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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Johann Friedrich von Schuttes Lebenserinnerungen

gehabt, andres hat bleibenden, zum Teil urkundlichen Wert. Schulte gehört zu
jenen Altkatholiken, die zu ihrer leidenschaftlichen Bekämpfung des Ultra-
montanismus deswegen wenig berechtigt sind, weil sie selbst diese Geistesrichtung
groß gezogen haben. Wir haben gesehen, wie er als junger Referendar die
Gründung eines militärischen Ordens zur Verteidigung des Kirchenstaats be¬
trieben und noch im Jahre 1861 als juristischer Berater des Kardinals Rauscher
diesem von der katholischen Abteilung im preußischen Kultusministerium Material
besorgt hat, aus dein hervorgehe, "daß, ich möchte sagen, je freier die katholische
Kirche in Preußen nach dem Wortlaute der Gesetze ist, man desto mehr in xrsxi
die Katholiken zu beeinträchtigen strebt". In einem der vorliegenden Aufsätze
entschuldigt er seine frühere Haltung. "Wenn unsereins, schreibt er im Jahre 1874,
bis vor drei Jahren nicht offen mit der Kurie brach, so hat das seinen guten
Grund. Man hoffte und hoffte, man konnte sich nicht denken, daß die Kurie
so schlecht sei, man verkleisterte oder vertuschte in derselben Absicht, wie ein
liebendes Kind die Fehler der Eltern verdeckt, man scheute sich, die schmutzige
Wäsche ans Licht zu tragen, kurz man war durch lauter Gutmütigkeit ein
brauchbares Werkzeug Wider Willen." Wenn sich aber Männer von der außer¬
ordentlichen Verstandesschärfe Schuttes und dem phänomenalen Wissen Döllingers
und bei der genausten Kenntnis der römischen Kurie bis in ihr reifstes Mannes¬
alter -- bei Döllinger muß man sagen Greisenalter -- über das Wesen der
Kurie nicht klar geworden sind, wie können sie da von gewöhnlichen Geistlichen
und Laien, die weniger begabt, weniger unterrichtet, in die streitigen Vorgänge
(es ist in dem Artikel von Bischofswahlen die Rede) gar nicht eingeweiht sind,
und von denen viele in ihrer Naivität an den hart getadelten Dingen gar keinen
Anstoß nehmen -- wie also können diese anerkannten Führer des katholischen
Volkes verlangen, daß, wenn sie nun plötzlich schwenken und den ihrem bis¬
herigen gerade entgegengesetzten Kurs einschlagen, das Volk, zu dem auch die
Bischöfe zu rechnen sind -- verehrten sie doch jene Führer als ihre Lehrer --, die
Schwenkung mitmachen? Die altkatholischen Führer erklärten: der Papst und
sein ganzer Anhang sind der Ketzerei verfallen; die Masse der Katholiken
dagegen: was ihr Ketzerei nennt, das ist doch bloß eine Folgerung aus dem
Kirchenbegriff, den ihr uns gelehrt habt, und sie konnten sich dabei auf die
Protestanten aller Schattierungen berufen, die ganz dasselbe sagen. Sie konnten
den Altkatholiken entgegenhalten, was Erasmus den Lutheranern vorhielt: die
Wahrheit ist nicht immer beim großen Haufen, aber die Kleinheit des Haufens
ist doch noch weniger ein überzeugender Beweis dafür, daß er sich im Besitz
der Wahrheit befinde; und sie konnten es mit sehr viel größerm Recht, denn
was bedeuteten bei der Volkszahl des neunzehnten Jahrhunderts die fünfzig¬
tausend Altkatholiken im Vergleich zu den Millionen Anhängern Luthers?
Gewiß: das Vatikanumwar geeignet, bei einem Manne, der seit längerer Zeit
an der Göttlichkeit des Papsttums Zweifel hegte, die Entscheidung im negativen
Sinne herbeizuführen, aber dann mußte er nicht sagen: ihr habt eine neue


Johann Friedrich von Schuttes Lebenserinnerungen

gehabt, andres hat bleibenden, zum Teil urkundlichen Wert. Schulte gehört zu
jenen Altkatholiken, die zu ihrer leidenschaftlichen Bekämpfung des Ultra-
montanismus deswegen wenig berechtigt sind, weil sie selbst diese Geistesrichtung
groß gezogen haben. Wir haben gesehen, wie er als junger Referendar die
Gründung eines militärischen Ordens zur Verteidigung des Kirchenstaats be¬
trieben und noch im Jahre 1861 als juristischer Berater des Kardinals Rauscher
diesem von der katholischen Abteilung im preußischen Kultusministerium Material
besorgt hat, aus dein hervorgehe, „daß, ich möchte sagen, je freier die katholische
Kirche in Preußen nach dem Wortlaute der Gesetze ist, man desto mehr in xrsxi
die Katholiken zu beeinträchtigen strebt". In einem der vorliegenden Aufsätze
entschuldigt er seine frühere Haltung. „Wenn unsereins, schreibt er im Jahre 1874,
bis vor drei Jahren nicht offen mit der Kurie brach, so hat das seinen guten
Grund. Man hoffte und hoffte, man konnte sich nicht denken, daß die Kurie
so schlecht sei, man verkleisterte oder vertuschte in derselben Absicht, wie ein
liebendes Kind die Fehler der Eltern verdeckt, man scheute sich, die schmutzige
Wäsche ans Licht zu tragen, kurz man war durch lauter Gutmütigkeit ein
brauchbares Werkzeug Wider Willen." Wenn sich aber Männer von der außer¬
ordentlichen Verstandesschärfe Schuttes und dem phänomenalen Wissen Döllingers
und bei der genausten Kenntnis der römischen Kurie bis in ihr reifstes Mannes¬
alter — bei Döllinger muß man sagen Greisenalter — über das Wesen der
Kurie nicht klar geworden sind, wie können sie da von gewöhnlichen Geistlichen
und Laien, die weniger begabt, weniger unterrichtet, in die streitigen Vorgänge
(es ist in dem Artikel von Bischofswahlen die Rede) gar nicht eingeweiht sind,
und von denen viele in ihrer Naivität an den hart getadelten Dingen gar keinen
Anstoß nehmen — wie also können diese anerkannten Führer des katholischen
Volkes verlangen, daß, wenn sie nun plötzlich schwenken und den ihrem bis¬
herigen gerade entgegengesetzten Kurs einschlagen, das Volk, zu dem auch die
Bischöfe zu rechnen sind — verehrten sie doch jene Führer als ihre Lehrer —, die
Schwenkung mitmachen? Die altkatholischen Führer erklärten: der Papst und
sein ganzer Anhang sind der Ketzerei verfallen; die Masse der Katholiken
dagegen: was ihr Ketzerei nennt, das ist doch bloß eine Folgerung aus dem
Kirchenbegriff, den ihr uns gelehrt habt, und sie konnten sich dabei auf die
Protestanten aller Schattierungen berufen, die ganz dasselbe sagen. Sie konnten
den Altkatholiken entgegenhalten, was Erasmus den Lutheranern vorhielt: die
Wahrheit ist nicht immer beim großen Haufen, aber die Kleinheit des Haufens
ist doch noch weniger ein überzeugender Beweis dafür, daß er sich im Besitz
der Wahrheit befinde; und sie konnten es mit sehr viel größerm Recht, denn
was bedeuteten bei der Volkszahl des neunzehnten Jahrhunderts die fünfzig¬
tausend Altkatholiken im Vergleich zu den Millionen Anhängern Luthers?
Gewiß: das Vatikanumwar geeignet, bei einem Manne, der seit längerer Zeit
an der Göttlichkeit des Papsttums Zweifel hegte, die Entscheidung im negativen
Sinne herbeizuführen, aber dann mußte er nicht sagen: ihr habt eine neue


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/319>, abgerufen am 13.05.2024.