auch, daß der Verurteilte seiner Gemeinschaft entflieht und
von neuem sein Recht bei einem andern Potentaten sucht.

Man verfährt in vorstehender Weise bei allgemeinen Fällen von nicht
großer Bedeutung. Ist jedoch eine Sache für das Wohl eines größern
Distrikts oder gar eines Stammes von besondrer Bedeutung, so wird der
Häuptling eines solchen Distrikts, umgeben von seinen Unterhäuptlingen,
schließlich aber der erste Häuptling selbst das Recht sprechen und das Urteil
ausführen. Die Argumente sind dann äußerst subtil und sehr anschaulich.
In den Dörfern nahe bei dem Aufenthaltsort eines größern Häuptlings wird
gleich direkt dessen Entscheidung angerufen.

Hieraus geht hervor, daß eine gewisse Gerichtsführung dem Neger wohl
bekannt ist. Von Natur aus träge und faul, furchtsam und gleichgiltig, zieht
er es vor, sich dem Urteile seiner ihn streng, fast autokratisch regierenden
Häuptlinge zu unterwerfen. Ihre Entscheidung ist endgiltig. Die mächtigen
„Könige" der großen Stämme wie Angoni, Aw-emba, Mcikololo usw. jedoch
kümmern sich nicht um einen „Gerichtsrat", ihr Wille ist Gesetz. Berichtet
doch Sir Harry Johnston, daß vor nicht ganz zehn Jahren noch bei den
A-lunda- und Aw-cmbanegern Hände und Ohren für ganz geringe Vergehen
abgeschnitten wurden. Doch diese Fälle sind selten und als Ausnahme zu
betrachten; meist wird der Häuptling nicht so despotisch regieren und wichtige
Urteile nur dann füllen und vollstrecken, sobald er seine Unterhäuptlinge und
andre Ratgeber befragt hat.

Oft wird bei Verbrechen eine Art „Gottesurteil" angewandt. Fast im
ganzen heidnischen Afrika ist es den Negern bekannt und wird allgemein ge¬
braucht. Es ist eine furchtbar grausame, schreckliche Methode. Beschuldigt
jemand einen andern Menschen, ihn durch Zauberei krank gemacht oder
vielleicht sein Weib zur Untreue verführt zu haben, so muß der Angeklagte
Gift nehmen. Überall wird dasselbe Gift zu diesem Zwecke benutzt. In
Britisch-Zentralafrika ist es als Muavi oder Mwai bekannt. Es wird aus
der Rinde des Lr^tnropvleuro. xnineensö zubereitet, indem die Rinde in einem
kleinen hölzernen Mörser mit einem hölzernen Stößel zerrieben wird. Soll
das furchtbare Muavi gegeben werden, so rührt der Giftmischer, oft ein altes


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/32>, abgerufen am 16.05.2024.