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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Fränkisch - schwäbische Grenzwanderungen

reckend, lange nach, indes ich auf rasch sich senkenden Wege in die mit allen
Sommerfarben geschmückte Wiesen- und Felderweite herabsteige. Der jugendliche
Fluß hat sich behaglich schlendernd nach links und rechts, kaum merklich in
seinen Boden vertieft. Es ist eine jener obern Tallandschaften, wie sie in deutschen
Hügelgebieten nicht selten sind. Es ist heiß und einsam, vollkommen einsam.
Die goldnen Dinkelähren, die roten und blauen Blumen in den Haferfeldern
stehen regungslos. Die kleinen Dörfer, durch die ich komme, scheinen ohne Leben
zu sein. Aber in der kühlen Wirtsstube sitzen die Bauern und die Landbrief¬
träger, die sich den Schweiß von der Stirn wischen bei Bier oder Wein, sprechen
von den "Praktischen" und den "Papiernen" und zerzausen gerade ein armes
..Bauführerle", das noch ein "grünes Füchsele" sei und seine Sache nicht ver¬
stünde. Ihre Gesichter aber sind gutmütig und freundlich, ihre Gestalten von
Prächtigen Wuchs. Die schattenlose Straße wird heißer, die Landschaft wandelt
sich allmählich in eine breite und seichte Talfurche. Während ich zwischen
Diebach und Vockenfeld dahinschreite, in jener Halbbetäubung, die dem sommer¬
täglichen langen Marsche auf sonniger Landstraße so leicht anhaftet, taucht am
nördlichen Horizont eine feine Zackenlinie auf, die sich bald als Silhouette
einer auf einer Hochfläche gelegnen Stadt erweist. Es ist Rothenburg ob
der Tauber.

Rothenburg ob der Tauber! Ich weiß nicht, wann mich als Knaben
zum erstenmal der volle Klang dieses Namens erreichte. Ich weiß nur, daß
mich schon in frühen Jünglingstagen die Vorstellung einer heimlichen Schön¬
heit, die in einer mir weit entrückten Geborgenheit wandellos von Urvüter-
zeiten an blüht, und die romantische Sehnsucht, sie vor Augen zu haben,
gleicherweise überkamen, sobald ich den Namen hörte oder las. Es war eine
Sehnsucht, wie ich sie noch früher schon nach seltnen Pflanzenwesen empfand,
an denen der kärglichere Heimatboden ebenso arm war wie an künstlerischen
Formen der Vergangenheit, etwa nach dem Frauenschuh, von dem ich mir
gern erzählen ließ, daß er drüben auf den thüringischen Kalkboden im
Frühlingslaubwald noch immer seine großen phantastischen Blumen treibe.
Heute, da sich mir ein Jugendwunsch erfüllt, hat mein Verlangen nicht mehr
die Färbung von ehedem. Seit Jahren mit den Eindrücken einer reichen und
ehrwürdigen Kultur beschenkt, die mich umschließt, ob ich weile oder wandre,
suche ich nicht mehr das lockende Neue und Fremdartige. In den Gestalten¬
reichtum eines mir schon vertrauten Wesens versuche ich einzudringen. Meine
Augen haben auch längst gelernt, die Schönheit in jedem Bilde zu sehen, das
der Mensch nicht gefälscht hat. Und doch birgt mir der Klang des Namens
"och Reiz genug.

In die feine Horizontlinie, die eben noch wie ein flüchtig und Spesen
Griffel hingekritzelter Strich das dunklere Gelände gegen die Hunmelsblüue
und das weiße Sommergewölk abgrenzte, ist Leben gekommen. Aus den
Zacken und Spitzen wurden Türme und Giebel und Mauern, mit Licht und


Fränkisch - schwäbische Grenzwanderungen

reckend, lange nach, indes ich auf rasch sich senkenden Wege in die mit allen
Sommerfarben geschmückte Wiesen- und Felderweite herabsteige. Der jugendliche
Fluß hat sich behaglich schlendernd nach links und rechts, kaum merklich in
seinen Boden vertieft. Es ist eine jener obern Tallandschaften, wie sie in deutschen
Hügelgebieten nicht selten sind. Es ist heiß und einsam, vollkommen einsam.
Die goldnen Dinkelähren, die roten und blauen Blumen in den Haferfeldern
stehen regungslos. Die kleinen Dörfer, durch die ich komme, scheinen ohne Leben
zu sein. Aber in der kühlen Wirtsstube sitzen die Bauern und die Landbrief¬
träger, die sich den Schweiß von der Stirn wischen bei Bier oder Wein, sprechen
von den „Praktischen" und den „Papiernen" und zerzausen gerade ein armes
..Bauführerle", das noch ein „grünes Füchsele" sei und seine Sache nicht ver¬
stünde. Ihre Gesichter aber sind gutmütig und freundlich, ihre Gestalten von
Prächtigen Wuchs. Die schattenlose Straße wird heißer, die Landschaft wandelt
sich allmählich in eine breite und seichte Talfurche. Während ich zwischen
Diebach und Vockenfeld dahinschreite, in jener Halbbetäubung, die dem sommer¬
täglichen langen Marsche auf sonniger Landstraße so leicht anhaftet, taucht am
nördlichen Horizont eine feine Zackenlinie auf, die sich bald als Silhouette
einer auf einer Hochfläche gelegnen Stadt erweist. Es ist Rothenburg ob
der Tauber.

Rothenburg ob der Tauber! Ich weiß nicht, wann mich als Knaben
zum erstenmal der volle Klang dieses Namens erreichte. Ich weiß nur, daß
mich schon in frühen Jünglingstagen die Vorstellung einer heimlichen Schön¬
heit, die in einer mir weit entrückten Geborgenheit wandellos von Urvüter-
zeiten an blüht, und die romantische Sehnsucht, sie vor Augen zu haben,
gleicherweise überkamen, sobald ich den Namen hörte oder las. Es war eine
Sehnsucht, wie ich sie noch früher schon nach seltnen Pflanzenwesen empfand,
an denen der kärglichere Heimatboden ebenso arm war wie an künstlerischen
Formen der Vergangenheit, etwa nach dem Frauenschuh, von dem ich mir
gern erzählen ließ, daß er drüben auf den thüringischen Kalkboden im
Frühlingslaubwald noch immer seine großen phantastischen Blumen treibe.
Heute, da sich mir ein Jugendwunsch erfüllt, hat mein Verlangen nicht mehr
die Färbung von ehedem. Seit Jahren mit den Eindrücken einer reichen und
ehrwürdigen Kultur beschenkt, die mich umschließt, ob ich weile oder wandre,
suche ich nicht mehr das lockende Neue und Fremdartige. In den Gestalten¬
reichtum eines mir schon vertrauten Wesens versuche ich einzudringen. Meine
Augen haben auch längst gelernt, die Schönheit in jedem Bilde zu sehen, das
der Mensch nicht gefälscht hat. Und doch birgt mir der Klang des Namens
«och Reiz genug.

In die feine Horizontlinie, die eben noch wie ein flüchtig und Spesen
Griffel hingekritzelter Strich das dunklere Gelände gegen die Hunmelsblüue
und das weiße Sommergewölk abgrenzte, ist Leben gekommen. Aus den
Zacken und Spitzen wurden Türme und Giebel und Mauern, mit Licht und


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[0377] Fränkisch - schwäbische Grenzwanderungen reckend, lange nach, indes ich auf rasch sich senkenden Wege in die mit allen Sommerfarben geschmückte Wiesen- und Felderweite herabsteige. Der jugendliche Fluß hat sich behaglich schlendernd nach links und rechts, kaum merklich in seinen Boden vertieft. Es ist eine jener obern Tallandschaften, wie sie in deutschen Hügelgebieten nicht selten sind. Es ist heiß und einsam, vollkommen einsam. Die goldnen Dinkelähren, die roten und blauen Blumen in den Haferfeldern stehen regungslos. Die kleinen Dörfer, durch die ich komme, scheinen ohne Leben zu sein. Aber in der kühlen Wirtsstube sitzen die Bauern und die Landbrief¬ träger, die sich den Schweiß von der Stirn wischen bei Bier oder Wein, sprechen von den „Praktischen" und den „Papiernen" und zerzausen gerade ein armes ..Bauführerle", das noch ein „grünes Füchsele" sei und seine Sache nicht ver¬ stünde. Ihre Gesichter aber sind gutmütig und freundlich, ihre Gestalten von Prächtigen Wuchs. Die schattenlose Straße wird heißer, die Landschaft wandelt sich allmählich in eine breite und seichte Talfurche. Während ich zwischen Diebach und Vockenfeld dahinschreite, in jener Halbbetäubung, die dem sommer¬ täglichen langen Marsche auf sonniger Landstraße so leicht anhaftet, taucht am nördlichen Horizont eine feine Zackenlinie auf, die sich bald als Silhouette einer auf einer Hochfläche gelegnen Stadt erweist. Es ist Rothenburg ob der Tauber. Rothenburg ob der Tauber! Ich weiß nicht, wann mich als Knaben zum erstenmal der volle Klang dieses Namens erreichte. Ich weiß nur, daß mich schon in frühen Jünglingstagen die Vorstellung einer heimlichen Schön¬ heit, die in einer mir weit entrückten Geborgenheit wandellos von Urvüter- zeiten an blüht, und die romantische Sehnsucht, sie vor Augen zu haben, gleicherweise überkamen, sobald ich den Namen hörte oder las. Es war eine Sehnsucht, wie ich sie noch früher schon nach seltnen Pflanzenwesen empfand, an denen der kärglichere Heimatboden ebenso arm war wie an künstlerischen Formen der Vergangenheit, etwa nach dem Frauenschuh, von dem ich mir gern erzählen ließ, daß er drüben auf den thüringischen Kalkboden im Frühlingslaubwald noch immer seine großen phantastischen Blumen treibe. Heute, da sich mir ein Jugendwunsch erfüllt, hat mein Verlangen nicht mehr die Färbung von ehedem. Seit Jahren mit den Eindrücken einer reichen und ehrwürdigen Kultur beschenkt, die mich umschließt, ob ich weile oder wandre, suche ich nicht mehr das lockende Neue und Fremdartige. In den Gestalten¬ reichtum eines mir schon vertrauten Wesens versuche ich einzudringen. Meine Augen haben auch längst gelernt, die Schönheit in jedem Bilde zu sehen, das der Mensch nicht gefälscht hat. Und doch birgt mir der Klang des Namens «och Reiz genug. In die feine Horizontlinie, die eben noch wie ein flüchtig und Spesen Griffel hingekritzelter Strich das dunklere Gelände gegen die Hunmelsblüue und das weiße Sommergewölk abgrenzte, ist Leben gekommen. Aus den Zacken und Spitzen wurden Türme und Giebel und Mauern, mit Licht und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/377>, abgerufen am 12.05.2024.