Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Meine Jugend und die Religion

nah gekommen und glomm. Man merkte es nicht, und die glimmende Stelle kam
beim Anlegen des Verbandes gerade aus die Innenseite zu liegen. Ich spürte so¬
fort den starken Brandschmerz, aber ich war zu schüchtern, zu stolz und vor einer Er¬
höhung der Kosten des Verfahrens zu ängstlich, als daß ich mir getraut hätte, um
Abnahme des Verbandes vor dem Erkalten zu bitten. Als man ihn dann abnahm,
ging ein Stück Haut vou der Wade mit. So hatten mir das lodernde Feuer in
der halbdunkeln Werkstatt und der Brandschmerz die Leiden der Opfer der Folter
und des Scheiterhaufens schonend genug und doch für meine empfängliche Phantasie
ausgiebig illustriert. Noch tieferes Grauen als bisher verursachten mir Flammen im
Tageslicht, sogar so harmlose Flammen wie die eines Heckenbrändchens, das Kameraden
auf dem kahlen Rücken eines Rebenhügels anzündeten. Es war nur ein dünner
lichter Rauch, der von diesem Feuerchen aufstieg, aber die brennende, knisternde
Hecke, die Flammen in der Sonne und die tiefroten, wie Blutstropfen aussehenden
Nelken, die in der Nähe wuchsen, genügten meiner Phantasie als peinigende Illu¬
stration der Hexenleiden. Unbegreiflich schien es mir, daß Felix Dahn ein Jahr
vorher beim dreihnndertjährigen Jubiläum der Universität diese Rebenhügel und
die selbst im Sonnenschein unheimlichen Stätten auf ihrem Rücken preisen konnte.
Der leidenschaftliche Widerspruch, den seine Verse in mir weckten, hielt sie mir fest:

[Beginn Spaltensatz] Wo, lindrauschend, der alte Main
Sanft geschwungener Höhen Zug,
Freundlich grünendes Talgefild
Schön gewunden umgürtet: [Spaltenumbruch] Da hat günstiger Götter Hand
Milden Segen und Lieblichkeit,
Wohlgefallen und hold Gedeihn
Ausgeschüttet in Fülle. [Ende Spaltensatz]

Ich hatte kein Auge für den milden Segen und die Lieblichkeit, ich mußte
immer denke", daß eine dieser sanft geschwungnen Höhen vor ein paar hundert
Jahren noch ein furchtbar tätiger Krater war, dessen Pinie aus einer Hölle wuchs, wo
deutsch, fränkisch, würzburgisch sprechende, von dem goldnen Wein und von dem
vielgestaltigen Brote der fröhlich genießenden Stadt genährte Dämonen unschuldige,
im schlimmsten Falle mit einem Volkslaster behaftete Menschen qualvoll durch Feuer
töteten. Der Hexenbruch -- lange wußte ich nur ungefähr, wo er lag -- war ein
verborgnes Schrecknis, um das meine Gedanken voll Angst schwebten und doch
schweben mußten, wie Falter, weil die Feuer, die auf dem Traumbilde dieser Höhe
brannten, sie faszinierten. Ich wußte, daß der Ort hinter der Feste Marienberg
lag, ich deutete mir den Namen, da mir die physikalische Bedeutung des Wortes
Bruch durch die hohe Lage des Ortes ausgeschlossen erschien, als die Stelle, wo
Hexen gebrochen, vernichtet wurden.

Als ich in der Tertia oder Sekunda, natürlich viel zu früh, zum erstenmal
Goethes Faust las, begriff ich Faust und seinen Famulus und die andern Spazier¬
gänger nicht, die da fröhlich in den Frühlingstag hinauswanderten. Die mußten
doch an einer Richtstätte vorüberkommen. Die Schilderung des Spaziergangs weckte
mit ihrer den Atem vertiefenden Frühlingsstimmung in mir als Echobild Sonntags-
fpaziergänge vor den Toren des Festungsstädtchens meiner Kindheit: unter blauem
Himmel durch grünes Gefilde und duftende Pappelreihen auf der glänzenden Land¬
straße zwischen Artilleristen und Jnfanteristen im Sonntagsschritt, vom starken
Geruch ihrer Zigarren umweht, vom Hasengarten durch Stimmengewirr, Bier- und
Brezelgeruch, vom Rhein mit blitzenden Sonnenreflexen und kühlem Wasserduft be¬
grüßt -- überall vom hellen, heitern Heute umgeben, nirgends durch einen
Schreckensnamen aus alter Zeit erschreckt. Ich wußte, daß die Umgebung der Stadt
Fausts nicht so von Grauen rein sein konnte, und nahm an, daß sie von einem
Hexenbruch, einem Galgenberg und einer Richtstätte umgeben war wie die Stadt
Meiner Schulzeit, die in einem Kranz von Rebenhügeln und ehemaligen Richt-
stntten lag.


Meine Jugend und die Religion

nah gekommen und glomm. Man merkte es nicht, und die glimmende Stelle kam
beim Anlegen des Verbandes gerade aus die Innenseite zu liegen. Ich spürte so¬
fort den starken Brandschmerz, aber ich war zu schüchtern, zu stolz und vor einer Er¬
höhung der Kosten des Verfahrens zu ängstlich, als daß ich mir getraut hätte, um
Abnahme des Verbandes vor dem Erkalten zu bitten. Als man ihn dann abnahm,
ging ein Stück Haut vou der Wade mit. So hatten mir das lodernde Feuer in
der halbdunkeln Werkstatt und der Brandschmerz die Leiden der Opfer der Folter
und des Scheiterhaufens schonend genug und doch für meine empfängliche Phantasie
ausgiebig illustriert. Noch tieferes Grauen als bisher verursachten mir Flammen im
Tageslicht, sogar so harmlose Flammen wie die eines Heckenbrändchens, das Kameraden
auf dem kahlen Rücken eines Rebenhügels anzündeten. Es war nur ein dünner
lichter Rauch, der von diesem Feuerchen aufstieg, aber die brennende, knisternde
Hecke, die Flammen in der Sonne und die tiefroten, wie Blutstropfen aussehenden
Nelken, die in der Nähe wuchsen, genügten meiner Phantasie als peinigende Illu¬
stration der Hexenleiden. Unbegreiflich schien es mir, daß Felix Dahn ein Jahr
vorher beim dreihnndertjährigen Jubiläum der Universität diese Rebenhügel und
die selbst im Sonnenschein unheimlichen Stätten auf ihrem Rücken preisen konnte.
Der leidenschaftliche Widerspruch, den seine Verse in mir weckten, hielt sie mir fest:

[Beginn Spaltensatz] Wo, lindrauschend, der alte Main
Sanft geschwungener Höhen Zug,
Freundlich grünendes Talgefild
Schön gewunden umgürtet: [Spaltenumbruch] Da hat günstiger Götter Hand
Milden Segen und Lieblichkeit,
Wohlgefallen und hold Gedeihn
Ausgeschüttet in Fülle. [Ende Spaltensatz]

Ich hatte kein Auge für den milden Segen und die Lieblichkeit, ich mußte
immer denke«, daß eine dieser sanft geschwungnen Höhen vor ein paar hundert
Jahren noch ein furchtbar tätiger Krater war, dessen Pinie aus einer Hölle wuchs, wo
deutsch, fränkisch, würzburgisch sprechende, von dem goldnen Wein und von dem
vielgestaltigen Brote der fröhlich genießenden Stadt genährte Dämonen unschuldige,
im schlimmsten Falle mit einem Volkslaster behaftete Menschen qualvoll durch Feuer
töteten. Der Hexenbruch — lange wußte ich nur ungefähr, wo er lag — war ein
verborgnes Schrecknis, um das meine Gedanken voll Angst schwebten und doch
schweben mußten, wie Falter, weil die Feuer, die auf dem Traumbilde dieser Höhe
brannten, sie faszinierten. Ich wußte, daß der Ort hinter der Feste Marienberg
lag, ich deutete mir den Namen, da mir die physikalische Bedeutung des Wortes
Bruch durch die hohe Lage des Ortes ausgeschlossen erschien, als die Stelle, wo
Hexen gebrochen, vernichtet wurden.

Als ich in der Tertia oder Sekunda, natürlich viel zu früh, zum erstenmal
Goethes Faust las, begriff ich Faust und seinen Famulus und die andern Spazier¬
gänger nicht, die da fröhlich in den Frühlingstag hinauswanderten. Die mußten
doch an einer Richtstätte vorüberkommen. Die Schilderung des Spaziergangs weckte
mit ihrer den Atem vertiefenden Frühlingsstimmung in mir als Echobild Sonntags-
fpaziergänge vor den Toren des Festungsstädtchens meiner Kindheit: unter blauem
Himmel durch grünes Gefilde und duftende Pappelreihen auf der glänzenden Land¬
straße zwischen Artilleristen und Jnfanteristen im Sonntagsschritt, vom starken
Geruch ihrer Zigarren umweht, vom Hasengarten durch Stimmengewirr, Bier- und
Brezelgeruch, vom Rhein mit blitzenden Sonnenreflexen und kühlem Wasserduft be¬
grüßt — überall vom hellen, heitern Heute umgeben, nirgends durch einen
Schreckensnamen aus alter Zeit erschreckt. Ich wußte, daß die Umgebung der Stadt
Fausts nicht so von Grauen rein sein konnte, und nahm an, daß sie von einem
Hexenbruch, einem Galgenberg und einer Richtstätte umgeben war wie die Stadt
Meiner Schulzeit, die in einem Kranz von Rebenhügeln und ehemaligen Richt-
stntten lag.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0329" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/314032"/>
          <fw type="header" place="top"> Meine Jugend und die Religion</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1371" prev="#ID_1370"> nah gekommen und glomm. Man merkte es nicht, und die glimmende Stelle kam<lb/>
beim Anlegen des Verbandes gerade aus die Innenseite zu liegen. Ich spürte so¬<lb/>
fort den starken Brandschmerz, aber ich war zu schüchtern, zu stolz und vor einer Er¬<lb/>
höhung der Kosten des Verfahrens zu ängstlich, als daß ich mir getraut hätte, um<lb/>
Abnahme des Verbandes vor dem Erkalten zu bitten. Als man ihn dann abnahm,<lb/>
ging ein Stück Haut vou der Wade mit. So hatten mir das lodernde Feuer in<lb/>
der halbdunkeln Werkstatt und der Brandschmerz die Leiden der Opfer der Folter<lb/>
und des Scheiterhaufens schonend genug und doch für meine empfängliche Phantasie<lb/>
ausgiebig illustriert. Noch tieferes Grauen als bisher verursachten mir Flammen im<lb/>
Tageslicht, sogar so harmlose Flammen wie die eines Heckenbrändchens, das Kameraden<lb/>
auf dem kahlen Rücken eines Rebenhügels anzündeten. Es war nur ein dünner<lb/>
lichter Rauch, der von diesem Feuerchen aufstieg, aber die brennende, knisternde<lb/>
Hecke, die Flammen in der Sonne und die tiefroten, wie Blutstropfen aussehenden<lb/>
Nelken, die in der Nähe wuchsen, genügten meiner Phantasie als peinigende Illu¬<lb/>
stration der Hexenleiden. Unbegreiflich schien es mir, daß Felix Dahn ein Jahr<lb/>
vorher beim dreihnndertjährigen Jubiläum der Universität diese Rebenhügel und<lb/>
die selbst im Sonnenschein unheimlichen Stätten auf ihrem Rücken preisen konnte.<lb/>
Der leidenschaftliche Widerspruch, den seine Verse in mir weckten, hielt sie mir fest:</p><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_11" type="poem">
            <l><cb type="start"/>
Wo, lindrauschend, der alte Main<lb/>
Sanft geschwungener Höhen Zug,<lb/>
Freundlich grünendes Talgefild<lb/>
Schön gewunden umgürtet: <cb/>
Da hat günstiger Götter Hand<lb/>
Milden Segen und Lieblichkeit,<lb/>
Wohlgefallen und hold Gedeihn<lb/>
Ausgeschüttet in Fülle. <cb type="end"/>
</l>
          </lg><lb/>
          <p xml:id="ID_1372"> Ich hatte kein Auge für den milden Segen und die Lieblichkeit, ich mußte<lb/>
immer denke«, daß eine dieser sanft geschwungnen Höhen vor ein paar hundert<lb/>
Jahren noch ein furchtbar tätiger Krater war, dessen Pinie aus einer Hölle wuchs, wo<lb/>
deutsch, fränkisch, würzburgisch sprechende, von dem goldnen Wein und von dem<lb/>
vielgestaltigen Brote der fröhlich genießenden Stadt genährte Dämonen unschuldige,<lb/>
im schlimmsten Falle mit einem Volkslaster behaftete Menschen qualvoll durch Feuer<lb/>
töteten. Der Hexenbruch &#x2014; lange wußte ich nur ungefähr, wo er lag &#x2014; war ein<lb/>
verborgnes Schrecknis, um das meine Gedanken voll Angst schwebten und doch<lb/>
schweben mußten, wie Falter, weil die Feuer, die auf dem Traumbilde dieser Höhe<lb/>
brannten, sie faszinierten. Ich wußte, daß der Ort hinter der Feste Marienberg<lb/>
lag, ich deutete mir den Namen, da mir die physikalische Bedeutung des Wortes<lb/>
Bruch durch die hohe Lage des Ortes ausgeschlossen erschien, als die Stelle, wo<lb/>
Hexen gebrochen, vernichtet wurden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1373"> Als ich in der Tertia oder Sekunda, natürlich viel zu früh, zum erstenmal<lb/>
Goethes Faust las, begriff ich Faust und seinen Famulus und die andern Spazier¬<lb/>
gänger nicht, die da fröhlich in den Frühlingstag hinauswanderten. Die mußten<lb/>
doch an einer Richtstätte vorüberkommen. Die Schilderung des Spaziergangs weckte<lb/>
mit ihrer den Atem vertiefenden Frühlingsstimmung in mir als Echobild Sonntags-<lb/>
fpaziergänge vor den Toren des Festungsstädtchens meiner Kindheit: unter blauem<lb/>
Himmel durch grünes Gefilde und duftende Pappelreihen auf der glänzenden Land¬<lb/>
straße zwischen Artilleristen und Jnfanteristen im Sonntagsschritt, vom starken<lb/>
Geruch ihrer Zigarren umweht, vom Hasengarten durch Stimmengewirr, Bier- und<lb/>
Brezelgeruch, vom Rhein mit blitzenden Sonnenreflexen und kühlem Wasserduft be¬<lb/>
grüßt &#x2014; überall vom hellen, heitern Heute umgeben, nirgends durch einen<lb/>
Schreckensnamen aus alter Zeit erschreckt. Ich wußte, daß die Umgebung der Stadt<lb/>
Fausts nicht so von Grauen rein sein konnte, und nahm an, daß sie von einem<lb/>
Hexenbruch, einem Galgenberg und einer Richtstätte umgeben war wie die Stadt<lb/>
Meiner Schulzeit, die in einem Kranz von Rebenhügeln und ehemaligen Richt-<lb/>
stntten lag.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0329] Meine Jugend und die Religion nah gekommen und glomm. Man merkte es nicht, und die glimmende Stelle kam beim Anlegen des Verbandes gerade aus die Innenseite zu liegen. Ich spürte so¬ fort den starken Brandschmerz, aber ich war zu schüchtern, zu stolz und vor einer Er¬ höhung der Kosten des Verfahrens zu ängstlich, als daß ich mir getraut hätte, um Abnahme des Verbandes vor dem Erkalten zu bitten. Als man ihn dann abnahm, ging ein Stück Haut vou der Wade mit. So hatten mir das lodernde Feuer in der halbdunkeln Werkstatt und der Brandschmerz die Leiden der Opfer der Folter und des Scheiterhaufens schonend genug und doch für meine empfängliche Phantasie ausgiebig illustriert. Noch tieferes Grauen als bisher verursachten mir Flammen im Tageslicht, sogar so harmlose Flammen wie die eines Heckenbrändchens, das Kameraden auf dem kahlen Rücken eines Rebenhügels anzündeten. Es war nur ein dünner lichter Rauch, der von diesem Feuerchen aufstieg, aber die brennende, knisternde Hecke, die Flammen in der Sonne und die tiefroten, wie Blutstropfen aussehenden Nelken, die in der Nähe wuchsen, genügten meiner Phantasie als peinigende Illu¬ stration der Hexenleiden. Unbegreiflich schien es mir, daß Felix Dahn ein Jahr vorher beim dreihnndertjährigen Jubiläum der Universität diese Rebenhügel und die selbst im Sonnenschein unheimlichen Stätten auf ihrem Rücken preisen konnte. Der leidenschaftliche Widerspruch, den seine Verse in mir weckten, hielt sie mir fest: Wo, lindrauschend, der alte Main Sanft geschwungener Höhen Zug, Freundlich grünendes Talgefild Schön gewunden umgürtet: Da hat günstiger Götter Hand Milden Segen und Lieblichkeit, Wohlgefallen und hold Gedeihn Ausgeschüttet in Fülle. Ich hatte kein Auge für den milden Segen und die Lieblichkeit, ich mußte immer denke«, daß eine dieser sanft geschwungnen Höhen vor ein paar hundert Jahren noch ein furchtbar tätiger Krater war, dessen Pinie aus einer Hölle wuchs, wo deutsch, fränkisch, würzburgisch sprechende, von dem goldnen Wein und von dem vielgestaltigen Brote der fröhlich genießenden Stadt genährte Dämonen unschuldige, im schlimmsten Falle mit einem Volkslaster behaftete Menschen qualvoll durch Feuer töteten. Der Hexenbruch — lange wußte ich nur ungefähr, wo er lag — war ein verborgnes Schrecknis, um das meine Gedanken voll Angst schwebten und doch schweben mußten, wie Falter, weil die Feuer, die auf dem Traumbilde dieser Höhe brannten, sie faszinierten. Ich wußte, daß der Ort hinter der Feste Marienberg lag, ich deutete mir den Namen, da mir die physikalische Bedeutung des Wortes Bruch durch die hohe Lage des Ortes ausgeschlossen erschien, als die Stelle, wo Hexen gebrochen, vernichtet wurden. Als ich in der Tertia oder Sekunda, natürlich viel zu früh, zum erstenmal Goethes Faust las, begriff ich Faust und seinen Famulus und die andern Spazier¬ gänger nicht, die da fröhlich in den Frühlingstag hinauswanderten. Die mußten doch an einer Richtstätte vorüberkommen. Die Schilderung des Spaziergangs weckte mit ihrer den Atem vertiefenden Frühlingsstimmung in mir als Echobild Sonntags- fpaziergänge vor den Toren des Festungsstädtchens meiner Kindheit: unter blauem Himmel durch grünes Gefilde und duftende Pappelreihen auf der glänzenden Land¬ straße zwischen Artilleristen und Jnfanteristen im Sonntagsschritt, vom starken Geruch ihrer Zigarren umweht, vom Hasengarten durch Stimmengewirr, Bier- und Brezelgeruch, vom Rhein mit blitzenden Sonnenreflexen und kühlem Wasserduft be¬ grüßt — überall vom hellen, heitern Heute umgeben, nirgends durch einen Schreckensnamen aus alter Zeit erschreckt. Ich wußte, daß die Umgebung der Stadt Fausts nicht so von Grauen rein sein konnte, und nahm an, daß sie von einem Hexenbruch, einem Galgenberg und einer Richtstätte umgeben war wie die Stadt Meiner Schulzeit, die in einem Kranz von Rebenhügeln und ehemaligen Richt- stntten lag.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/329
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/329>, abgerufen am 23.05.2024.