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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Vie Sezesstonsausstellung ^909

mit seiner impressionistischen Technik erreicht hat, was überhaupt damit zu er¬
reichen ist. Es wird immer Leute geben -- und Schreiber dieses gehört zu
ihnen --, die diese Technik bei Porträts gern missen möchten, da die "zuckende
Lebendigkeit" auch mit einem breiten Pinselstrich zu erreichen ist. Franz Hals
hat das schon vor einigen hundert Jahren bewiesen. Aber Liebermann hat doch
dabei die hier notwendige große repräsentative Wirkung erreicht, die bei solchen
Bildnissen nicht entbehrt werden kann. Daneben steht sein "Amsterdamer Juden-
Viertel", ohne eine einzige feste Linie, auch in den Figuren des Vordergrundes
nicht, aus lauter hingesetzten Farbenflecken bestehend, aber voll Leben und Be¬
wegung. Von den andern Führern der Sezession ist Max Slevogt mit dem
Bildnis einer Dame in gelbem Kleide vertreten, das in der einheitlichen Gesamt¬
wirkung das Liebermannsche Porträt vielleicht noch übertrifft, Baluschek mit seinen
"Tippelschicksen", zwei weiblichen Landstreichern, die unter Bäumen der Mittags¬
ruhe pflegen, Mosson mit einem stark unter Liebermannschem Einfluß stehenden
Bildnis, Walser mit einem Hausabbruch und einem Berliner Ballokal mit guter
Wiedergabe der Wirkung des elektrischen Lichtes auf Kostüme und Interieur,
und Rudolf Weiß mit einigen Bildern, von denen seine "weiblichen Akte im
Freien" den Wunsch nahelegen, daß sich diese nackten Mädchen ihrer wenig
schönen Körperformen halber lieber etwas anziehen möchten.

Ludwig v. Hoffmanns Arbeiten weisen einen Rückgang, zum mindesten ein
Schwanken auf und bedeuten jedenfalls keinen Fortschritt. Trübner überrascht
mit einer Geschmacklosigkeit: zwei nackten Beinen hinter einem Bettvorhang, Graf
Kalckreuth bringt ein paar Arbeiten, die durch ihr liebevolles Eingehen auf Gesamt¬
wirkung und Detail die ernste Ehrlichkeit dieses stets sympathischen Künstlers
dartun.

Ich versage es mir, aus der Fülle des Vorhandnen weiteres zu nennen,
und möchte nur noch auf ein paar Ausländer hinweisen. Von dem verstorbnen
Schweden Josephsohn sind einige Porträts ausgestellt, für deren Bekanntschaft
man dankbar sein muß. Die feine Charakteristik und die Art der Durchführung
erinnern an Leiht; er hat sich unter dem Einfluß Baseler-Lepages in Paris
gebildet, in Schweden war er mit Recht hoch geschätzt. -- Im vorigen Jahre
waren bei Keller und Reiner vier große Bilder des Wiener Klient, die vier
Fakultäten, ausgestellt, die für den Justizpalast in Wien bestimmt, dort aber
wegen ihrer mystischen Qualitäten zurückgewiesen worden waren. Eine eingehende
gedruckte Erläuterung der Absichten des Künstlers konnte das Verständnis für
diese seltsamen Gebilde nicht viel fördern. In der Sezession hat nun Klient ein
Damenbildnis ausgestellt, das durch seine überaus subtile Zeichnung des Kopfes
und der Hände das Entzücken der Kenner erregt. Leider wird die Wirkung durch
einen mosaikartig behandelten Hintergrund gestört, dessen Sinn und Zweck zu
enträtseln dem Beschauer überlassen bleibt. Israels (im Haag), der den großen
Niederländern viel abgelernt hat, ist mit einem Seebild (der Baggerer) und mit
einer "Frau am Spinnrad" vertreten. Die feine Lichtwirkung des letzten Bildes


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mit seiner impressionistischen Technik erreicht hat, was überhaupt damit zu er¬
reichen ist. Es wird immer Leute geben — und Schreiber dieses gehört zu
ihnen —, die diese Technik bei Porträts gern missen möchten, da die „zuckende
Lebendigkeit" auch mit einem breiten Pinselstrich zu erreichen ist. Franz Hals
hat das schon vor einigen hundert Jahren bewiesen. Aber Liebermann hat doch
dabei die hier notwendige große repräsentative Wirkung erreicht, die bei solchen
Bildnissen nicht entbehrt werden kann. Daneben steht sein „Amsterdamer Juden-
Viertel", ohne eine einzige feste Linie, auch in den Figuren des Vordergrundes
nicht, aus lauter hingesetzten Farbenflecken bestehend, aber voll Leben und Be¬
wegung. Von den andern Führern der Sezession ist Max Slevogt mit dem
Bildnis einer Dame in gelbem Kleide vertreten, das in der einheitlichen Gesamt¬
wirkung das Liebermannsche Porträt vielleicht noch übertrifft, Baluschek mit seinen
„Tippelschicksen", zwei weiblichen Landstreichern, die unter Bäumen der Mittags¬
ruhe pflegen, Mosson mit einem stark unter Liebermannschem Einfluß stehenden
Bildnis, Walser mit einem Hausabbruch und einem Berliner Ballokal mit guter
Wiedergabe der Wirkung des elektrischen Lichtes auf Kostüme und Interieur,
und Rudolf Weiß mit einigen Bildern, von denen seine „weiblichen Akte im
Freien" den Wunsch nahelegen, daß sich diese nackten Mädchen ihrer wenig
schönen Körperformen halber lieber etwas anziehen möchten.

Ludwig v. Hoffmanns Arbeiten weisen einen Rückgang, zum mindesten ein
Schwanken auf und bedeuten jedenfalls keinen Fortschritt. Trübner überrascht
mit einer Geschmacklosigkeit: zwei nackten Beinen hinter einem Bettvorhang, Graf
Kalckreuth bringt ein paar Arbeiten, die durch ihr liebevolles Eingehen auf Gesamt¬
wirkung und Detail die ernste Ehrlichkeit dieses stets sympathischen Künstlers
dartun.

Ich versage es mir, aus der Fülle des Vorhandnen weiteres zu nennen,
und möchte nur noch auf ein paar Ausländer hinweisen. Von dem verstorbnen
Schweden Josephsohn sind einige Porträts ausgestellt, für deren Bekanntschaft
man dankbar sein muß. Die feine Charakteristik und die Art der Durchführung
erinnern an Leiht; er hat sich unter dem Einfluß Baseler-Lepages in Paris
gebildet, in Schweden war er mit Recht hoch geschätzt. — Im vorigen Jahre
waren bei Keller und Reiner vier große Bilder des Wiener Klient, die vier
Fakultäten, ausgestellt, die für den Justizpalast in Wien bestimmt, dort aber
wegen ihrer mystischen Qualitäten zurückgewiesen worden waren. Eine eingehende
gedruckte Erläuterung der Absichten des Künstlers konnte das Verständnis für
diese seltsamen Gebilde nicht viel fördern. In der Sezession hat nun Klient ein
Damenbildnis ausgestellt, das durch seine überaus subtile Zeichnung des Kopfes
und der Hände das Entzücken der Kenner erregt. Leider wird die Wirkung durch
einen mosaikartig behandelten Hintergrund gestört, dessen Sinn und Zweck zu
enträtseln dem Beschauer überlassen bleibt. Israels (im Haag), der den großen
Niederländern viel abgelernt hat, ist mit einem Seebild (der Baggerer) und mit
einer „Frau am Spinnrad" vertreten. Die feine Lichtwirkung des letzten Bildes


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/185>, abgerufen am 13.05.2024.