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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Neue Lyrik

Und auf gleicher Höhe steht neben manchem andern "Der Panther":

Sem Blick ist vom Borübergehn der Stäbe
So müd geworden, daß er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
Und hinter tausend Stäben keine Welt.
Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
Der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
Ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
In der betäubt ein großer Wille steht.
Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
Sich lautlos auf --. Dann geht ein Bild hinein,
Geht durch der Glieder angespannte Stille --
Und hört im Herzen auf zu sein.

So Wird insbesondre der, der die ersten zweiundzwanzig Seiten geruhig
überschlägt, bei Rilke auf seine Rechnung kommen; nur daß man als Verehrer
dieser feinen Kunst ihrem Schöpfer ein größeres Maß von Selbstkritik wünschen
muß, die bei niemand besser zu erlernen ist als bei unsern Größten, mögen
sie nun Storm oder Groth oder Liliencron oder Dehmel heißen.

Mehr Selbstkritik würde auch die Wirkung der Versbändc von Karl Ernst
Knode erhöhen, von denen wieder einer unter dem Titel "Von Sehnsucht,
Schönheit, Wahrheit" (bei Fritz Eckardt in Leipzig) erschienen ist. Schon in
frühern Bänden dieses spät zur Form gelangten Poeten fiel auf, wie Reifes
und Unreifes durcheinander stand. In stärkeren Maße noch ist dies hier der
Fall. Ich möchte wünschen, daß Knode aus all seinen bisherigen Dichtungen
vielleicht von Freundeshand ein schmales Bändchen ausgewählter Verse zusammen¬
stellen ließe, in denen dann nicht manch natürlich strömendes schönes Gedicht
durch benachbarte Augenblickseinfülle beeinträchtigt würde.

Es ist ja überhaupt der Fluch allzu großer Produktivität, daß sie allmählich
den Maßstab verliert, und insbesondre, wenn sie einmal Erfolg gehabt hat,
selten noch Goldkörner unter der gehäuften Spreu herausbringt. So bin ich
denn mit einem gewissen Bangen an den, wenn ich richtig gezählt habe,
sechzehnten Gedichtband von Maurice Reinhold von Stern, "Donner und Lerche"
(Leipzig, Litcrarischcs Bulletin) herangegangen, fand mich aber angenehm ent¬
täuscht. Stern ist unbedingt ein geschmackvoller und auch temperamentvoller
Lyriker, er holt keine Kristalle heraus, aber er vertritt etwa mit Karl Henckell
eine pathetische Tradition, die im Grunde seit Herwegh niemals abgerissen ist,
und neben deren Trompetentönen hier und da mit leisen, feinen Klängen der
Widerhall eines stillen Abends an der Donau oder in der baltischen Heimat
des Dichters festgehalten wird.

Auch sonst darf man nicht übersehn, wie neben den modernen Einflüssen
und der immer weiter arbeitenden Entwicklung doch die alte Tradition, etwa
auch in der Linie von Geibel her festgehalten wird. Es sind natürlich keine
besonders starken Naturen, die unberührt vom Leben um sie her, aber doch mit


Neue Lyrik

Und auf gleicher Höhe steht neben manchem andern „Der Panther":

Sem Blick ist vom Borübergehn der Stäbe
So müd geworden, daß er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
Und hinter tausend Stäben keine Welt.
Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
Der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
Ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
In der betäubt ein großer Wille steht.
Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
Sich lautlos auf —. Dann geht ein Bild hinein,
Geht durch der Glieder angespannte Stille —
Und hört im Herzen auf zu sein.

So Wird insbesondre der, der die ersten zweiundzwanzig Seiten geruhig
überschlägt, bei Rilke auf seine Rechnung kommen; nur daß man als Verehrer
dieser feinen Kunst ihrem Schöpfer ein größeres Maß von Selbstkritik wünschen
muß, die bei niemand besser zu erlernen ist als bei unsern Größten, mögen
sie nun Storm oder Groth oder Liliencron oder Dehmel heißen.

Mehr Selbstkritik würde auch die Wirkung der Versbändc von Karl Ernst
Knode erhöhen, von denen wieder einer unter dem Titel „Von Sehnsucht,
Schönheit, Wahrheit« (bei Fritz Eckardt in Leipzig) erschienen ist. Schon in
frühern Bänden dieses spät zur Form gelangten Poeten fiel auf, wie Reifes
und Unreifes durcheinander stand. In stärkeren Maße noch ist dies hier der
Fall. Ich möchte wünschen, daß Knode aus all seinen bisherigen Dichtungen
vielleicht von Freundeshand ein schmales Bändchen ausgewählter Verse zusammen¬
stellen ließe, in denen dann nicht manch natürlich strömendes schönes Gedicht
durch benachbarte Augenblickseinfülle beeinträchtigt würde.

Es ist ja überhaupt der Fluch allzu großer Produktivität, daß sie allmählich
den Maßstab verliert, und insbesondre, wenn sie einmal Erfolg gehabt hat,
selten noch Goldkörner unter der gehäuften Spreu herausbringt. So bin ich
denn mit einem gewissen Bangen an den, wenn ich richtig gezählt habe,
sechzehnten Gedichtband von Maurice Reinhold von Stern, „Donner und Lerche"
(Leipzig, Litcrarischcs Bulletin) herangegangen, fand mich aber angenehm ent¬
täuscht. Stern ist unbedingt ein geschmackvoller und auch temperamentvoller
Lyriker, er holt keine Kristalle heraus, aber er vertritt etwa mit Karl Henckell
eine pathetische Tradition, die im Grunde seit Herwegh niemals abgerissen ist,
und neben deren Trompetentönen hier und da mit leisen, feinen Klängen der
Widerhall eines stillen Abends an der Donau oder in der baltischen Heimat
des Dichters festgehalten wird.

Auch sonst darf man nicht übersehn, wie neben den modernen Einflüssen
und der immer weiter arbeitenden Entwicklung doch die alte Tradition, etwa
auch in der Linie von Geibel her festgehalten wird. Es sind natürlich keine
besonders starken Naturen, die unberührt vom Leben um sie her, aber doch mit


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[0491] Neue Lyrik Und auf gleicher Höhe steht neben manchem andern „Der Panther": Sem Blick ist vom Borübergehn der Stäbe So müd geworden, daß er nichts mehr hält. Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe Und hinter tausend Stäben keine Welt. Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte, Der sich im allerkleinsten Kreise dreht, Ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte, In der betäubt ein großer Wille steht. Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille Sich lautlos auf —. Dann geht ein Bild hinein, Geht durch der Glieder angespannte Stille — Und hört im Herzen auf zu sein. So Wird insbesondre der, der die ersten zweiundzwanzig Seiten geruhig überschlägt, bei Rilke auf seine Rechnung kommen; nur daß man als Verehrer dieser feinen Kunst ihrem Schöpfer ein größeres Maß von Selbstkritik wünschen muß, die bei niemand besser zu erlernen ist als bei unsern Größten, mögen sie nun Storm oder Groth oder Liliencron oder Dehmel heißen. Mehr Selbstkritik würde auch die Wirkung der Versbändc von Karl Ernst Knode erhöhen, von denen wieder einer unter dem Titel „Von Sehnsucht, Schönheit, Wahrheit« (bei Fritz Eckardt in Leipzig) erschienen ist. Schon in frühern Bänden dieses spät zur Form gelangten Poeten fiel auf, wie Reifes und Unreifes durcheinander stand. In stärkeren Maße noch ist dies hier der Fall. Ich möchte wünschen, daß Knode aus all seinen bisherigen Dichtungen vielleicht von Freundeshand ein schmales Bändchen ausgewählter Verse zusammen¬ stellen ließe, in denen dann nicht manch natürlich strömendes schönes Gedicht durch benachbarte Augenblickseinfülle beeinträchtigt würde. Es ist ja überhaupt der Fluch allzu großer Produktivität, daß sie allmählich den Maßstab verliert, und insbesondre, wenn sie einmal Erfolg gehabt hat, selten noch Goldkörner unter der gehäuften Spreu herausbringt. So bin ich denn mit einem gewissen Bangen an den, wenn ich richtig gezählt habe, sechzehnten Gedichtband von Maurice Reinhold von Stern, „Donner und Lerche" (Leipzig, Litcrarischcs Bulletin) herangegangen, fand mich aber angenehm ent¬ täuscht. Stern ist unbedingt ein geschmackvoller und auch temperamentvoller Lyriker, er holt keine Kristalle heraus, aber er vertritt etwa mit Karl Henckell eine pathetische Tradition, die im Grunde seit Herwegh niemals abgerissen ist, und neben deren Trompetentönen hier und da mit leisen, feinen Klängen der Widerhall eines stillen Abends an der Donau oder in der baltischen Heimat des Dichters festgehalten wird. Auch sonst darf man nicht übersehn, wie neben den modernen Einflüssen und der immer weiter arbeitenden Entwicklung doch die alte Tradition, etwa auch in der Linie von Geibel her festgehalten wird. Es sind natürlich keine besonders starken Naturen, die unberührt vom Leben um sie her, aber doch mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/491>, abgerufen am 05.06.2024.