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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Fränkisch - schwäbische Grcnzwandcrimgeil

über das Gebirge zu steigen, einen ersten Blick auf die in der Ferne sich
aufwölbende Peterskuppel zu tun und ?vno motif, "die treffliche Brück", zu
überschreiten.

Ich stehe am Spitaltor. Das mächtige Rund einer Bastion ist dem
Torturen vorgelagert. In den quadratische" Luken unter dem roten Bastei¬
dach sind die Schlünde alter Geschütze sichtbar. Sie schauen nach allen Seiten
wie die Augen einer Meute von Wachthunden. Aber sie sind ungefährlich.
Unter einer Linde sitzen alte Leute auf einer großen Bank, pfeifenrauchend,
Plaudernd, schweigend. Sie sitzen in der Schattenkühle vor den Toren und
blicken in das heiße Sommerland hinein. Aus dem Spitzbogen, zwischen den
derben Buckelquadern, kommen bäuerliche Rindergeschirre, die gemächliche Heim¬
fahrt antretend.

Ich schreite durchs Tor. Mich empfängt die Heiterkeit eines alten, aber
ungealterten, weitergrünenden Lebens. Die Heiterkeit des bejahrten Linden¬
baums vor dem Tore wohnt auch in den saubern Giebeln und Gassen, in
den engen Läden und Werkstätten der Handwerker und Krümer, in den blank¬
geputzten Wirtshauszeichen, die quer in die Straßen springen, in den Fenster-
gärtchen und Efeugeländern, in den grauen Brunnen und dem glänzenden
Moosgrün ihrer Säulchen, im Plätschern ihres frischen Wassers und des
Magdgeschwätzes über den sich füllenden Eimern, in den Bogen und Türmen
der Tore, in den Haussprüchlein zwischen den aufgefrischten Fachwerkfarben,
in den altväterischen Namen der Menschen und Gassen. Paradeisgüßlein,
Pfäffleins- und Lammwirtsgäßcheu, die Namen duften wie Lavendel und
Rosmarin. Volkslieder klingen an, wenn man sie liest. Volkslieder klingen
hier an allen Ecken und Enden an. Was mich umfängt, ist nicht nur das
Malerische. Das Malerische ist nur der eine Ausdruck eines innerlichen Wesens,
freilich ein Ausdruck, der hier durch die gedrängte Fülle und Gruppierung
der Formen voller geworden oder geblieben ist als in andern Städten und
Städtchen.

Der erste Eindruck steigert sich in den des künstlerischen Adels, indem
ich den Mittelpunkt der Reichsstadt, ihren Markt, betrete. Das berühmte
Rathaus mit der Freitreppe, den Arkaden, dem schieffcnstrigen Treppenturm,
dem anmutige" Erker, der reich und doch prunklos gegliederten Giebelseite,
dem vom Treppenturm lustig durchbrochnen Dach, ist ein wundervolles Werk
der reifen Renaissance. Leichtigkeit und Schwere sind hier gepaart, Bürger-
stolz und Bürgerfreude. Und wie brüderlich steht der Giebel neben dem
ernstern. strengern aus gotischer Bauzeit, dem der schlanke Turm entwächst!
Ihm gegenüber, im Eisenhut. am Anfang der breiten lindenbestandnen. ehemals
zur Burg führenden Herrenstraße, wo die fränkischen Adligen Sitz und Wohnung
hatten, schlage ich mein Quartier auf.

Ein wohliges Gefühl, nach erster Nasterquickung in noch ungekannte oder
doch geahnte Schönheiten einzutauchen, ziellos und planlos auf neue Ein-


Grenzboten HI 1909
Fränkisch - schwäbische Grcnzwandcrimgeil

über das Gebirge zu steigen, einen ersten Blick auf die in der Ferne sich
aufwölbende Peterskuppel zu tun und ?vno motif, „die treffliche Brück", zu
überschreiten.

Ich stehe am Spitaltor. Das mächtige Rund einer Bastion ist dem
Torturen vorgelagert. In den quadratische» Luken unter dem roten Bastei¬
dach sind die Schlünde alter Geschütze sichtbar. Sie schauen nach allen Seiten
wie die Augen einer Meute von Wachthunden. Aber sie sind ungefährlich.
Unter einer Linde sitzen alte Leute auf einer großen Bank, pfeifenrauchend,
Plaudernd, schweigend. Sie sitzen in der Schattenkühle vor den Toren und
blicken in das heiße Sommerland hinein. Aus dem Spitzbogen, zwischen den
derben Buckelquadern, kommen bäuerliche Rindergeschirre, die gemächliche Heim¬
fahrt antretend.

Ich schreite durchs Tor. Mich empfängt die Heiterkeit eines alten, aber
ungealterten, weitergrünenden Lebens. Die Heiterkeit des bejahrten Linden¬
baums vor dem Tore wohnt auch in den saubern Giebeln und Gassen, in
den engen Läden und Werkstätten der Handwerker und Krümer, in den blank¬
geputzten Wirtshauszeichen, die quer in die Straßen springen, in den Fenster-
gärtchen und Efeugeländern, in den grauen Brunnen und dem glänzenden
Moosgrün ihrer Säulchen, im Plätschern ihres frischen Wassers und des
Magdgeschwätzes über den sich füllenden Eimern, in den Bogen und Türmen
der Tore, in den Haussprüchlein zwischen den aufgefrischten Fachwerkfarben,
in den altväterischen Namen der Menschen und Gassen. Paradeisgüßlein,
Pfäffleins- und Lammwirtsgäßcheu, die Namen duften wie Lavendel und
Rosmarin. Volkslieder klingen an, wenn man sie liest. Volkslieder klingen
hier an allen Ecken und Enden an. Was mich umfängt, ist nicht nur das
Malerische. Das Malerische ist nur der eine Ausdruck eines innerlichen Wesens,
freilich ein Ausdruck, der hier durch die gedrängte Fülle und Gruppierung
der Formen voller geworden oder geblieben ist als in andern Städten und
Städtchen.

Der erste Eindruck steigert sich in den des künstlerischen Adels, indem
ich den Mittelpunkt der Reichsstadt, ihren Markt, betrete. Das berühmte
Rathaus mit der Freitreppe, den Arkaden, dem schieffcnstrigen Treppenturm,
dem anmutige» Erker, der reich und doch prunklos gegliederten Giebelseite,
dem vom Treppenturm lustig durchbrochnen Dach, ist ein wundervolles Werk
der reifen Renaissance. Leichtigkeit und Schwere sind hier gepaart, Bürger-
stolz und Bürgerfreude. Und wie brüderlich steht der Giebel neben dem
ernstern. strengern aus gotischer Bauzeit, dem der schlanke Turm entwächst!
Ihm gegenüber, im Eisenhut. am Anfang der breiten lindenbestandnen. ehemals
zur Burg führenden Herrenstraße, wo die fränkischen Adligen Sitz und Wohnung
hatten, schlage ich mein Quartier auf.

Ein wohliges Gefühl, nach erster Nasterquickung in noch ungekannte oder
doch geahnte Schönheiten einzutauchen, ziellos und planlos auf neue Ein-


Grenzboten HI 1909
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[0379] Fränkisch - schwäbische Grcnzwandcrimgeil über das Gebirge zu steigen, einen ersten Blick auf die in der Ferne sich aufwölbende Peterskuppel zu tun und ?vno motif, „die treffliche Brück", zu überschreiten. Ich stehe am Spitaltor. Das mächtige Rund einer Bastion ist dem Torturen vorgelagert. In den quadratische» Luken unter dem roten Bastei¬ dach sind die Schlünde alter Geschütze sichtbar. Sie schauen nach allen Seiten wie die Augen einer Meute von Wachthunden. Aber sie sind ungefährlich. Unter einer Linde sitzen alte Leute auf einer großen Bank, pfeifenrauchend, Plaudernd, schweigend. Sie sitzen in der Schattenkühle vor den Toren und blicken in das heiße Sommerland hinein. Aus dem Spitzbogen, zwischen den derben Buckelquadern, kommen bäuerliche Rindergeschirre, die gemächliche Heim¬ fahrt antretend. Ich schreite durchs Tor. Mich empfängt die Heiterkeit eines alten, aber ungealterten, weitergrünenden Lebens. Die Heiterkeit des bejahrten Linden¬ baums vor dem Tore wohnt auch in den saubern Giebeln und Gassen, in den engen Läden und Werkstätten der Handwerker und Krümer, in den blank¬ geputzten Wirtshauszeichen, die quer in die Straßen springen, in den Fenster- gärtchen und Efeugeländern, in den grauen Brunnen und dem glänzenden Moosgrün ihrer Säulchen, im Plätschern ihres frischen Wassers und des Magdgeschwätzes über den sich füllenden Eimern, in den Bogen und Türmen der Tore, in den Haussprüchlein zwischen den aufgefrischten Fachwerkfarben, in den altväterischen Namen der Menschen und Gassen. Paradeisgüßlein, Pfäffleins- und Lammwirtsgäßcheu, die Namen duften wie Lavendel und Rosmarin. Volkslieder klingen an, wenn man sie liest. Volkslieder klingen hier an allen Ecken und Enden an. Was mich umfängt, ist nicht nur das Malerische. Das Malerische ist nur der eine Ausdruck eines innerlichen Wesens, freilich ein Ausdruck, der hier durch die gedrängte Fülle und Gruppierung der Formen voller geworden oder geblieben ist als in andern Städten und Städtchen. Der erste Eindruck steigert sich in den des künstlerischen Adels, indem ich den Mittelpunkt der Reichsstadt, ihren Markt, betrete. Das berühmte Rathaus mit der Freitreppe, den Arkaden, dem schieffcnstrigen Treppenturm, dem anmutige» Erker, der reich und doch prunklos gegliederten Giebelseite, dem vom Treppenturm lustig durchbrochnen Dach, ist ein wundervolles Werk der reifen Renaissance. Leichtigkeit und Schwere sind hier gepaart, Bürger- stolz und Bürgerfreude. Und wie brüderlich steht der Giebel neben dem ernstern. strengern aus gotischer Bauzeit, dem der schlanke Turm entwächst! Ihm gegenüber, im Eisenhut. am Anfang der breiten lindenbestandnen. ehemals zur Burg führenden Herrenstraße, wo die fränkischen Adligen Sitz und Wohnung hatten, schlage ich mein Quartier auf. Ein wohliges Gefühl, nach erster Nasterquickung in noch ungekannte oder doch geahnte Schönheiten einzutauchen, ziellos und planlos auf neue Ein- Grenzboten HI 1909

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/379>, abgerufen am 17.06.2024.