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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Englische Eigenart

in der verwegensten Bedeutung des Worts. Man vergegenwärtige sich nur
den herrlichen Augenblick, wenn aus einem Schulterstück von Sonthdown beim
ersten Schnitt der köstliche Fleischsaft herausspritzt! Niemals fällt es uns ein.
den ursprünglichen, reinen Geschmack irgendwie zu verbessern; wenn es doch
geschieht, so zwingt uns dazu irgendeine Mangelhaftigkeit der rohen Substanz.
Superkluge Leute nennen uns "die Leute mit einer einzigen Sauce". In
Wahrheit haben wir so viele Saucen, wie wir Fleischsorten haben. Jedes
Fleisch liefert uns beim Prozeß des Kochens und Bratens seine natürliche
Brühe, und diese ist die denkbar beste aller Saucen. Nur der Engländer kennt
die Bedeutung des Wortes Zrav^ (Fleischsaft); deshalb ist auch sein Urteil in
der Saucenfrage allein kompetent.

Das Lob, das ich hier der englischen Küche gespendet habe, gilt leider nicht
mehr der Gegenwart: wir besitzen keine echt englischen Rinder mehr, und unsre
Kochkunst hat ihre besten Zeiten hinter sich.

Mich dünkt, in der Literatur der Vegetarianer kommt recht viel Kurioses
vor. Früher las ich ihre Wochenschriften und Traktätchen mit einem gewissen
Behagen, mit dem Behagen eines hungrigen armen Teufels, und suchte mir
weiszumachen, daß Fleischkost nicht nur überflüssig, sondern sogar verabscheuungs-
würdig sei. Wenn solches Zeug mir jetzt vor Augen kommt, dann muß ich
halb im Scherz, halb im Ernst die dummen Menschen bemitleiden, die aus freien
Stücken, nicht etwa aus Not, ihre Ernährung nach chemischen Prinzipien zu
regeln sich bemühen. Dabei fällt mir ein Vegetarianerheim ein, von dem ich
einst dummerweise annahm, es könnte um einen Pfifferling meinen schrecklichen
Hunger stillen. Ich verschlang dort "saftiges Blätterkotelett", auch "vegetabilisches
Beefsteak" und derartiges mehr; Gott weiß, was für sonderbare Namen sie
all den albernen Gerichten gegeben hatten. In einer andern Restauration bekam
ich sogar ein vollständiges Diner für einen Sixpence; woraus es bestand, mag
ich mir nicht mehr vorstellen. Was für Gesichter sah ich dort! Armselige
Schreiber und Lehrbuben, blutlose Mädchen und Weiber, alle verzweifelt
bemüht, sich aus der Linsensuppe und den Saubohnen neue Kräfte zu holen!
Es war ein herzbrechender Anblick.

Ich hasse mit dem bittersten Haß alles, was Linsen oder Bohnen heißt,
diese scheinheiligen Betrüger des Appetits, diesen Humbug eines Speisezettels,
diese Reklame des Reizlosen, dem man den gleißenden Titel "menschliche
Nahrung" gibt. Ein Lot von diesem Zeug -- rühmt man -- sei ebensoviel
wert wie ein oder mehrere Pfund Rumsteak! Wer das behauptet und glaubt,
der besitzt in seinem Gehirn nicht ein Quentchen gesunden Menschenverstand!
In andern Ländern verspeist man hie und da aus Liebhaberei derartige Vege-
tabilien in England aber ist es die Not, die zu solchem Fraße zwingt.
Linsen und Bohnen verdummen nicht nur, sie steigern auch bei oft wiederholtem
Genuß den Ekel bis zum Erbrechen. Ihr Vegetarianer könnt predigen, soviel
und solange, wie ihr wollt: ein gesunder englischer Gaumen verabscheut eure
mehlbreiartige Kost. Ich wenigstens hole mir die nötige Nahrung lieber aus


Englische Eigenart

in der verwegensten Bedeutung des Worts. Man vergegenwärtige sich nur
den herrlichen Augenblick, wenn aus einem Schulterstück von Sonthdown beim
ersten Schnitt der köstliche Fleischsaft herausspritzt! Niemals fällt es uns ein.
den ursprünglichen, reinen Geschmack irgendwie zu verbessern; wenn es doch
geschieht, so zwingt uns dazu irgendeine Mangelhaftigkeit der rohen Substanz.
Superkluge Leute nennen uns „die Leute mit einer einzigen Sauce". In
Wahrheit haben wir so viele Saucen, wie wir Fleischsorten haben. Jedes
Fleisch liefert uns beim Prozeß des Kochens und Bratens seine natürliche
Brühe, und diese ist die denkbar beste aller Saucen. Nur der Engländer kennt
die Bedeutung des Wortes Zrav^ (Fleischsaft); deshalb ist auch sein Urteil in
der Saucenfrage allein kompetent.

Das Lob, das ich hier der englischen Küche gespendet habe, gilt leider nicht
mehr der Gegenwart: wir besitzen keine echt englischen Rinder mehr, und unsre
Kochkunst hat ihre besten Zeiten hinter sich.

Mich dünkt, in der Literatur der Vegetarianer kommt recht viel Kurioses
vor. Früher las ich ihre Wochenschriften und Traktätchen mit einem gewissen
Behagen, mit dem Behagen eines hungrigen armen Teufels, und suchte mir
weiszumachen, daß Fleischkost nicht nur überflüssig, sondern sogar verabscheuungs-
würdig sei. Wenn solches Zeug mir jetzt vor Augen kommt, dann muß ich
halb im Scherz, halb im Ernst die dummen Menschen bemitleiden, die aus freien
Stücken, nicht etwa aus Not, ihre Ernährung nach chemischen Prinzipien zu
regeln sich bemühen. Dabei fällt mir ein Vegetarianerheim ein, von dem ich
einst dummerweise annahm, es könnte um einen Pfifferling meinen schrecklichen
Hunger stillen. Ich verschlang dort „saftiges Blätterkotelett", auch „vegetabilisches
Beefsteak" und derartiges mehr; Gott weiß, was für sonderbare Namen sie
all den albernen Gerichten gegeben hatten. In einer andern Restauration bekam
ich sogar ein vollständiges Diner für einen Sixpence; woraus es bestand, mag
ich mir nicht mehr vorstellen. Was für Gesichter sah ich dort! Armselige
Schreiber und Lehrbuben, blutlose Mädchen und Weiber, alle verzweifelt
bemüht, sich aus der Linsensuppe und den Saubohnen neue Kräfte zu holen!
Es war ein herzbrechender Anblick.

Ich hasse mit dem bittersten Haß alles, was Linsen oder Bohnen heißt,
diese scheinheiligen Betrüger des Appetits, diesen Humbug eines Speisezettels,
diese Reklame des Reizlosen, dem man den gleißenden Titel „menschliche
Nahrung" gibt. Ein Lot von diesem Zeug — rühmt man — sei ebensoviel
wert wie ein oder mehrere Pfund Rumsteak! Wer das behauptet und glaubt,
der besitzt in seinem Gehirn nicht ein Quentchen gesunden Menschenverstand!
In andern Ländern verspeist man hie und da aus Liebhaberei derartige Vege-
tabilien in England aber ist es die Not, die zu solchem Fraße zwingt.
Linsen und Bohnen verdummen nicht nur, sie steigern auch bei oft wiederholtem
Genuß den Ekel bis zum Erbrechen. Ihr Vegetarianer könnt predigen, soviel
und solange, wie ihr wollt: ein gesunder englischer Gaumen verabscheut eure
mehlbreiartige Kost. Ich wenigstens hole mir die nötige Nahrung lieber aus


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/168>, abgerufen am 17.06.2024.