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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Der Parnassus in Neusiedel

Dresden. Am 24. Februar hatte sie noch einen Nachruf an Berger, später
noch Verse zu Schumanns Kinderszenen, 1 bis 4, gedichtet. Am 5. Mai gebar
sie ein zweites Töchterchen, das Schumann aus der Taufe hob, das sie aber
unter der Obhut der treuen Atome Jasper zurückließ, als sie im Juli, begleitet
vom Gatten und dem ältern Töchterchen, zur Kur nach Salzbrunn reiste. Wenige
Wochen nach der Heimkehr, am 15. Oktober, erlag sie, noch vor Vollendung
ihres einunddreißigsten Lebensjahres, jener verzehrenden Krankheit, die -- wie
Schumann in seinem Nachrufe schreibt -- die Natur dem siechender so gütig
zu verbergen weiß. Die Grabrede hielt Freund Gilbert; ein von Verhnlst eigens
komponierter vierstimmiger Gesang schloß die Trauerfeier.




Der parnassus in Neusiedel
Fritz Anders von(Fortsetzung)

on dem Festessen berichten wir nichts. Es war tadellos und verlief
nach gegebnen Schema. Und richtig kriegte der Halbgott nichts weiter
als Sekt, Marke Goldberg, zu trinken. Fräulein Binz, eingedenk der
Verpflichtung, die sie übernommen hatte, duldete es nicht anders.
Und Frau von Seidelbast rührte überhaupt nichts an, sondern
schwärmte und fütterte ihr Idol. Und die andern führten z" zwei
und drei höchst interessierte Gespräche, wandten dabei aber ein Auge und ein Ohr auf
die Mittelgruppe, um etwas von dem zu sehn und hören, was vorging, und um
sich gegebnenfalls in das Gespräch mischen zu können. Und Er, der Eine, der Einzige
war in seinem Element; er schwamm in der allseitigen Verehrung wie ein Fisch
im Wasser.

Nach Tisch fuhr man sort, Sekt zu trinken, und zuletzt ließ sich Alfred Rohr¬
schach erweichen, seine Schmiedelieder nochmals zu singen. Und Fräulein Binz be¬
gleitete am Klavier und war wütender als je. Ach sie konnte ihr Inneres nicht
anders offenbaren als durch musikwütige Blicke. Denn auch sie hatte ihre Stunde
gehabt und war dem Halbgott innerlich zu Füßen gesunken.

Als Alfred Rohrschach geendet hatte, begegnete er Hilda, die er bis jetzt noch
nicht beachtet hatte. Hilda errötete und wollte etwas sagen. Aber sie brachte kein
Wort über die Lippen und sah den Sänger mit so strahlenden und bittenden Augen
an, daß dieser erstaunte. Donnerwetter, sagte er zu sich, famoser Käfer. Goldkäfer.
Und bis über die Ohren in mich verliebt. Er hielt den Augenblick fest, zog das
junge Mädchen ins Gespräch und zeigte sich von allen Seiten im vorteilhaftester
Lichte. Als Frau Mama dazwischenkam und den Halbgott sür sich in Anspruch
nahm, flog Hilda, die Hand auf das Herz gedrückt, in ihren Philosophenwinkel -- und
traf dort Onkel Philipp. Offenbar wollte Onkel Philipp etwas sagen, aber auch er
brachte es nicht heraus und sah Hilda nur mit herzlich mitleidigem Blicke an.

Was sehn Sie mich denn so an? fragte Hilda.

Ich weiß nicht, erwiderte Onkel Philipp, was ich, darum geben würde, wenn
ich Ihnen die Enttäuschungen ersparen könnte, denen Sie entgegengehn.


Der Parnassus in Neusiedel

Dresden. Am 24. Februar hatte sie noch einen Nachruf an Berger, später
noch Verse zu Schumanns Kinderszenen, 1 bis 4, gedichtet. Am 5. Mai gebar
sie ein zweites Töchterchen, das Schumann aus der Taufe hob, das sie aber
unter der Obhut der treuen Atome Jasper zurückließ, als sie im Juli, begleitet
vom Gatten und dem ältern Töchterchen, zur Kur nach Salzbrunn reiste. Wenige
Wochen nach der Heimkehr, am 15. Oktober, erlag sie, noch vor Vollendung
ihres einunddreißigsten Lebensjahres, jener verzehrenden Krankheit, die — wie
Schumann in seinem Nachrufe schreibt — die Natur dem siechender so gütig
zu verbergen weiß. Die Grabrede hielt Freund Gilbert; ein von Verhnlst eigens
komponierter vierstimmiger Gesang schloß die Trauerfeier.




Der parnassus in Neusiedel
Fritz Anders von(Fortsetzung)

on dem Festessen berichten wir nichts. Es war tadellos und verlief
nach gegebnen Schema. Und richtig kriegte der Halbgott nichts weiter
als Sekt, Marke Goldberg, zu trinken. Fräulein Binz, eingedenk der
Verpflichtung, die sie übernommen hatte, duldete es nicht anders.
Und Frau von Seidelbast rührte überhaupt nichts an, sondern
schwärmte und fütterte ihr Idol. Und die andern führten z» zwei
und drei höchst interessierte Gespräche, wandten dabei aber ein Auge und ein Ohr auf
die Mittelgruppe, um etwas von dem zu sehn und hören, was vorging, und um
sich gegebnenfalls in das Gespräch mischen zu können. Und Er, der Eine, der Einzige
war in seinem Element; er schwamm in der allseitigen Verehrung wie ein Fisch
im Wasser.

Nach Tisch fuhr man sort, Sekt zu trinken, und zuletzt ließ sich Alfred Rohr¬
schach erweichen, seine Schmiedelieder nochmals zu singen. Und Fräulein Binz be¬
gleitete am Klavier und war wütender als je. Ach sie konnte ihr Inneres nicht
anders offenbaren als durch musikwütige Blicke. Denn auch sie hatte ihre Stunde
gehabt und war dem Halbgott innerlich zu Füßen gesunken.

Als Alfred Rohrschach geendet hatte, begegnete er Hilda, die er bis jetzt noch
nicht beachtet hatte. Hilda errötete und wollte etwas sagen. Aber sie brachte kein
Wort über die Lippen und sah den Sänger mit so strahlenden und bittenden Augen
an, daß dieser erstaunte. Donnerwetter, sagte er zu sich, famoser Käfer. Goldkäfer.
Und bis über die Ohren in mich verliebt. Er hielt den Augenblick fest, zog das
junge Mädchen ins Gespräch und zeigte sich von allen Seiten im vorteilhaftester
Lichte. Als Frau Mama dazwischenkam und den Halbgott sür sich in Anspruch
nahm, flog Hilda, die Hand auf das Herz gedrückt, in ihren Philosophenwinkel — und
traf dort Onkel Philipp. Offenbar wollte Onkel Philipp etwas sagen, aber auch er
brachte es nicht heraus und sah Hilda nur mit herzlich mitleidigem Blicke an.

Was sehn Sie mich denn so an? fragte Hilda.

Ich weiß nicht, erwiderte Onkel Philipp, was ich, darum geben würde, wenn
ich Ihnen die Enttäuschungen ersparen könnte, denen Sie entgegengehn.


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[0412] Der Parnassus in Neusiedel Dresden. Am 24. Februar hatte sie noch einen Nachruf an Berger, später noch Verse zu Schumanns Kinderszenen, 1 bis 4, gedichtet. Am 5. Mai gebar sie ein zweites Töchterchen, das Schumann aus der Taufe hob, das sie aber unter der Obhut der treuen Atome Jasper zurückließ, als sie im Juli, begleitet vom Gatten und dem ältern Töchterchen, zur Kur nach Salzbrunn reiste. Wenige Wochen nach der Heimkehr, am 15. Oktober, erlag sie, noch vor Vollendung ihres einunddreißigsten Lebensjahres, jener verzehrenden Krankheit, die — wie Schumann in seinem Nachrufe schreibt — die Natur dem siechender so gütig zu verbergen weiß. Die Grabrede hielt Freund Gilbert; ein von Verhnlst eigens komponierter vierstimmiger Gesang schloß die Trauerfeier. Der parnassus in Neusiedel Fritz Anders von(Fortsetzung) on dem Festessen berichten wir nichts. Es war tadellos und verlief nach gegebnen Schema. Und richtig kriegte der Halbgott nichts weiter als Sekt, Marke Goldberg, zu trinken. Fräulein Binz, eingedenk der Verpflichtung, die sie übernommen hatte, duldete es nicht anders. Und Frau von Seidelbast rührte überhaupt nichts an, sondern schwärmte und fütterte ihr Idol. Und die andern führten z» zwei und drei höchst interessierte Gespräche, wandten dabei aber ein Auge und ein Ohr auf die Mittelgruppe, um etwas von dem zu sehn und hören, was vorging, und um sich gegebnenfalls in das Gespräch mischen zu können. Und Er, der Eine, der Einzige war in seinem Element; er schwamm in der allseitigen Verehrung wie ein Fisch im Wasser. Nach Tisch fuhr man sort, Sekt zu trinken, und zuletzt ließ sich Alfred Rohr¬ schach erweichen, seine Schmiedelieder nochmals zu singen. Und Fräulein Binz be¬ gleitete am Klavier und war wütender als je. Ach sie konnte ihr Inneres nicht anders offenbaren als durch musikwütige Blicke. Denn auch sie hatte ihre Stunde gehabt und war dem Halbgott innerlich zu Füßen gesunken. Als Alfred Rohrschach geendet hatte, begegnete er Hilda, die er bis jetzt noch nicht beachtet hatte. Hilda errötete und wollte etwas sagen. Aber sie brachte kein Wort über die Lippen und sah den Sänger mit so strahlenden und bittenden Augen an, daß dieser erstaunte. Donnerwetter, sagte er zu sich, famoser Käfer. Goldkäfer. Und bis über die Ohren in mich verliebt. Er hielt den Augenblick fest, zog das junge Mädchen ins Gespräch und zeigte sich von allen Seiten im vorteilhaftester Lichte. Als Frau Mama dazwischenkam und den Halbgott sür sich in Anspruch nahm, flog Hilda, die Hand auf das Herz gedrückt, in ihren Philosophenwinkel — und traf dort Onkel Philipp. Offenbar wollte Onkel Philipp etwas sagen, aber auch er brachte es nicht heraus und sah Hilda nur mit herzlich mitleidigem Blicke an. Was sehn Sie mich denn so an? fragte Hilda. Ich weiß nicht, erwiderte Onkel Philipp, was ich, darum geben würde, wenn ich Ihnen die Enttäuschungen ersparen könnte, denen Sie entgegengehn.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/412>, abgerufen am 17.06.2024.