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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Das Gerichtswesen bei den Negern in Britisch-Zentralafrika

Neger noch heute in geheimer Weise, ohne daß jemals etwas zu unsrer
Kenntnis davon gelangt, getötet werden. Eine der entsetzlichsten Methoden ist
bekannt unter dem Namen ssvaterg,. Das unglückliche Opfer wird gebunden
und geknebelt und durch allmähliches Einführen eines Grashalmes oder spitzen
Stabes in den Körper getötet. Wird diese äußerst grausame Operation mit
der nötigen Sorgfalt ausgeführt, so wird, nach H. L. Duff, dieses Verbrechen
niemals aufgeklärt werden können, denn der Körper zeigt keine äußern Merk¬
male dieser furchtbaren Quälerei. Die Wirkung des schrecklichen Giftes
Muavi wurde früher oft als Gottesgericht angesehen. Glücklicherweise ist
durch Aufklärung seitens der Missionen und durch nachdrückliche Bestrafung
solcher Giftmischer durch die Regierung der Gebrauch des Muavi bedeutend
zurückgegangen. War es doch nach Sir Harry Johnston in früherer Zeit die
Ursache von mehr als der Hälfte aller Todesfälle; es starben viel weniger
Menschen zum Beispiel durch die immer im Lande wütenden Kriege oder gar
durch natürliche Ursachen.

Da das Negergesetz einem Beleidigten oder Bestohlnen im Falle von
Ehebruch, Verführung oder Diebstahl gestattete, sich sein Recht selbst zu holen,
so waren Totschlüge sehr häufig. Es ist ja für diese Selbsthilfe auch eine
gewisse Berechtigung vorhanden -- bei unsern Ehrbegriffen daheim zum Bei¬
spiel wird ein in der Ehe betrogner, falls er ein schlechter Schütze ist,
außerdem noch vom Verführer im Duell erschossen! Abgesehen vom Totschläge
käme für unsre Betrachtung als größtes Verbrechen noch die Sklaverei hinzu.
In den Grenzen dieses Landes ist sie jedoch in keiner Weise mehr vorhanden.*)
Es kommen jedoch sehr häufig bei den zentralafrikanischen Negern Überfälle
und Schlägereien vor. Wir kennen aber nur sehr wenig Fülle, in denen
Weiße von Schwarzen angegriffen oder auch nur bedroht wurden.

Früher wurde der geringste Diebstahl nach Negergesetz mit dem Tode be¬
straft; heute hat eine humanere Auffassung Platz gegriffen. In den letzten
Jahren sind die vor der sogenannten Bona, dem Negierungswohnsitz des
Collectors, verhandelten Diebstahlfälle erschrecklich angewachsen, was teil¬
weise der milden Beurteilung der Diebstähle durch die Europäer zuzuschreiben
ist. Früher unweigerlich dem Tode verfallen, wird heute der schwarze Dieb
in saubere Gefängnisse gesteckt, erhält dort reichliche Nahrung und ausreichende
Ruhe. Was will der Neger mehr? Er betrachtet darum eine Gefängnisstrafe
als nichts Entehrendes; im Gegenteil, die sorgsame Behandlung durch den
Weißen läßt ihn die Gefängniszeit als eine Sommerfrische, wie Dr. Karl Peters
sagte, als eine gewisse Erholung erscheinen. Leider hat man im Britisch-
Zentralafrika-Protektorate versuchsweise die Strafe durch Peitschenhiebe (mit
der Nilpferdpeitsche: Kiboto) vor wenig Jahren ausgegeben. Es hat sich dieses



*) Im englischen Parlament wird jetzt über die Aufhebung des gesetzlichen Zustandes
der Sklaverei an dem Sansibarküstenstreifen vom 1- Oktober d. I. an verhandelt.
Das Gerichtswesen bei den Negern in Britisch-Zentralafrika

Neger noch heute in geheimer Weise, ohne daß jemals etwas zu unsrer
Kenntnis davon gelangt, getötet werden. Eine der entsetzlichsten Methoden ist
bekannt unter dem Namen ssvaterg,. Das unglückliche Opfer wird gebunden
und geknebelt und durch allmähliches Einführen eines Grashalmes oder spitzen
Stabes in den Körper getötet. Wird diese äußerst grausame Operation mit
der nötigen Sorgfalt ausgeführt, so wird, nach H. L. Duff, dieses Verbrechen
niemals aufgeklärt werden können, denn der Körper zeigt keine äußern Merk¬
male dieser furchtbaren Quälerei. Die Wirkung des schrecklichen Giftes
Muavi wurde früher oft als Gottesgericht angesehen. Glücklicherweise ist
durch Aufklärung seitens der Missionen und durch nachdrückliche Bestrafung
solcher Giftmischer durch die Regierung der Gebrauch des Muavi bedeutend
zurückgegangen. War es doch nach Sir Harry Johnston in früherer Zeit die
Ursache von mehr als der Hälfte aller Todesfälle; es starben viel weniger
Menschen zum Beispiel durch die immer im Lande wütenden Kriege oder gar
durch natürliche Ursachen.

Da das Negergesetz einem Beleidigten oder Bestohlnen im Falle von
Ehebruch, Verführung oder Diebstahl gestattete, sich sein Recht selbst zu holen,
so waren Totschlüge sehr häufig. Es ist ja für diese Selbsthilfe auch eine
gewisse Berechtigung vorhanden — bei unsern Ehrbegriffen daheim zum Bei¬
spiel wird ein in der Ehe betrogner, falls er ein schlechter Schütze ist,
außerdem noch vom Verführer im Duell erschossen! Abgesehen vom Totschläge
käme für unsre Betrachtung als größtes Verbrechen noch die Sklaverei hinzu.
In den Grenzen dieses Landes ist sie jedoch in keiner Weise mehr vorhanden.*)
Es kommen jedoch sehr häufig bei den zentralafrikanischen Negern Überfälle
und Schlägereien vor. Wir kennen aber nur sehr wenig Fülle, in denen
Weiße von Schwarzen angegriffen oder auch nur bedroht wurden.

Früher wurde der geringste Diebstahl nach Negergesetz mit dem Tode be¬
straft; heute hat eine humanere Auffassung Platz gegriffen. In den letzten
Jahren sind die vor der sogenannten Bona, dem Negierungswohnsitz des
Collectors, verhandelten Diebstahlfälle erschrecklich angewachsen, was teil¬
weise der milden Beurteilung der Diebstähle durch die Europäer zuzuschreiben
ist. Früher unweigerlich dem Tode verfallen, wird heute der schwarze Dieb
in saubere Gefängnisse gesteckt, erhält dort reichliche Nahrung und ausreichende
Ruhe. Was will der Neger mehr? Er betrachtet darum eine Gefängnisstrafe
als nichts Entehrendes; im Gegenteil, die sorgsame Behandlung durch den
Weißen läßt ihn die Gefängniszeit als eine Sommerfrische, wie Dr. Karl Peters
sagte, als eine gewisse Erholung erscheinen. Leider hat man im Britisch-
Zentralafrika-Protektorate versuchsweise die Strafe durch Peitschenhiebe (mit
der Nilpferdpeitsche: Kiboto) vor wenig Jahren ausgegeben. Es hat sich dieses



*) Im englischen Parlament wird jetzt über die Aufhebung des gesetzlichen Zustandes
der Sklaverei an dem Sansibarküstenstreifen vom 1- Oktober d. I. an verhandelt.
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[0035] Das Gerichtswesen bei den Negern in Britisch-Zentralafrika Neger noch heute in geheimer Weise, ohne daß jemals etwas zu unsrer Kenntnis davon gelangt, getötet werden. Eine der entsetzlichsten Methoden ist bekannt unter dem Namen ssvaterg,. Das unglückliche Opfer wird gebunden und geknebelt und durch allmähliches Einführen eines Grashalmes oder spitzen Stabes in den Körper getötet. Wird diese äußerst grausame Operation mit der nötigen Sorgfalt ausgeführt, so wird, nach H. L. Duff, dieses Verbrechen niemals aufgeklärt werden können, denn der Körper zeigt keine äußern Merk¬ male dieser furchtbaren Quälerei. Die Wirkung des schrecklichen Giftes Muavi wurde früher oft als Gottesgericht angesehen. Glücklicherweise ist durch Aufklärung seitens der Missionen und durch nachdrückliche Bestrafung solcher Giftmischer durch die Regierung der Gebrauch des Muavi bedeutend zurückgegangen. War es doch nach Sir Harry Johnston in früherer Zeit die Ursache von mehr als der Hälfte aller Todesfälle; es starben viel weniger Menschen zum Beispiel durch die immer im Lande wütenden Kriege oder gar durch natürliche Ursachen. Da das Negergesetz einem Beleidigten oder Bestohlnen im Falle von Ehebruch, Verführung oder Diebstahl gestattete, sich sein Recht selbst zu holen, so waren Totschlüge sehr häufig. Es ist ja für diese Selbsthilfe auch eine gewisse Berechtigung vorhanden — bei unsern Ehrbegriffen daheim zum Bei¬ spiel wird ein in der Ehe betrogner, falls er ein schlechter Schütze ist, außerdem noch vom Verführer im Duell erschossen! Abgesehen vom Totschläge käme für unsre Betrachtung als größtes Verbrechen noch die Sklaverei hinzu. In den Grenzen dieses Landes ist sie jedoch in keiner Weise mehr vorhanden.*) Es kommen jedoch sehr häufig bei den zentralafrikanischen Negern Überfälle und Schlägereien vor. Wir kennen aber nur sehr wenig Fülle, in denen Weiße von Schwarzen angegriffen oder auch nur bedroht wurden. Früher wurde der geringste Diebstahl nach Negergesetz mit dem Tode be¬ straft; heute hat eine humanere Auffassung Platz gegriffen. In den letzten Jahren sind die vor der sogenannten Bona, dem Negierungswohnsitz des Collectors, verhandelten Diebstahlfälle erschrecklich angewachsen, was teil¬ weise der milden Beurteilung der Diebstähle durch die Europäer zuzuschreiben ist. Früher unweigerlich dem Tode verfallen, wird heute der schwarze Dieb in saubere Gefängnisse gesteckt, erhält dort reichliche Nahrung und ausreichende Ruhe. Was will der Neger mehr? Er betrachtet darum eine Gefängnisstrafe als nichts Entehrendes; im Gegenteil, die sorgsame Behandlung durch den Weißen läßt ihn die Gefängniszeit als eine Sommerfrische, wie Dr. Karl Peters sagte, als eine gewisse Erholung erscheinen. Leider hat man im Britisch- Zentralafrika-Protektorate versuchsweise die Strafe durch Peitschenhiebe (mit der Nilpferdpeitsche: Kiboto) vor wenig Jahren ausgegeben. Es hat sich dieses *) Im englischen Parlament wird jetzt über die Aufhebung des gesetzlichen Zustandes der Sklaverei an dem Sansibarküstenstreifen vom 1- Oktober d. I. an verhandelt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/35>, abgerufen am 22.05.2024.