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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Abendliche Schatten sind unterdessen, fast unvermerkt, aus dem Tal zur
Stadt hinaufgestiegen. Die bunte Lebhaftigkeit beginnt zu erblassen. Nur
die Zickzacklinie des Umrisses wird unruhiger und phantastischer und springt
scharf aus dem lichtem Himmel. Auf steilen Wegen klettere ich wieder zur
Stadt. Irgendein Tor läßt mich hinein.

Der Abend gehört den Schenken. Am Kapellenplatz finde ich ein
schmuckes Weinstübchen. Wandbilder halten die Tat des Bürgermeisters Rufes,
des Meistertrinkers, fest, dessen gewaltiger Trunk die Stadt vor Tillys Zorn
gerettet haben soll. Aus diesem Trunk zieht Rothenburg noch heute Nutzen.
Ihn feiert das alljährliche Pfingstfestspiel, das die meisten Besucher herbeilockt.
Während ich meinen Schoppen Taubcrwein, guten Weikersheimer Roten, trinke,
höre ich am Nachbartische Studentengesprüche. Angehende Juristen, nord- und
süddeutsche, unterhalten sich über die letzten Berliner und Münchner Skandal¬
prozesse. Ich suche die Schankstube einer Brauerei auf. Da sitzen schon mehr
Einheimische mit Fremden vermischt. Sie sind ihrem Tauberwein nicht alle
treu geblieben, die Rothenburger. Das altbayrische Bräuwesen hat sich längst
schon auch die fränkischen Gaue erobert. Auch sei der Weinbau der Stadt
selbst nur noch gering, belehrt mich ein Tischgenosse, aus vielen Rebäckern
seien Kleefelder geworden. Ein andrer, ein freundlicher, einfacher Mann, mit
dem ich ins Plaudern komme, macht mich auf mancherlei aufmerksam, was ich
übersehen oder noch nicht beobachtet habe. Auch in der Geschichte seiner Heimat
weiß er trefflich Bescheid. Mit klugen und schlichten Worten erzählt er, mit
welch andern Augen er jetzt seine Vaterstadt sehe, seit er sich als Fremden¬
führer des Hirschenwirts in diese Dinge vertieft habe, und wie er jetzt stolzer
und glücklicher sei als früher. Dann springt er, meine eignen Beobachtungen
ergänzend, auf andre fränkische Städtchen über und schildert ihre Eigenart.
So weiß er die Eichstätter im Altmühltal wenig zu rühmen, sie seien gar
stolz und abweisend gegen die Fremden. Es ist reizvoll, in einem Gebiet,
das man leicht wie einen Sammelbegriff erfaßt zu haben glaubt, dem Gegensatz
der Orte und ihrer Menschen nachzugehn. Es liegt ein Reiz darin, wie ihn
der Botaniker kennt, wenn er etwa in einer Bergmatte steht. Es sind alles
Alpenpflanzen ringsum, aber wie verschieden nach Gattung und Art! Mein
wackrer Bekannter verabschiedet sich mit Gruß und Handschlag. Er müsse
eben, am Spätabend, noch ein Automobil von Marienbad empfangen. Em
Automobil vou Marienbad! Gute alte Zeit, was würdest du für Augen
machen!

Der Abend führt mich noch mit einigen andern Einheimischen zusammen,
mitteilsamen Handwerksmeistern. Ich glaube in ihnen eine gewisse Verwandt¬
schaft mit ihren Behausunaen wahrzunehmen, einen mit den Zustanden zu¬
friedner Sinn, der sich mit'einer starken Neigung zu rückschauender Betrachtung
verbindet. Sie erinnern mich an das schlichte Verslein, das ich heute nachmittag
am Hause irgendeines Schusters fand: Im Hause meiner Väter klopf us all-


Abendliche Schatten sind unterdessen, fast unvermerkt, aus dem Tal zur
Stadt hinaufgestiegen. Die bunte Lebhaftigkeit beginnt zu erblassen. Nur
die Zickzacklinie des Umrisses wird unruhiger und phantastischer und springt
scharf aus dem lichtem Himmel. Auf steilen Wegen klettere ich wieder zur
Stadt. Irgendein Tor läßt mich hinein.

Der Abend gehört den Schenken. Am Kapellenplatz finde ich ein
schmuckes Weinstübchen. Wandbilder halten die Tat des Bürgermeisters Rufes,
des Meistertrinkers, fest, dessen gewaltiger Trunk die Stadt vor Tillys Zorn
gerettet haben soll. Aus diesem Trunk zieht Rothenburg noch heute Nutzen.
Ihn feiert das alljährliche Pfingstfestspiel, das die meisten Besucher herbeilockt.
Während ich meinen Schoppen Taubcrwein, guten Weikersheimer Roten, trinke,
höre ich am Nachbartische Studentengesprüche. Angehende Juristen, nord- und
süddeutsche, unterhalten sich über die letzten Berliner und Münchner Skandal¬
prozesse. Ich suche die Schankstube einer Brauerei auf. Da sitzen schon mehr
Einheimische mit Fremden vermischt. Sie sind ihrem Tauberwein nicht alle
treu geblieben, die Rothenburger. Das altbayrische Bräuwesen hat sich längst
schon auch die fränkischen Gaue erobert. Auch sei der Weinbau der Stadt
selbst nur noch gering, belehrt mich ein Tischgenosse, aus vielen Rebäckern
seien Kleefelder geworden. Ein andrer, ein freundlicher, einfacher Mann, mit
dem ich ins Plaudern komme, macht mich auf mancherlei aufmerksam, was ich
übersehen oder noch nicht beobachtet habe. Auch in der Geschichte seiner Heimat
weiß er trefflich Bescheid. Mit klugen und schlichten Worten erzählt er, mit
welch andern Augen er jetzt seine Vaterstadt sehe, seit er sich als Fremden¬
führer des Hirschenwirts in diese Dinge vertieft habe, und wie er jetzt stolzer
und glücklicher sei als früher. Dann springt er, meine eignen Beobachtungen
ergänzend, auf andre fränkische Städtchen über und schildert ihre Eigenart.
So weiß er die Eichstätter im Altmühltal wenig zu rühmen, sie seien gar
stolz und abweisend gegen die Fremden. Es ist reizvoll, in einem Gebiet,
das man leicht wie einen Sammelbegriff erfaßt zu haben glaubt, dem Gegensatz
der Orte und ihrer Menschen nachzugehn. Es liegt ein Reiz darin, wie ihn
der Botaniker kennt, wenn er etwa in einer Bergmatte steht. Es sind alles
Alpenpflanzen ringsum, aber wie verschieden nach Gattung und Art! Mein
wackrer Bekannter verabschiedet sich mit Gruß und Handschlag. Er müsse
eben, am Spätabend, noch ein Automobil von Marienbad empfangen. Em
Automobil vou Marienbad! Gute alte Zeit, was würdest du für Augen
machen!

Der Abend führt mich noch mit einigen andern Einheimischen zusammen,
mitteilsamen Handwerksmeistern. Ich glaube in ihnen eine gewisse Verwandt¬
schaft mit ihren Behausunaen wahrzunehmen, einen mit den Zustanden zu¬
friedner Sinn, der sich mit'einer starken Neigung zu rückschauender Betrachtung
verbindet. Sie erinnern mich an das schlichte Verslein, das ich heute nachmittag
am Hause irgendeines Schusters fand: Im Hause meiner Väter klopf us all-


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[0383] Abendliche Schatten sind unterdessen, fast unvermerkt, aus dem Tal zur Stadt hinaufgestiegen. Die bunte Lebhaftigkeit beginnt zu erblassen. Nur die Zickzacklinie des Umrisses wird unruhiger und phantastischer und springt scharf aus dem lichtem Himmel. Auf steilen Wegen klettere ich wieder zur Stadt. Irgendein Tor läßt mich hinein. Der Abend gehört den Schenken. Am Kapellenplatz finde ich ein schmuckes Weinstübchen. Wandbilder halten die Tat des Bürgermeisters Rufes, des Meistertrinkers, fest, dessen gewaltiger Trunk die Stadt vor Tillys Zorn gerettet haben soll. Aus diesem Trunk zieht Rothenburg noch heute Nutzen. Ihn feiert das alljährliche Pfingstfestspiel, das die meisten Besucher herbeilockt. Während ich meinen Schoppen Taubcrwein, guten Weikersheimer Roten, trinke, höre ich am Nachbartische Studentengesprüche. Angehende Juristen, nord- und süddeutsche, unterhalten sich über die letzten Berliner und Münchner Skandal¬ prozesse. Ich suche die Schankstube einer Brauerei auf. Da sitzen schon mehr Einheimische mit Fremden vermischt. Sie sind ihrem Tauberwein nicht alle treu geblieben, die Rothenburger. Das altbayrische Bräuwesen hat sich längst schon auch die fränkischen Gaue erobert. Auch sei der Weinbau der Stadt selbst nur noch gering, belehrt mich ein Tischgenosse, aus vielen Rebäckern seien Kleefelder geworden. Ein andrer, ein freundlicher, einfacher Mann, mit dem ich ins Plaudern komme, macht mich auf mancherlei aufmerksam, was ich übersehen oder noch nicht beobachtet habe. Auch in der Geschichte seiner Heimat weiß er trefflich Bescheid. Mit klugen und schlichten Worten erzählt er, mit welch andern Augen er jetzt seine Vaterstadt sehe, seit er sich als Fremden¬ führer des Hirschenwirts in diese Dinge vertieft habe, und wie er jetzt stolzer und glücklicher sei als früher. Dann springt er, meine eignen Beobachtungen ergänzend, auf andre fränkische Städtchen über und schildert ihre Eigenart. So weiß er die Eichstätter im Altmühltal wenig zu rühmen, sie seien gar stolz und abweisend gegen die Fremden. Es ist reizvoll, in einem Gebiet, das man leicht wie einen Sammelbegriff erfaßt zu haben glaubt, dem Gegensatz der Orte und ihrer Menschen nachzugehn. Es liegt ein Reiz darin, wie ihn der Botaniker kennt, wenn er etwa in einer Bergmatte steht. Es sind alles Alpenpflanzen ringsum, aber wie verschieden nach Gattung und Art! Mein wackrer Bekannter verabschiedet sich mit Gruß und Handschlag. Er müsse eben, am Spätabend, noch ein Automobil von Marienbad empfangen. Em Automobil vou Marienbad! Gute alte Zeit, was würdest du für Augen machen! Der Abend führt mich noch mit einigen andern Einheimischen zusammen, mitteilsamen Handwerksmeistern. Ich glaube in ihnen eine gewisse Verwandt¬ schaft mit ihren Behausunaen wahrzunehmen, einen mit den Zustanden zu¬ friedner Sinn, der sich mit'einer starken Neigung zu rückschauender Betrachtung verbindet. Sie erinnern mich an das schlichte Verslein, das ich heute nachmittag am Hause irgendeines Schusters fand: Im Hause meiner Väter klopf us all-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/383>, abgerufen am 14.05.2024.