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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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was das Jahr ^03 gebracht hat

und Österreich will nur die politische Unterwerfung der albanischen Küste unter
eine Großmacht verhindern, die ihm den Ausgang aus der Adria sperren könnte,
eine Wendung, der sich ja auch die Türkei vor allem jetzt nach Kräften wider¬
setzen würde; Frankreich weiß, daß es, wenn es Seite an Seite mit England
gegen Deutschland schlagen wollte, sofort die Hauptwucht des Krieges tragen
müßte und von England wenig Unterstützung zu erwarten hätte, und daß andrer¬
seits Rußland, erschöpft wie es ist, ein recht unsichrer Bundesgenosse wäre; das
Einverständnis endlich zwischen Rußland und England hat doch die Gegner¬
schaft beider Mächte in Asien nicht aufgehoben, sondern nur beiseite geschoben,
vor allem um Indien zu sichern, wo die Gärung gegen die englische Fremd¬
herrschaft offenbar viel allgemeiner und tiefer ist, als die Engländer Wort
haben wollen.

Allerdings, die englische Politik arbeitet in Konstantinopel gegen Österreich
und damit indirekt auch hier gegen uns, wie sie denn überall offensichtlich
darauf ausgeht, sich nach allen Richtungen hin den Rücken zu decken für den
Fall eines Konflikts mit Deutschland. Eine fixe Idee, eine fast hysterische Angst
hat einen großen Teil dieser sonst so nüchternen, kaltblütigen und selbstbewußten
Nation ergriffen, die Furcht vor einer weder geplanten noch auch nur möglichen
deutschen Invasion. Wenn selbst das Haus der Lords diese Angst teilt, wenn
sogar der erste General des Landes, Lord Roberts, wegen dieser Möglichkeit
eine gründliche Reform des englischen Heerwesens verlangte, dann ist der Be¬
weis geliefert, daß alle die redlichen und soviel getadelten Bemühungen des
Kaisers und alle Erklärungen im Reichstage, die Engländer von der Grund¬
losigkeit dieses Verdachts zu überzeugen, daß auch alle freundschaftlichen Be¬
ziehungen hinüber und herüber gar nichts geholfen haben und helfen werden.
Man hört oft sagen, die Achtung vor Deutschland sei gesunken seit Vismarcks
Zeit. Gewiß, diese Heidenzeit des deutschen Volkes liegt heute viel weiter
zurück als unter Bismcircks Kanzlerschaft, mehr als ein Menschenalter, und die
Erinnerung ist verblaßt, aber wahrhaftig nicht Mißachtung Deutschlands ist es,
die jene fixe Idee in England und jene ganze englische Politik erzeugt hat,
sondern die helle Angst vor unsrer wirtschaftlichen und militärischen Stärke, die
jetzt als eine Gefährdung des Weltfriedens aufgeschrien wird, während diese
doch von einer ganz andern Stelle ausgeht. Nicht irgendwelche Fehler unsrer
Politik haben diese Stimmung veranlaßt, sondern das energische und erfolgreiche
Eintreten des deutschen Volks in die Weltwirtschaft und Weltpolitik, wovon zu
Bismarcks Zeit bekanntlich nur die Anfänge vorhanden waren.

Darüber aber kann kein Zweifel bestehn: sollte es, was Gott verhüte, zum
Schlagen kommen, so würde es ein Weltkrieg und ein Krieg gegen das Deutsch¬
tum, ein Krieg um das Deutschtum. "Feinde ringsum" heißt es wieder, wie
schou oft, Feinde im slawischen Osten und im romanischen Westen und vor
allem in England, Feinde sogar mitten im Umkreis des deutschen Landes. Die ver¬
hängnisvolle Entwicklung des natürlichen mitteleuropäischen Herzlandes, Böhmens,
zu einem slawischen Außenwerke zeigt sich wieder einmal in ihrer ganzen ver-


was das Jahr ^03 gebracht hat

und Österreich will nur die politische Unterwerfung der albanischen Küste unter
eine Großmacht verhindern, die ihm den Ausgang aus der Adria sperren könnte,
eine Wendung, der sich ja auch die Türkei vor allem jetzt nach Kräften wider¬
setzen würde; Frankreich weiß, daß es, wenn es Seite an Seite mit England
gegen Deutschland schlagen wollte, sofort die Hauptwucht des Krieges tragen
müßte und von England wenig Unterstützung zu erwarten hätte, und daß andrer¬
seits Rußland, erschöpft wie es ist, ein recht unsichrer Bundesgenosse wäre; das
Einverständnis endlich zwischen Rußland und England hat doch die Gegner¬
schaft beider Mächte in Asien nicht aufgehoben, sondern nur beiseite geschoben,
vor allem um Indien zu sichern, wo die Gärung gegen die englische Fremd¬
herrschaft offenbar viel allgemeiner und tiefer ist, als die Engländer Wort
haben wollen.

Allerdings, die englische Politik arbeitet in Konstantinopel gegen Österreich
und damit indirekt auch hier gegen uns, wie sie denn überall offensichtlich
darauf ausgeht, sich nach allen Richtungen hin den Rücken zu decken für den
Fall eines Konflikts mit Deutschland. Eine fixe Idee, eine fast hysterische Angst
hat einen großen Teil dieser sonst so nüchternen, kaltblütigen und selbstbewußten
Nation ergriffen, die Furcht vor einer weder geplanten noch auch nur möglichen
deutschen Invasion. Wenn selbst das Haus der Lords diese Angst teilt, wenn
sogar der erste General des Landes, Lord Roberts, wegen dieser Möglichkeit
eine gründliche Reform des englischen Heerwesens verlangte, dann ist der Be¬
weis geliefert, daß alle die redlichen und soviel getadelten Bemühungen des
Kaisers und alle Erklärungen im Reichstage, die Engländer von der Grund¬
losigkeit dieses Verdachts zu überzeugen, daß auch alle freundschaftlichen Be¬
ziehungen hinüber und herüber gar nichts geholfen haben und helfen werden.
Man hört oft sagen, die Achtung vor Deutschland sei gesunken seit Vismarcks
Zeit. Gewiß, diese Heidenzeit des deutschen Volkes liegt heute viel weiter
zurück als unter Bismcircks Kanzlerschaft, mehr als ein Menschenalter, und die
Erinnerung ist verblaßt, aber wahrhaftig nicht Mißachtung Deutschlands ist es,
die jene fixe Idee in England und jene ganze englische Politik erzeugt hat,
sondern die helle Angst vor unsrer wirtschaftlichen und militärischen Stärke, die
jetzt als eine Gefährdung des Weltfriedens aufgeschrien wird, während diese
doch von einer ganz andern Stelle ausgeht. Nicht irgendwelche Fehler unsrer
Politik haben diese Stimmung veranlaßt, sondern das energische und erfolgreiche
Eintreten des deutschen Volks in die Weltwirtschaft und Weltpolitik, wovon zu
Bismarcks Zeit bekanntlich nur die Anfänge vorhanden waren.

Darüber aber kann kein Zweifel bestehn: sollte es, was Gott verhüte, zum
Schlagen kommen, so würde es ein Weltkrieg und ein Krieg gegen das Deutsch¬
tum, ein Krieg um das Deutschtum. „Feinde ringsum" heißt es wieder, wie
schou oft, Feinde im slawischen Osten und im romanischen Westen und vor
allem in England, Feinde sogar mitten im Umkreis des deutschen Landes. Die ver¬
hängnisvolle Entwicklung des natürlichen mitteleuropäischen Herzlandes, Böhmens,
zu einem slawischen Außenwerke zeigt sich wieder einmal in ihrer ganzen ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/11>, abgerufen am 17.06.2024.