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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Das Gerichtswesen bei den Negern in Britisch-Zentralafrika

Weib, die gewonnene Substanz mit Wasser an, und die frisch zubereitete
Flüssigkeit muß der Angeklagte trinken. Gibt der Giftmischer eine kleinere
Dosis, so wird das Gift wieder ausgebrochen, hat der Mischer aber eine Ab¬
neigung gegen den armen Angeklagten, so gibt er eine größere Dosis, die in
kurzer Zeit sicher den Tod herbeiführt. Diese Methode wird meist dann
gebraucht, wenn der Häuptling bei schwierigen Fällen nicht wagt, ein Todes¬
urteil auszusprechen. Es werden aber auch andre Arten "Gottesurteile" heraus¬
gefordert, um die Schuld oder Unschuld eines des Diebstayls oder des Ehe¬
bruchs angeklagten zu beweisen. Die Hand zum Beispiel wird in kochendes
Wasser gehalten.

Der Neger fällt ungern ein Todesurteil. Ist es aber ausgesprochen,
und ist der Angeklagte unfähig, das Mucwigift wieder auszubrechen, so läßt
der Blutdurst des Negers und die Freude an den Qualen andrer die Aus¬
führung äußerst grausam werden. Der Unglückliche wird von der ihn um¬
gebenden Menge überfallen, mit Speeren durchstochen, zertreten und zuletzt
geköpft. Verurteilte Zauberer und Ehebrecher werden verbrannt.

Nun. nachdem Missionen im Lande ihre Arbeiten aufgenommen, nachdem
die Engländer seit zehn Jahren dem Protektorat eine geordnete Verwaltung
gegeben und das Land fast ganz pazifiziert haben, hat dieser grausame, rohe
Zustand aufgehört. Die Häuptlinge haben an Ansehen verloren, und all¬
mählich hat die Negierung das Justizwesen in ihre Hände genommen. In wie
glücklicher Weise sie diese Aufgabe durchgeführt und gelöst hat. soll im nach¬
stehenden geschildert werden. Die Justizverwaltung, soweit die Neger in Frage
kommen, liegt in den Händen der "Collectors"; in Deutsch-Ostafrika würden
wir Bezirksamtmann sagen. Der Collector residiert in den größern Plätzen
der verschiednen Bezirke. Wir haben hier die bemerkenswerte Tatsache, daß
eine Anzahl Engländer, deren eine Aufgabe ist, die Hüttensteuer einzutreiben,
Wege zu bauen und in Ordnung zu halten, andrerseits ohne besondre juristische
Ausbildung hier draußen in der patriarchalischsten Weise über nahezu eine
Million Menschen einer ganz verschiednen Rasse Recht sprechen. Nur Todes¬
urteile und etwa verhängte Gefängnisstrafen für eine Reihe von Jahren sollen
vom Richter des obersten Gerichtshofes in Blantyre sowie vom "Commissioner",
d. i. Gouverneur des Protektorats, bestätigt werden. In allen andern Fällen,
d. h. in solchen, die im Leben des Negers beständig vorkommen, ist die
Autorität des Collectors supreme und seine Entscheidungen unanfechtbar.
Natürlich werden Gerichtsfälle unter Europäern oder solche Fälle, in die Weiße
verwickelt, und für deren Entscheidung juristische Kenntnisse absolut notwendig
sind, dem Richter des obersten Gerichtshofes überwiesen.

Von Leuten zu Hause, die mit den Verhältnissen in Zentralafrika nicht
vertraut sind, könnte nun der Einwurf erhoben werden, daß ein System, in
dem nicht juristisch gebildete Weiße den Negern Recht sprechen, in sich ge¬
wisse Gefahren bergen könnte. Tatsächlich aber hat die Negierung mit der


Grenzboten 11 1908 4
Das Gerichtswesen bei den Negern in Britisch-Zentralafrika

Weib, die gewonnene Substanz mit Wasser an, und die frisch zubereitete
Flüssigkeit muß der Angeklagte trinken. Gibt der Giftmischer eine kleinere
Dosis, so wird das Gift wieder ausgebrochen, hat der Mischer aber eine Ab¬
neigung gegen den armen Angeklagten, so gibt er eine größere Dosis, die in
kurzer Zeit sicher den Tod herbeiführt. Diese Methode wird meist dann
gebraucht, wenn der Häuptling bei schwierigen Fällen nicht wagt, ein Todes¬
urteil auszusprechen. Es werden aber auch andre Arten „Gottesurteile" heraus¬
gefordert, um die Schuld oder Unschuld eines des Diebstayls oder des Ehe¬
bruchs angeklagten zu beweisen. Die Hand zum Beispiel wird in kochendes
Wasser gehalten.

Der Neger fällt ungern ein Todesurteil. Ist es aber ausgesprochen,
und ist der Angeklagte unfähig, das Mucwigift wieder auszubrechen, so läßt
der Blutdurst des Negers und die Freude an den Qualen andrer die Aus¬
führung äußerst grausam werden. Der Unglückliche wird von der ihn um¬
gebenden Menge überfallen, mit Speeren durchstochen, zertreten und zuletzt
geköpft. Verurteilte Zauberer und Ehebrecher werden verbrannt.

Nun. nachdem Missionen im Lande ihre Arbeiten aufgenommen, nachdem
die Engländer seit zehn Jahren dem Protektorat eine geordnete Verwaltung
gegeben und das Land fast ganz pazifiziert haben, hat dieser grausame, rohe
Zustand aufgehört. Die Häuptlinge haben an Ansehen verloren, und all¬
mählich hat die Negierung das Justizwesen in ihre Hände genommen. In wie
glücklicher Weise sie diese Aufgabe durchgeführt und gelöst hat. soll im nach¬
stehenden geschildert werden. Die Justizverwaltung, soweit die Neger in Frage
kommen, liegt in den Händen der „Collectors"; in Deutsch-Ostafrika würden
wir Bezirksamtmann sagen. Der Collector residiert in den größern Plätzen
der verschiednen Bezirke. Wir haben hier die bemerkenswerte Tatsache, daß
eine Anzahl Engländer, deren eine Aufgabe ist, die Hüttensteuer einzutreiben,
Wege zu bauen und in Ordnung zu halten, andrerseits ohne besondre juristische
Ausbildung hier draußen in der patriarchalischsten Weise über nahezu eine
Million Menschen einer ganz verschiednen Rasse Recht sprechen. Nur Todes¬
urteile und etwa verhängte Gefängnisstrafen für eine Reihe von Jahren sollen
vom Richter des obersten Gerichtshofes in Blantyre sowie vom „Commissioner",
d. i. Gouverneur des Protektorats, bestätigt werden. In allen andern Fällen,
d. h. in solchen, die im Leben des Negers beständig vorkommen, ist die
Autorität des Collectors supreme und seine Entscheidungen unanfechtbar.
Natürlich werden Gerichtsfälle unter Europäern oder solche Fälle, in die Weiße
verwickelt, und für deren Entscheidung juristische Kenntnisse absolut notwendig
sind, dem Richter des obersten Gerichtshofes überwiesen.

Von Leuten zu Hause, die mit den Verhältnissen in Zentralafrika nicht
vertraut sind, könnte nun der Einwurf erhoben werden, daß ein System, in
dem nicht juristisch gebildete Weiße den Negern Recht sprechen, in sich ge¬
wisse Gefahren bergen könnte. Tatsächlich aber hat die Negierung mit der


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[0033] Das Gerichtswesen bei den Negern in Britisch-Zentralafrika Weib, die gewonnene Substanz mit Wasser an, und die frisch zubereitete Flüssigkeit muß der Angeklagte trinken. Gibt der Giftmischer eine kleinere Dosis, so wird das Gift wieder ausgebrochen, hat der Mischer aber eine Ab¬ neigung gegen den armen Angeklagten, so gibt er eine größere Dosis, die in kurzer Zeit sicher den Tod herbeiführt. Diese Methode wird meist dann gebraucht, wenn der Häuptling bei schwierigen Fällen nicht wagt, ein Todes¬ urteil auszusprechen. Es werden aber auch andre Arten „Gottesurteile" heraus¬ gefordert, um die Schuld oder Unschuld eines des Diebstayls oder des Ehe¬ bruchs angeklagten zu beweisen. Die Hand zum Beispiel wird in kochendes Wasser gehalten. Der Neger fällt ungern ein Todesurteil. Ist es aber ausgesprochen, und ist der Angeklagte unfähig, das Mucwigift wieder auszubrechen, so läßt der Blutdurst des Negers und die Freude an den Qualen andrer die Aus¬ führung äußerst grausam werden. Der Unglückliche wird von der ihn um¬ gebenden Menge überfallen, mit Speeren durchstochen, zertreten und zuletzt geköpft. Verurteilte Zauberer und Ehebrecher werden verbrannt. Nun. nachdem Missionen im Lande ihre Arbeiten aufgenommen, nachdem die Engländer seit zehn Jahren dem Protektorat eine geordnete Verwaltung gegeben und das Land fast ganz pazifiziert haben, hat dieser grausame, rohe Zustand aufgehört. Die Häuptlinge haben an Ansehen verloren, und all¬ mählich hat die Negierung das Justizwesen in ihre Hände genommen. In wie glücklicher Weise sie diese Aufgabe durchgeführt und gelöst hat. soll im nach¬ stehenden geschildert werden. Die Justizverwaltung, soweit die Neger in Frage kommen, liegt in den Händen der „Collectors"; in Deutsch-Ostafrika würden wir Bezirksamtmann sagen. Der Collector residiert in den größern Plätzen der verschiednen Bezirke. Wir haben hier die bemerkenswerte Tatsache, daß eine Anzahl Engländer, deren eine Aufgabe ist, die Hüttensteuer einzutreiben, Wege zu bauen und in Ordnung zu halten, andrerseits ohne besondre juristische Ausbildung hier draußen in der patriarchalischsten Weise über nahezu eine Million Menschen einer ganz verschiednen Rasse Recht sprechen. Nur Todes¬ urteile und etwa verhängte Gefängnisstrafen für eine Reihe von Jahren sollen vom Richter des obersten Gerichtshofes in Blantyre sowie vom „Commissioner", d. i. Gouverneur des Protektorats, bestätigt werden. In allen andern Fällen, d. h. in solchen, die im Leben des Negers beständig vorkommen, ist die Autorität des Collectors supreme und seine Entscheidungen unanfechtbar. Natürlich werden Gerichtsfälle unter Europäern oder solche Fälle, in die Weiße verwickelt, und für deren Entscheidung juristische Kenntnisse absolut notwendig sind, dem Richter des obersten Gerichtshofes überwiesen. Von Leuten zu Hause, die mit den Verhältnissen in Zentralafrika nicht vertraut sind, könnte nun der Einwurf erhoben werden, daß ein System, in dem nicht juristisch gebildete Weiße den Negern Recht sprechen, in sich ge¬ wisse Gefahren bergen könnte. Tatsächlich aber hat die Negierung mit der Grenzboten 11 1908 4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/33>, abgerufen am 22.05.2024.