Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Äeheime oder öffentliche iVahl

Selbstverwaltungsorganen erprobt. Denn nur die wirklich freien halten es in
der Öffentlichkeit dauernd aus. Dagegen aus der geheimen Wahl gehn Ab¬
geordnete, Parteiführer, Politiker hervor, die unfähig sind zur politischen
Dauerarbeit, die nur ein vorübergehendes Dasein haben, Mandatare eines
dunkeln und sehr veränderlichen Massenwillens. Auf diese Parteiführer lädt sich
das ganze Geschimpfe eines für die Öffentlichkeit nicht erzognen Volkes ab.
Weil der Wühler geschützt ist, ist der Politiker vogelfrei, und vornehme Leute,
die zur wirklichen Politik taugen, sind für diese Posten nicht zu haben. Es
passen hinein nur die impotenten Schreier, die an die eigentliche Aufgabe des
Politikers, das Handeln, Regieren, Verwalter nicht heran wollen. Wer wird
denn auf den Markt gehn und sich beschimpfen lassen für eine Partei, deren
Mannen es für anständiger halten, im Dunkeln zu bleiben! Das tun wohl
Berufspolitiker und Journalisten, unfreie Kostgänger der Politik, aber der freie
Bürger nicht. Er will durch das Vertrauen seiner nächsten Mitbürger ge¬
zwungen werden. Sonst ist ihm die Politik ein unanständiges Geschäft.

Alle Volksvertretungen haben das Recht der Geldbewilligung, und damit
haben sie, die Verfassung mag sonst sein, wie sie will, die höchste Entscheidung,
das letzte Ja und Nein in ihren Händen. Wenn sie nun doch so ohnmächtig
sind, wie zum Beispiel der deutsche Reichstag, so liegt es sicher nicht an ihrer
Bescheidenheit -- denn machthungrig ist jede politische Körperschaft --, sondern
an ihrer Unfähigkeit. Diese Unfähigkeit kommt aus ihrer Geburt, aus der
Wahl. Der deutsche Reichstag ist zur Selbstverwaltung unfähig, er könnte die
starke Zentralgewalt nicht selbst darstellen, die ihm gegenübersteht. Das
preußische Abgeordnetenhaus ist schou viel fähiger. Es übt starken Einfluß auf
die Regierung aus. Am fähigsten zur wirklichen Politik war das aristokratische
englische Parlament, wie es einst war.


7

Die öffentliche oder geheime Wahl hat weder wesentliches konservatives
noch liberales Interesse. Konservativ oder liberal -- diese Fremdwörter passen
nicht, sie sind zu geringen Ranges für die Vornehmheit des Problems. Wählen
wir deutsche Wörter.

Wer die Freiheit liebt, der muß für die Öffentlichkeit der Wahl als des
Uraltes alles, politischen, das ist öffentlichen Lebens sein. Die Freiheit besteht
und gedeiht nur in dem beständigen Kampf und in der Gefahr der Öffentlich¬
keit. Einem Volke, das an geheime Stimmabgabe gewöhnt ist, kann jeder
neue Gewalthaber, jeder fremde Eroberer, jede revolutionäre Partei, jeder
despotische Fürst oder Minister sein bißchen Freiheit nehmen, indem er das
Wahlgeheimnis durchbricht und mit diesem leichten Handstreich das dürftige
Gerüst des Volkswillens über den Haufen wirft. Ein solches Volk ist sofort ohne
Organisation, ohne Führer, eine willenlose Masse für die vorhandne Gewalt.
Es läuft vielleicht auf die Straße -- und wird besiegt. Dagegen ist ein für die


Äeheime oder öffentliche iVahl

Selbstverwaltungsorganen erprobt. Denn nur die wirklich freien halten es in
der Öffentlichkeit dauernd aus. Dagegen aus der geheimen Wahl gehn Ab¬
geordnete, Parteiführer, Politiker hervor, die unfähig sind zur politischen
Dauerarbeit, die nur ein vorübergehendes Dasein haben, Mandatare eines
dunkeln und sehr veränderlichen Massenwillens. Auf diese Parteiführer lädt sich
das ganze Geschimpfe eines für die Öffentlichkeit nicht erzognen Volkes ab.
Weil der Wühler geschützt ist, ist der Politiker vogelfrei, und vornehme Leute,
die zur wirklichen Politik taugen, sind für diese Posten nicht zu haben. Es
passen hinein nur die impotenten Schreier, die an die eigentliche Aufgabe des
Politikers, das Handeln, Regieren, Verwalter nicht heran wollen. Wer wird
denn auf den Markt gehn und sich beschimpfen lassen für eine Partei, deren
Mannen es für anständiger halten, im Dunkeln zu bleiben! Das tun wohl
Berufspolitiker und Journalisten, unfreie Kostgänger der Politik, aber der freie
Bürger nicht. Er will durch das Vertrauen seiner nächsten Mitbürger ge¬
zwungen werden. Sonst ist ihm die Politik ein unanständiges Geschäft.

Alle Volksvertretungen haben das Recht der Geldbewilligung, und damit
haben sie, die Verfassung mag sonst sein, wie sie will, die höchste Entscheidung,
das letzte Ja und Nein in ihren Händen. Wenn sie nun doch so ohnmächtig
sind, wie zum Beispiel der deutsche Reichstag, so liegt es sicher nicht an ihrer
Bescheidenheit — denn machthungrig ist jede politische Körperschaft —, sondern
an ihrer Unfähigkeit. Diese Unfähigkeit kommt aus ihrer Geburt, aus der
Wahl. Der deutsche Reichstag ist zur Selbstverwaltung unfähig, er könnte die
starke Zentralgewalt nicht selbst darstellen, die ihm gegenübersteht. Das
preußische Abgeordnetenhaus ist schou viel fähiger. Es übt starken Einfluß auf
die Regierung aus. Am fähigsten zur wirklichen Politik war das aristokratische
englische Parlament, wie es einst war.


7

Die öffentliche oder geheime Wahl hat weder wesentliches konservatives
noch liberales Interesse. Konservativ oder liberal — diese Fremdwörter passen
nicht, sie sind zu geringen Ranges für die Vornehmheit des Problems. Wählen
wir deutsche Wörter.

Wer die Freiheit liebt, der muß für die Öffentlichkeit der Wahl als des
Uraltes alles, politischen, das ist öffentlichen Lebens sein. Die Freiheit besteht
und gedeiht nur in dem beständigen Kampf und in der Gefahr der Öffentlich¬
keit. Einem Volke, das an geheime Stimmabgabe gewöhnt ist, kann jeder
neue Gewalthaber, jeder fremde Eroberer, jede revolutionäre Partei, jeder
despotische Fürst oder Minister sein bißchen Freiheit nehmen, indem er das
Wahlgeheimnis durchbricht und mit diesem leichten Handstreich das dürftige
Gerüst des Volkswillens über den Haufen wirft. Ein solches Volk ist sofort ohne
Organisation, ohne Führer, eine willenlose Masse für die vorhandne Gewalt.
Es läuft vielleicht auf die Straße — und wird besiegt. Dagegen ist ein für die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0078" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/309689"/>
            <fw type="header" place="top"> Äeheime oder öffentliche iVahl</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_251" prev="#ID_250"> Selbstverwaltungsorganen erprobt. Denn nur die wirklich freien halten es in<lb/>
der Öffentlichkeit dauernd aus. Dagegen aus der geheimen Wahl gehn Ab¬<lb/>
geordnete, Parteiführer, Politiker hervor, die unfähig sind zur politischen<lb/>
Dauerarbeit, die nur ein vorübergehendes Dasein haben, Mandatare eines<lb/>
dunkeln und sehr veränderlichen Massenwillens. Auf diese Parteiführer lädt sich<lb/>
das ganze Geschimpfe eines für die Öffentlichkeit nicht erzognen Volkes ab.<lb/>
Weil der Wühler geschützt ist, ist der Politiker vogelfrei, und vornehme Leute,<lb/>
die zur wirklichen Politik taugen, sind für diese Posten nicht zu haben. Es<lb/>
passen hinein nur die impotenten Schreier, die an die eigentliche Aufgabe des<lb/>
Politikers, das Handeln, Regieren, Verwalter nicht heran wollen. Wer wird<lb/>
denn auf den Markt gehn und sich beschimpfen lassen für eine Partei, deren<lb/>
Mannen es für anständiger halten, im Dunkeln zu bleiben! Das tun wohl<lb/>
Berufspolitiker und Journalisten, unfreie Kostgänger der Politik, aber der freie<lb/>
Bürger nicht. Er will durch das Vertrauen seiner nächsten Mitbürger ge¬<lb/>
zwungen werden. Sonst ist ihm die Politik ein unanständiges Geschäft.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_252"> Alle Volksvertretungen haben das Recht der Geldbewilligung, und damit<lb/>
haben sie, die Verfassung mag sonst sein, wie sie will, die höchste Entscheidung,<lb/>
das letzte Ja und Nein in ihren Händen. Wenn sie nun doch so ohnmächtig<lb/>
sind, wie zum Beispiel der deutsche Reichstag, so liegt es sicher nicht an ihrer<lb/>
Bescheidenheit &#x2014; denn machthungrig ist jede politische Körperschaft &#x2014;, sondern<lb/>
an ihrer Unfähigkeit. Diese Unfähigkeit kommt aus ihrer Geburt, aus der<lb/>
Wahl. Der deutsche Reichstag ist zur Selbstverwaltung unfähig, er könnte die<lb/>
starke Zentralgewalt nicht selbst darstellen, die ihm gegenübersteht. Das<lb/>
preußische Abgeordnetenhaus ist schou viel fähiger. Es übt starken Einfluß auf<lb/>
die Regierung aus. Am fähigsten zur wirklichen Politik war das aristokratische<lb/>
englische Parlament, wie es einst war.</p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> 7</head><lb/>
            <p xml:id="ID_253"> Die öffentliche oder geheime Wahl hat weder wesentliches konservatives<lb/>
noch liberales Interesse. Konservativ oder liberal &#x2014; diese Fremdwörter passen<lb/>
nicht, sie sind zu geringen Ranges für die Vornehmheit des Problems. Wählen<lb/>
wir deutsche Wörter.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_254" next="#ID_255"> Wer die Freiheit liebt, der muß für die Öffentlichkeit der Wahl als des<lb/>
Uraltes alles, politischen, das ist öffentlichen Lebens sein. Die Freiheit besteht<lb/>
und gedeiht nur in dem beständigen Kampf und in der Gefahr der Öffentlich¬<lb/>
keit. Einem Volke, das an geheime Stimmabgabe gewöhnt ist, kann jeder<lb/>
neue Gewalthaber, jeder fremde Eroberer, jede revolutionäre Partei, jeder<lb/>
despotische Fürst oder Minister sein bißchen Freiheit nehmen, indem er das<lb/>
Wahlgeheimnis durchbricht und mit diesem leichten Handstreich das dürftige<lb/>
Gerüst des Volkswillens über den Haufen wirft. Ein solches Volk ist sofort ohne<lb/>
Organisation, ohne Führer, eine willenlose Masse für die vorhandne Gewalt.<lb/>
Es läuft vielleicht auf die Straße &#x2014; und wird besiegt. Dagegen ist ein für die</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0078] Äeheime oder öffentliche iVahl Selbstverwaltungsorganen erprobt. Denn nur die wirklich freien halten es in der Öffentlichkeit dauernd aus. Dagegen aus der geheimen Wahl gehn Ab¬ geordnete, Parteiführer, Politiker hervor, die unfähig sind zur politischen Dauerarbeit, die nur ein vorübergehendes Dasein haben, Mandatare eines dunkeln und sehr veränderlichen Massenwillens. Auf diese Parteiführer lädt sich das ganze Geschimpfe eines für die Öffentlichkeit nicht erzognen Volkes ab. Weil der Wühler geschützt ist, ist der Politiker vogelfrei, und vornehme Leute, die zur wirklichen Politik taugen, sind für diese Posten nicht zu haben. Es passen hinein nur die impotenten Schreier, die an die eigentliche Aufgabe des Politikers, das Handeln, Regieren, Verwalter nicht heran wollen. Wer wird denn auf den Markt gehn und sich beschimpfen lassen für eine Partei, deren Mannen es für anständiger halten, im Dunkeln zu bleiben! Das tun wohl Berufspolitiker und Journalisten, unfreie Kostgänger der Politik, aber der freie Bürger nicht. Er will durch das Vertrauen seiner nächsten Mitbürger ge¬ zwungen werden. Sonst ist ihm die Politik ein unanständiges Geschäft. Alle Volksvertretungen haben das Recht der Geldbewilligung, und damit haben sie, die Verfassung mag sonst sein, wie sie will, die höchste Entscheidung, das letzte Ja und Nein in ihren Händen. Wenn sie nun doch so ohnmächtig sind, wie zum Beispiel der deutsche Reichstag, so liegt es sicher nicht an ihrer Bescheidenheit — denn machthungrig ist jede politische Körperschaft —, sondern an ihrer Unfähigkeit. Diese Unfähigkeit kommt aus ihrer Geburt, aus der Wahl. Der deutsche Reichstag ist zur Selbstverwaltung unfähig, er könnte die starke Zentralgewalt nicht selbst darstellen, die ihm gegenübersteht. Das preußische Abgeordnetenhaus ist schou viel fähiger. Es übt starken Einfluß auf die Regierung aus. Am fähigsten zur wirklichen Politik war das aristokratische englische Parlament, wie es einst war. 7 Die öffentliche oder geheime Wahl hat weder wesentliches konservatives noch liberales Interesse. Konservativ oder liberal — diese Fremdwörter passen nicht, sie sind zu geringen Ranges für die Vornehmheit des Problems. Wählen wir deutsche Wörter. Wer die Freiheit liebt, der muß für die Öffentlichkeit der Wahl als des Uraltes alles, politischen, das ist öffentlichen Lebens sein. Die Freiheit besteht und gedeiht nur in dem beständigen Kampf und in der Gefahr der Öffentlich¬ keit. Einem Volke, das an geheime Stimmabgabe gewöhnt ist, kann jeder neue Gewalthaber, jeder fremde Eroberer, jede revolutionäre Partei, jeder despotische Fürst oder Minister sein bißchen Freiheit nehmen, indem er das Wahlgeheimnis durchbricht und mit diesem leichten Handstreich das dürftige Gerüst des Volkswillens über den Haufen wirft. Ein solches Volk ist sofort ohne Organisation, ohne Führer, eine willenlose Masse für die vorhandne Gewalt. Es läuft vielleicht auf die Straße — und wird besiegt. Dagegen ist ein für die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/78
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/78>, abgerufen am 22.05.2024.