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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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seiner konservativen Schrullen aufgeräumt hat", ist bekannt. Trotzdem war es
nach Ferrero uicht die gewandelte römische Bürger- und Bauernschaft, die von
da an zur Weltpolitik, zum Imperialismus überging, sondern gegen das Wider¬
streben der wahrhaft römischen Bevölkerung, die immer noch nicht von den
Sitten und der Politik der Väter lassen wollte, hat "ein kosmopolitischer
Pöbel, den der Zufall ^ ans fremden Ländern nach Rom geweht hatte, die
endgiltige Wendung herbeigeführt". Unsre Zeit interessiert sich besonders lebhaft
für den Untergang des Bauernstandes, den nach dein zweiten Punischen Kriege
die Latifundienwirtschaft mit Sklavenscharen und die Getreideeinfuhr verschuldet
haben sollen. Der erste Sündenbock wird von den Bodenbesitzreformern, der
zweite von den Agrariern bevorzugt. Doch der römische Stadtpöbel der
gracchischeu und der Kaiserzeit bestand freilich zum Teil aus Nachkommen
römischer Bauern (zum bei weitem größern Teil aus Sklaven und Freigelaßnen
außeritalischer Abstammung), aber Bauern, sowohl Besitzer als Pächter, gab es
trotzdem die ganze Zeit über in Italien. Die Anklage gegen die Latifundien
hat Friedländer auf das richtige Maß zurückgeführt. Er schreibt (im 1. Bande
der 6. Auflage seiner Sittengeschichte Roms S. 368), weil sich namentlich der
Gemüse- und Weinban, der den Kleinbetrieb fordert, gut rentierte, hätten die
Großgrundbesitzer ihre Ländereien meist geteilt verpachtet. "Auch damals also
war die Kleinwirtschaft wie von jeher und wie auch heutzutage im italischen
Landbau die vorherrschende Form: die Großwirtschaft bestand regelmäßig aus
einem Komplex von Kleinwirtschaften. Für die kleinen Eigentümer aber, wohl
auch in einigem Umfang für die Selbstwirtschaft der Gutsherren, waren im Laufe
der Zeit mehr und mehr Kleinpächter eingetreten, und der ältere Plinius kann
bei seinem bekannten Ausspruch, daß der Großgrundbesitz Italien zugrunde
gerichtet habe und nun anch die Provinzen, wohl nur an die Verdrängung
der kleine" Eigentümer durch Pächter gedacht haben. Doch daß er auch hier,
wie so oft, übertrieben hat. zeigen namentlich zwei Obligationsurkunden über
die von Trajan zur Erziehung freigeborner Kinder unbemittelter Eltern be¬
willigten Kapitalien, für die Landgüter verpfändet waren, und zwar in der
Gegend von Veleja (bei Parma> und Placentia und in der Gegend von
Benevent. In der letzten war die Banernwirtschaft noch vorwiegend; von
fünfzig Besitzern der verpfändeten Grundstücke waren nur zwei Großbesitzer
mit Komplexen im Werte von 451000 und 501000 Sesterzen >^die erste Summe
beträgt nicht ganz 100000 Mark, die zweite etwas darüber); neun besaßen
Güter im Werte von 100000 bis 400000 Sesterzen, die übrigen kleinere. Der
römische Morgen (ein Viertclhektar) galt 1000 Sesterzen "'odaß also die oben
erwähnten "Großbesitzer" nur 450 bis 500 Morgen, nach heutigem ostelbischem
Sprachgebrauch Großbauergüter hatten). Ein sehr viel beträchtlicherer Teil
des alten Klcmbesitzes war in der Ämilia an Großbesitzer übergegangen, wahr¬
scheinlich weil die reichen Fluren der Polandschaft das Kapital mehr anlockten
als das Hirpinische Hügelland. Von 52 Besitzern hatten dort die knappe Hälfte


Grenzboten II 1908 10
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seiner konservativen Schrullen aufgeräumt hat", ist bekannt. Trotzdem war es
nach Ferrero uicht die gewandelte römische Bürger- und Bauernschaft, die von
da an zur Weltpolitik, zum Imperialismus überging, sondern gegen das Wider¬
streben der wahrhaft römischen Bevölkerung, die immer noch nicht von den
Sitten und der Politik der Väter lassen wollte, hat „ein kosmopolitischer
Pöbel, den der Zufall ^ ans fremden Ländern nach Rom geweht hatte, die
endgiltige Wendung herbeigeführt". Unsre Zeit interessiert sich besonders lebhaft
für den Untergang des Bauernstandes, den nach dein zweiten Punischen Kriege
die Latifundienwirtschaft mit Sklavenscharen und die Getreideeinfuhr verschuldet
haben sollen. Der erste Sündenbock wird von den Bodenbesitzreformern, der
zweite von den Agrariern bevorzugt. Doch der römische Stadtpöbel der
gracchischeu und der Kaiserzeit bestand freilich zum Teil aus Nachkommen
römischer Bauern (zum bei weitem größern Teil aus Sklaven und Freigelaßnen
außeritalischer Abstammung), aber Bauern, sowohl Besitzer als Pächter, gab es
trotzdem die ganze Zeit über in Italien. Die Anklage gegen die Latifundien
hat Friedländer auf das richtige Maß zurückgeführt. Er schreibt (im 1. Bande
der 6. Auflage seiner Sittengeschichte Roms S. 368), weil sich namentlich der
Gemüse- und Weinban, der den Kleinbetrieb fordert, gut rentierte, hätten die
Großgrundbesitzer ihre Ländereien meist geteilt verpachtet. „Auch damals also
war die Kleinwirtschaft wie von jeher und wie auch heutzutage im italischen
Landbau die vorherrschende Form: die Großwirtschaft bestand regelmäßig aus
einem Komplex von Kleinwirtschaften. Für die kleinen Eigentümer aber, wohl
auch in einigem Umfang für die Selbstwirtschaft der Gutsherren, waren im Laufe
der Zeit mehr und mehr Kleinpächter eingetreten, und der ältere Plinius kann
bei seinem bekannten Ausspruch, daß der Großgrundbesitz Italien zugrunde
gerichtet habe und nun anch die Provinzen, wohl nur an die Verdrängung
der kleine« Eigentümer durch Pächter gedacht haben. Doch daß er auch hier,
wie so oft, übertrieben hat. zeigen namentlich zwei Obligationsurkunden über
die von Trajan zur Erziehung freigeborner Kinder unbemittelter Eltern be¬
willigten Kapitalien, für die Landgüter verpfändet waren, und zwar in der
Gegend von Veleja (bei Parma> und Placentia und in der Gegend von
Benevent. In der letzten war die Banernwirtschaft noch vorwiegend; von
fünfzig Besitzern der verpfändeten Grundstücke waren nur zwei Großbesitzer
mit Komplexen im Werte von 451000 und 501000 Sesterzen >^die erste Summe
beträgt nicht ganz 100000 Mark, die zweite etwas darüber); neun besaßen
Güter im Werte von 100000 bis 400000 Sesterzen, die übrigen kleinere. Der
römische Morgen (ein Viertclhektar) galt 1000 Sesterzen »'odaß also die oben
erwähnten »Großbesitzer« nur 450 bis 500 Morgen, nach heutigem ostelbischem
Sprachgebrauch Großbauergüter hatten). Ein sehr viel beträchtlicherer Teil
des alten Klcmbesitzes war in der Ämilia an Großbesitzer übergegangen, wahr¬
scheinlich weil die reichen Fluren der Polandschaft das Kapital mehr anlockten
als das Hirpinische Hügelland. Von 52 Besitzern hatten dort die knappe Hälfte


Grenzboten II 1908 10
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/81>, abgerufen am 29.05.2024.