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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Teresa de Jesus

Mystik ansetzte, behandelte sie als Luft, indem sie sich mit einem gleichzeitig
anwesenden Gutsbesitzer über landwirtschaftliche Gegenstünde unterhielt. In den
Briefen an den König ist ihre Sprache so natürlich wie in allen andern;
selbstverständlich beobachtet sie die konventionelle Form, die einfach genug ist:
"Euer Majestät unwürdige Dienerin und Untertanin Teresa von Jesus", in der
Anrede nichts als "Euer Majestät", während sie in den übrigen Briefen, auch
an ihre Verwandten, ihre jungen Neffen, nie das "Euer Gnaden" versäumt,
das die spanische Höflichkeit fordert. In einem der Briefe an den König schreibt
sie: "Die Göttliche Majestät erhalte Sie so viele Jahre, als die Christenheit
Ihrer bedarf." Gewiß originell. Charakteristisch ist eine Nachschrift in einem
Briefe an ihre Schwester Johanna. Sie legt einen Brief ihres Bruders Lorenzo
an diese bei, den sie in einer an sie gerichteten Sendung zur Weiterbeförderung
bekommen hatte. (Die Briefbeförderung war unsicher und umständlich, und Teresa
berichtet oft über die Sicherungsmaßregeln, die sie trifft.) Da bemerkt sie nun:
"Ich öffnete den beifolgenden Brief meines Bruders, um ... Nein! Ich wollte
ihn öffnen, bekam aber Gewissensbedenken. Steht etwas darin, was nicht dortige,
sondern hiesige Angelegenheiten betrifft, so benachrichtigen Sie mich!" Diese
verheiratete Schwester Johanna, schreibt sie einmal an Lorenzo, sei ein Engel;
sie selbst, Teresa, sei unter allen Geschwistern die schlechteste und böseste. Ihre
Geldklemmen entstanden einigemal daraus, daß sie Summen, die ihr später
fehlten, voreilig verwandt hatte, teils auf Almosen, teils auf Geschenke an
Gelehrte, die sie in Seelenangelegenheiten zu Rate zog; ich mache solche Ge¬
schenke, schreibt sie, "um mir diesen Herren gegenüber die Freiheit zu wahren,
ihnen meine Meinung zu sagen."

Ehe ich meine Meinung über Teresa ausspreche, will ich vorher noch etwas
von ihrem Gehilfen Johannes erzählen. Gleich diesem, hat sie auch Gedichte
hinterlassen; nicht viele, schreibt Zöckler, aber um so gehaltreichere. Die ersten
beiden Strophen der Motette an den Erlöser: 0 nsrinosurg, c^us 6xo6ä"zi3 lauten
in Diepenbrocks Übersetzung:

[Beginn Spaltensatz] Schönheit, Sonne, die die Kerzen
Aller Schönheit dunkel macht,
Ohne Wunden gibst du Schmerzen,
Tilgest ohne Schmerz im Herzen
Aller irdschen Liebe Macht. [Spaltenumbruch] Band, das einiget zwei Wesen,
Die getrennt sind himmelweit,
Ach, warum willst du dich lösen,
Da, als du geknüpft gewesen,
Sich in Lust verkehrt das Leid. [Ende Spaltensatz]

Carl Deutsch


Teresa de Jesus

Mystik ansetzte, behandelte sie als Luft, indem sie sich mit einem gleichzeitig
anwesenden Gutsbesitzer über landwirtschaftliche Gegenstünde unterhielt. In den
Briefen an den König ist ihre Sprache so natürlich wie in allen andern;
selbstverständlich beobachtet sie die konventionelle Form, die einfach genug ist:
„Euer Majestät unwürdige Dienerin und Untertanin Teresa von Jesus", in der
Anrede nichts als „Euer Majestät", während sie in den übrigen Briefen, auch
an ihre Verwandten, ihre jungen Neffen, nie das „Euer Gnaden" versäumt,
das die spanische Höflichkeit fordert. In einem der Briefe an den König schreibt
sie: „Die Göttliche Majestät erhalte Sie so viele Jahre, als die Christenheit
Ihrer bedarf." Gewiß originell. Charakteristisch ist eine Nachschrift in einem
Briefe an ihre Schwester Johanna. Sie legt einen Brief ihres Bruders Lorenzo
an diese bei, den sie in einer an sie gerichteten Sendung zur Weiterbeförderung
bekommen hatte. (Die Briefbeförderung war unsicher und umständlich, und Teresa
berichtet oft über die Sicherungsmaßregeln, die sie trifft.) Da bemerkt sie nun:
„Ich öffnete den beifolgenden Brief meines Bruders, um ... Nein! Ich wollte
ihn öffnen, bekam aber Gewissensbedenken. Steht etwas darin, was nicht dortige,
sondern hiesige Angelegenheiten betrifft, so benachrichtigen Sie mich!" Diese
verheiratete Schwester Johanna, schreibt sie einmal an Lorenzo, sei ein Engel;
sie selbst, Teresa, sei unter allen Geschwistern die schlechteste und böseste. Ihre
Geldklemmen entstanden einigemal daraus, daß sie Summen, die ihr später
fehlten, voreilig verwandt hatte, teils auf Almosen, teils auf Geschenke an
Gelehrte, die sie in Seelenangelegenheiten zu Rate zog; ich mache solche Ge¬
schenke, schreibt sie, „um mir diesen Herren gegenüber die Freiheit zu wahren,
ihnen meine Meinung zu sagen."

Ehe ich meine Meinung über Teresa ausspreche, will ich vorher noch etwas
von ihrem Gehilfen Johannes erzählen. Gleich diesem, hat sie auch Gedichte
hinterlassen; nicht viele, schreibt Zöckler, aber um so gehaltreichere. Die ersten
beiden Strophen der Motette an den Erlöser: 0 nsrinosurg, c^us 6xo6ä«zi3 lauten
in Diepenbrocks Übersetzung:

[Beginn Spaltensatz] Schönheit, Sonne, die die Kerzen
Aller Schönheit dunkel macht,
Ohne Wunden gibst du Schmerzen,
Tilgest ohne Schmerz im Herzen
Aller irdschen Liebe Macht. [Spaltenumbruch] Band, das einiget zwei Wesen,
Die getrennt sind himmelweit,
Ach, warum willst du dich lösen,
Da, als du geknüpft gewesen,
Sich in Lust verkehrt das Leid. [Ende Spaltensatz]

Carl Deutsch


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[0388] Teresa de Jesus Mystik ansetzte, behandelte sie als Luft, indem sie sich mit einem gleichzeitig anwesenden Gutsbesitzer über landwirtschaftliche Gegenstünde unterhielt. In den Briefen an den König ist ihre Sprache so natürlich wie in allen andern; selbstverständlich beobachtet sie die konventionelle Form, die einfach genug ist: „Euer Majestät unwürdige Dienerin und Untertanin Teresa von Jesus", in der Anrede nichts als „Euer Majestät", während sie in den übrigen Briefen, auch an ihre Verwandten, ihre jungen Neffen, nie das „Euer Gnaden" versäumt, das die spanische Höflichkeit fordert. In einem der Briefe an den König schreibt sie: „Die Göttliche Majestät erhalte Sie so viele Jahre, als die Christenheit Ihrer bedarf." Gewiß originell. Charakteristisch ist eine Nachschrift in einem Briefe an ihre Schwester Johanna. Sie legt einen Brief ihres Bruders Lorenzo an diese bei, den sie in einer an sie gerichteten Sendung zur Weiterbeförderung bekommen hatte. (Die Briefbeförderung war unsicher und umständlich, und Teresa berichtet oft über die Sicherungsmaßregeln, die sie trifft.) Da bemerkt sie nun: „Ich öffnete den beifolgenden Brief meines Bruders, um ... Nein! Ich wollte ihn öffnen, bekam aber Gewissensbedenken. Steht etwas darin, was nicht dortige, sondern hiesige Angelegenheiten betrifft, so benachrichtigen Sie mich!" Diese verheiratete Schwester Johanna, schreibt sie einmal an Lorenzo, sei ein Engel; sie selbst, Teresa, sei unter allen Geschwistern die schlechteste und böseste. Ihre Geldklemmen entstanden einigemal daraus, daß sie Summen, die ihr später fehlten, voreilig verwandt hatte, teils auf Almosen, teils auf Geschenke an Gelehrte, die sie in Seelenangelegenheiten zu Rate zog; ich mache solche Ge¬ schenke, schreibt sie, „um mir diesen Herren gegenüber die Freiheit zu wahren, ihnen meine Meinung zu sagen." Ehe ich meine Meinung über Teresa ausspreche, will ich vorher noch etwas von ihrem Gehilfen Johannes erzählen. Gleich diesem, hat sie auch Gedichte hinterlassen; nicht viele, schreibt Zöckler, aber um so gehaltreichere. Die ersten beiden Strophen der Motette an den Erlöser: 0 nsrinosurg, c^us 6xo6ä«zi3 lauten in Diepenbrocks Übersetzung: Schönheit, Sonne, die die Kerzen Aller Schönheit dunkel macht, Ohne Wunden gibst du Schmerzen, Tilgest ohne Schmerz im Herzen Aller irdschen Liebe Macht. Band, das einiget zwei Wesen, Die getrennt sind himmelweit, Ach, warum willst du dich lösen, Da, als du geknüpft gewesen, Sich in Lust verkehrt das Leid. Carl Deutsch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/388>, abgerufen am 15.05.2024.