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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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was das Jahr ^03 gebracht hat

derblichen Größe, seitdem die Tschechen, von einer allzu nachgiebigen Regierung
allzulange geschont, mit derselben hussitischen Wut wie vor fünfhundert Jahren
über die Prager Deutschen hergefallen sind, unwürdig eines Kulturvolks und
eines Kulturstaats. "Die Barbaren haben gesiegt in Österreich", sagte schon
Heinrich von Treitschke; dieses Wort würde noch weit mehr heute zutreffen als
damals, wenn Österreich und mit ihm Deutschland unterliegen sollte; dann
würden die halbslawischen Länder der Habsburger einer slawischen Reaktion
überliefert werden wie zur Hussitenzeit; dann würde Österreich zerfallen oder
sich nur als ein wesentlich slawischer Staat behaupten können, das heißt als
unser Feind. Darum ist die Sache der österreichischen Deutschen unsre eigne
Sache; of. rss sZiwr! dürfen sie uns zurufen, und wir hören den Ruf. Sind
sie nicht unsre Mitbürger, unsre Landsleute zu sein haben sie niemals aufgehört
und werden sie niemals aufhören. Wir können es niemals vergessen, daß dieser
Südosten unser ältestes Kolonialland ist, daß die dort seit mehr als einem
Jahrtausend aufgeblühte Kultur die deutsche ist, daß es das deutsche Bürgertum
gewesen ist, dessen Arbeit Prag, das vom Reiche aus früher viel und gern be¬
suchte, jetzt eher gemiedne "goldne Prag" zu einer unsrer schönsten und ehr¬
würdigsten alten Städte gemacht hat, daß die älteste deutsche Universität dort
gegründet wurde, nicht als eine tschechische, sondern als eine internationale,
wesentlich deutsche Hochschule. Nur ein Deutschland, das zu völliger Ohnmacht
herabgebracht ist, würde einen exklusiv slawischen Staat zwischen Bayern
und Schlesien dulden müssen, ein starkes Deutschland niemals. Wir lassen hier
die Frage beiseite, ob das von unleidlichen nationalen Gegensätzen zerrissene
Österreich imstande sein würde, einen großen Krieg siegreich zu führen, worin
die Sympathien seiner slawischen Stämme auf Seite der Gegner stehn würden,
wir fragen hier nur: ist Deutschland einer so gefahrvollen Lage in jeder
Richtung gewachsen? Militärisch sicher vollauf; trotz vieler widerwärtiger
und bedenklicher Erscheinungen in unserm modernen Volksleben haben doch
eben die aufreibenden Kämpfe in Südafrika gezeigt, daß Tapferkeit, Ausdauer
und Treue unter den schwierigsten Verhältnissen, in einem wilden Lande in
unserm Volke nicht ausgestorben sind. Auch ist in diesem Jahre zweimal eine
große nationale Erregung durch unser Volk gegangen, im August für Graf
Zeppelin und im November gegen das sogenannte persönliche Regiment, leider
also, was dem Deutschen immer am natürlichsten zu sein scheint, in einer scharfen
Opposition. Hat sie den Erfolg gehabt, den sie haben sollte -- und wir zweifeln
nicht daran --, so ist es damit gut; der ab irato gefaßte Gedanke, durch eine
Verfassungsänderung zu helfen, wird kaum zum Ziele führen. In einer wirklichen
Monarchie ist die Persönlichkeit des Monarchen und sein persönlicher Wille eben
nicht auszuschalten; zum parlamentarischen System fehlen dem komplizierten Bau
des deutschen Bundesstaats alle Voraussetzungen, fehlt vor allein eine geschlossene
Mehrheit im Reichstage, und sie wird hier immer fehlen, weil die Zersplitterung
in kleine Parteien und die Art einiger dieser Parteien der ganzen unglücklichen Ent¬
wicklung unsers Volks entspringt. War doch der Reichstag trotz aller Einmütigkeit


was das Jahr ^03 gebracht hat

derblichen Größe, seitdem die Tschechen, von einer allzu nachgiebigen Regierung
allzulange geschont, mit derselben hussitischen Wut wie vor fünfhundert Jahren
über die Prager Deutschen hergefallen sind, unwürdig eines Kulturvolks und
eines Kulturstaats. „Die Barbaren haben gesiegt in Österreich", sagte schon
Heinrich von Treitschke; dieses Wort würde noch weit mehr heute zutreffen als
damals, wenn Österreich und mit ihm Deutschland unterliegen sollte; dann
würden die halbslawischen Länder der Habsburger einer slawischen Reaktion
überliefert werden wie zur Hussitenzeit; dann würde Österreich zerfallen oder
sich nur als ein wesentlich slawischer Staat behaupten können, das heißt als
unser Feind. Darum ist die Sache der österreichischen Deutschen unsre eigne
Sache; of. rss sZiwr! dürfen sie uns zurufen, und wir hören den Ruf. Sind
sie nicht unsre Mitbürger, unsre Landsleute zu sein haben sie niemals aufgehört
und werden sie niemals aufhören. Wir können es niemals vergessen, daß dieser
Südosten unser ältestes Kolonialland ist, daß die dort seit mehr als einem
Jahrtausend aufgeblühte Kultur die deutsche ist, daß es das deutsche Bürgertum
gewesen ist, dessen Arbeit Prag, das vom Reiche aus früher viel und gern be¬
suchte, jetzt eher gemiedne „goldne Prag" zu einer unsrer schönsten und ehr¬
würdigsten alten Städte gemacht hat, daß die älteste deutsche Universität dort
gegründet wurde, nicht als eine tschechische, sondern als eine internationale,
wesentlich deutsche Hochschule. Nur ein Deutschland, das zu völliger Ohnmacht
herabgebracht ist, würde einen exklusiv slawischen Staat zwischen Bayern
und Schlesien dulden müssen, ein starkes Deutschland niemals. Wir lassen hier
die Frage beiseite, ob das von unleidlichen nationalen Gegensätzen zerrissene
Österreich imstande sein würde, einen großen Krieg siegreich zu führen, worin
die Sympathien seiner slawischen Stämme auf Seite der Gegner stehn würden,
wir fragen hier nur: ist Deutschland einer so gefahrvollen Lage in jeder
Richtung gewachsen? Militärisch sicher vollauf; trotz vieler widerwärtiger
und bedenklicher Erscheinungen in unserm modernen Volksleben haben doch
eben die aufreibenden Kämpfe in Südafrika gezeigt, daß Tapferkeit, Ausdauer
und Treue unter den schwierigsten Verhältnissen, in einem wilden Lande in
unserm Volke nicht ausgestorben sind. Auch ist in diesem Jahre zweimal eine
große nationale Erregung durch unser Volk gegangen, im August für Graf
Zeppelin und im November gegen das sogenannte persönliche Regiment, leider
also, was dem Deutschen immer am natürlichsten zu sein scheint, in einer scharfen
Opposition. Hat sie den Erfolg gehabt, den sie haben sollte — und wir zweifeln
nicht daran —, so ist es damit gut; der ab irato gefaßte Gedanke, durch eine
Verfassungsänderung zu helfen, wird kaum zum Ziele führen. In einer wirklichen
Monarchie ist die Persönlichkeit des Monarchen und sein persönlicher Wille eben
nicht auszuschalten; zum parlamentarischen System fehlen dem komplizierten Bau
des deutschen Bundesstaats alle Voraussetzungen, fehlt vor allein eine geschlossene
Mehrheit im Reichstage, und sie wird hier immer fehlen, weil die Zersplitterung
in kleine Parteien und die Art einiger dieser Parteien der ganzen unglücklichen Ent¬
wicklung unsers Volks entspringt. War doch der Reichstag trotz aller Einmütigkeit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/12>, abgerufen am 27.05.2024.