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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Das Gerichtswesen bei den Negern in Britisch > Zentralafrika

Einführung dieses Systems eine sehr glückliche Hand gehabt; es arbeitet in
geradezu idealer Weise mit dem größten Erfolge. Um jedoch diesen zu er¬
reichen, müssen alle Collectors eine Prüfung in der Landessprache Chi-
Nyanja, früher sogar noch in Ki-Suahili ablegen. Den jungen Engländern,
die ohne Vorkenntnisse in der Landessprache von der britischen Regierung
hierher geschickt werden, wird ein Jahr Zeit gegeben, sich die nötigen Kennt¬
nisse in der Sprache, in den Sitten und Gebräuchen dieser Neger anzueignen.
Nachdem sie dann die so erworbnen Kenntnisse durch die erwähnte, nicht leichte
Prüfung bewiesen haben, werden sie zu "Assistant Collectors" ernannt und
dem Collector eines größern Distrikts zur weitern Unterweisung beigeordnet,
oder ihnen wird in manchen Fällen schon ein kleinerer Posten als selbständiger
Collector anvertraut.

Nun, die Neger haben sich schnell daran gewöhnt, daß jetzt der Weiße
ihnen Recht spricht, denn sie beugen sich willig dem jeweilig herrschenden
infolge ihrer minderwertigen Charaktereigenschaften. Weiter haben sie nach
und nach eingesehen, daß der Weiße unparteiisch in jeder Richtung urteilt.
Einst dem Spruche ihrer Häuptlinge unterworfen, die, als in der Gemeinschaft
lebend, doch mehr oder weniger am Ausgange des Streitfalles interessiert
waren, sind die Neger jetzt von der vollkommnen Aufrichtigkeit und Ehrlich¬
keit des weißen Richters überzeugt. Ja sie haben ein so großes Vertrauen
in ihn, daß, wie uns H. L. Duff in seinem Buche über Nyassaland berichtet,
zwei Neger einst aus einem sechzig Kilometer entfernten Dorfe zu ihm kamen,
um ihn einen ausgebrochnen Zank über den Besitz einiger Fische im Werte
von zehn bis zwanzig Pfennigen schlichten zu lassen. Natürlich wird eine
Entschädigung vom Neger für die Bemühung eines Collectors nicht ver¬
langt. Daher kommt es auch, daß die Neger, schon durch ihre Freude an
Prozessen und an der dadurch verursachten Aufregung, eifrigen und häufigen
Gebrauch von diesen Gerichten machen.

Wir wollen jetzt auf die verschiednen am Gerichte vorkommenden Fälle
eingehn. Sie sind sehr einfach, denn alle Neger haben mehr oder weniger
dieselben Sitten und Gebräuche; keiner ist bedeutend reicher oder ärmer als
der andre. Ihre Geisteskräfte find gering; sie stehn nicht viel über den Tieren,
und heute noch leben sie zusammen gleich einer Horde Tiere. Unter ge¬
gebnen Umstünden würden sie alle in gleicher Weise handeln. Schon die
große Unwissenheit, Gleichgiltigkeit, ihr Mangel ein Verstand und auch die
geringe Versuchung lassen die kriminalen Vorkommnisse bedeutend einfacher er¬
scheinen.

Die hauptsächlichsten Verbrechen, die früher mit dem Tode geahndet
wurden, sind Mord, Überfall, Raub von Menschen und Gütern, Diebstahl,
Ehebruch oder Verführung dazu. Beabsichtigte Morde, deren Einzelheiten
lange vorher schon ausgedacht worden sind, geschehen sehr selten und haben
in der letzten Zeit fast ganz aufgehört. Dennoch glaubt man, daß nicht wenig


Das Gerichtswesen bei den Negern in Britisch > Zentralafrika

Einführung dieses Systems eine sehr glückliche Hand gehabt; es arbeitet in
geradezu idealer Weise mit dem größten Erfolge. Um jedoch diesen zu er¬
reichen, müssen alle Collectors eine Prüfung in der Landessprache Chi-
Nyanja, früher sogar noch in Ki-Suahili ablegen. Den jungen Engländern,
die ohne Vorkenntnisse in der Landessprache von der britischen Regierung
hierher geschickt werden, wird ein Jahr Zeit gegeben, sich die nötigen Kennt¬
nisse in der Sprache, in den Sitten und Gebräuchen dieser Neger anzueignen.
Nachdem sie dann die so erworbnen Kenntnisse durch die erwähnte, nicht leichte
Prüfung bewiesen haben, werden sie zu „Assistant Collectors" ernannt und
dem Collector eines größern Distrikts zur weitern Unterweisung beigeordnet,
oder ihnen wird in manchen Fällen schon ein kleinerer Posten als selbständiger
Collector anvertraut.

Nun, die Neger haben sich schnell daran gewöhnt, daß jetzt der Weiße
ihnen Recht spricht, denn sie beugen sich willig dem jeweilig herrschenden
infolge ihrer minderwertigen Charaktereigenschaften. Weiter haben sie nach
und nach eingesehen, daß der Weiße unparteiisch in jeder Richtung urteilt.
Einst dem Spruche ihrer Häuptlinge unterworfen, die, als in der Gemeinschaft
lebend, doch mehr oder weniger am Ausgange des Streitfalles interessiert
waren, sind die Neger jetzt von der vollkommnen Aufrichtigkeit und Ehrlich¬
keit des weißen Richters überzeugt. Ja sie haben ein so großes Vertrauen
in ihn, daß, wie uns H. L. Duff in seinem Buche über Nyassaland berichtet,
zwei Neger einst aus einem sechzig Kilometer entfernten Dorfe zu ihm kamen,
um ihn einen ausgebrochnen Zank über den Besitz einiger Fische im Werte
von zehn bis zwanzig Pfennigen schlichten zu lassen. Natürlich wird eine
Entschädigung vom Neger für die Bemühung eines Collectors nicht ver¬
langt. Daher kommt es auch, daß die Neger, schon durch ihre Freude an
Prozessen und an der dadurch verursachten Aufregung, eifrigen und häufigen
Gebrauch von diesen Gerichten machen.

Wir wollen jetzt auf die verschiednen am Gerichte vorkommenden Fälle
eingehn. Sie sind sehr einfach, denn alle Neger haben mehr oder weniger
dieselben Sitten und Gebräuche; keiner ist bedeutend reicher oder ärmer als
der andre. Ihre Geisteskräfte find gering; sie stehn nicht viel über den Tieren,
und heute noch leben sie zusammen gleich einer Horde Tiere. Unter ge¬
gebnen Umstünden würden sie alle in gleicher Weise handeln. Schon die
große Unwissenheit, Gleichgiltigkeit, ihr Mangel ein Verstand und auch die
geringe Versuchung lassen die kriminalen Vorkommnisse bedeutend einfacher er¬
scheinen.

Die hauptsächlichsten Verbrechen, die früher mit dem Tode geahndet
wurden, sind Mord, Überfall, Raub von Menschen und Gütern, Diebstahl,
Ehebruch oder Verführung dazu. Beabsichtigte Morde, deren Einzelheiten
lange vorher schon ausgedacht worden sind, geschehen sehr selten und haben
in der letzten Zeit fast ganz aufgehört. Dennoch glaubt man, daß nicht wenig


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/34>, abgerufen am 15.05.2024.