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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Hellas und Wilamowitz

Klassiker verehrten die griechische Tragödie als etwas Heiliges; aus dieser
Verehrung erwuchsen die Übersetzungen Hölderlins, trotz mancher Fehler von
unsäglicher Schönheit im dichterischen Rhythmus, erwuchs Humboldts Agamemnon,
eine Frucht des vornehmen Klassizismus. Aber Wilamowitz opfert den hohen
tragischen Stil der leichten Verständlichkeit; schlimmer als das: dem modernen
proletarischen Geschmack zuliebe quält er uns mit Banalitäten, wo die
Tragiker die Sprache einer hohen Poesie reden. Er erreicht die trivialste
Verständlichkeit, indem er für jedes ursprüngliche Bild ein abgebrauchtes, schnell
faßliches setzt, für Ausdrücke heroischer Größe die einer bürgerlichen Tugend,
für gewaltigen Donner ein gemäßigtes Säuseln, für Herdes und Wuchtiges
Mildes und Süßes. Alle Anforderungen eines nicht völlig barbarischen Geschmackes
hat er von vornherein an diesem lapidaren und wahrhaft verblüffenden Satz
abprallen lassen: "Nicht den Nachbetern einer abgestandenen Kunstlehre, noch
den bildungsatten Dekadents, sondern denen, die unverdorben und meinethalben
ungebildet nach dem reinen Lebenswasser einer großen Kunst dürsten, will ich
dienen, indem ich ihnen einige solche Werke vermittle, so gut ich kann." (II, 5.)
Hat er vielleicht bei jenen Dekadents an Nietzsche gedacht, der ja so bitter über
die vertrauliche Zudringlichkeit junger und alter Philologen gegenüber den
erlauchtesten Werken der Griechen spottete? Unsere literarische Konvention ist
heute so schlecht, das Ohr für die gesprochene poetische Sprache so abgestumpft,
die Empfindung für das Ethische eines Kunstwerkes so oberflächlich, das viele
nicht begreifen werde", warum ich soviel Wesens von diesen Kleinigkeiten mache.
Vielleicht wird manchem eine kleine Auslese doch die Ohren öffnen.

Die prunkvolle Umschreibung eines Eigennamens mit x"?" ist Wilamowitz
zu erhaben und feierlich. Wo Hölderlin wörtlich übersetzt:

sagt Wilamowitz recht prosaisch:

Der Ruf der Boten, die das zehn Jahre erwartete Feuerzeichen endlich
sehen: -°ö, wird mit Hurra! Hurra! wiedergeben.

Im Agamemnon (V. 140) wird die unheildrvhende Artemis beschwichtigend
co-ffiluv, ... Wohlgesinnte, Schöne angerufen. Wenn dafür "Holde Schöne"
(ohne Komma) gesetzt wird, so ist es in eine leere Schmeichelei verwandelt.
V. 264 übersetzt Humboldt richtig "Entsteige . . . dem macht'gen Mutterschoße
hell das Morgenrot". Diese mythisch große Poesie verwandelt Wilamowitz
ins Triviale, das ihm wohl poetischer scheint: "Die Mutter Nacht hat frohe
Botschaft uns beschert." Jedes Wort ist ein Weihnachten. Es klingt, als ob
die Nacht nicht die Mutter des Morgens, sondern unsere Mutter sei. Das
ist vertraulicher und gemütlicher. Aus der gezierten Antwort des Chor¬
führers: "Unmöglich, doch verzeih -- ich hörte wohl nicht recht?" wird


Hellas und Wilamowitz

Klassiker verehrten die griechische Tragödie als etwas Heiliges; aus dieser
Verehrung erwuchsen die Übersetzungen Hölderlins, trotz mancher Fehler von
unsäglicher Schönheit im dichterischen Rhythmus, erwuchs Humboldts Agamemnon,
eine Frucht des vornehmen Klassizismus. Aber Wilamowitz opfert den hohen
tragischen Stil der leichten Verständlichkeit; schlimmer als das: dem modernen
proletarischen Geschmack zuliebe quält er uns mit Banalitäten, wo die
Tragiker die Sprache einer hohen Poesie reden. Er erreicht die trivialste
Verständlichkeit, indem er für jedes ursprüngliche Bild ein abgebrauchtes, schnell
faßliches setzt, für Ausdrücke heroischer Größe die einer bürgerlichen Tugend,
für gewaltigen Donner ein gemäßigtes Säuseln, für Herdes und Wuchtiges
Mildes und Süßes. Alle Anforderungen eines nicht völlig barbarischen Geschmackes
hat er von vornherein an diesem lapidaren und wahrhaft verblüffenden Satz
abprallen lassen: „Nicht den Nachbetern einer abgestandenen Kunstlehre, noch
den bildungsatten Dekadents, sondern denen, die unverdorben und meinethalben
ungebildet nach dem reinen Lebenswasser einer großen Kunst dürsten, will ich
dienen, indem ich ihnen einige solche Werke vermittle, so gut ich kann." (II, 5.)
Hat er vielleicht bei jenen Dekadents an Nietzsche gedacht, der ja so bitter über
die vertrauliche Zudringlichkeit junger und alter Philologen gegenüber den
erlauchtesten Werken der Griechen spottete? Unsere literarische Konvention ist
heute so schlecht, das Ohr für die gesprochene poetische Sprache so abgestumpft,
die Empfindung für das Ethische eines Kunstwerkes so oberflächlich, das viele
nicht begreifen werde», warum ich soviel Wesens von diesen Kleinigkeiten mache.
Vielleicht wird manchem eine kleine Auslese doch die Ohren öffnen.

Die prunkvolle Umschreibung eines Eigennamens mit x«?« ist Wilamowitz
zu erhaben und feierlich. Wo Hölderlin wörtlich übersetzt:

sagt Wilamowitz recht prosaisch:

Der Ruf der Boten, die das zehn Jahre erwartete Feuerzeichen endlich
sehen: -°ö, wird mit Hurra! Hurra! wiedergeben.

Im Agamemnon (V. 140) wird die unheildrvhende Artemis beschwichtigend
co-ffiluv, ... Wohlgesinnte, Schöne angerufen. Wenn dafür „Holde Schöne"
(ohne Komma) gesetzt wird, so ist es in eine leere Schmeichelei verwandelt.
V. 264 übersetzt Humboldt richtig „Entsteige . . . dem macht'gen Mutterschoße
hell das Morgenrot". Diese mythisch große Poesie verwandelt Wilamowitz
ins Triviale, das ihm wohl poetischer scheint: „Die Mutter Nacht hat frohe
Botschaft uns beschert." Jedes Wort ist ein Weihnachten. Es klingt, als ob
die Nacht nicht die Mutter des Morgens, sondern unsere Mutter sei. Das
ist vertraulicher und gemütlicher. Aus der gezierten Antwort des Chor¬
führers: „Unmöglich, doch verzeih — ich hörte wohl nicht recht?" wird


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[0425] Hellas und Wilamowitz Klassiker verehrten die griechische Tragödie als etwas Heiliges; aus dieser Verehrung erwuchsen die Übersetzungen Hölderlins, trotz mancher Fehler von unsäglicher Schönheit im dichterischen Rhythmus, erwuchs Humboldts Agamemnon, eine Frucht des vornehmen Klassizismus. Aber Wilamowitz opfert den hohen tragischen Stil der leichten Verständlichkeit; schlimmer als das: dem modernen proletarischen Geschmack zuliebe quält er uns mit Banalitäten, wo die Tragiker die Sprache einer hohen Poesie reden. Er erreicht die trivialste Verständlichkeit, indem er für jedes ursprüngliche Bild ein abgebrauchtes, schnell faßliches setzt, für Ausdrücke heroischer Größe die einer bürgerlichen Tugend, für gewaltigen Donner ein gemäßigtes Säuseln, für Herdes und Wuchtiges Mildes und Süßes. Alle Anforderungen eines nicht völlig barbarischen Geschmackes hat er von vornherein an diesem lapidaren und wahrhaft verblüffenden Satz abprallen lassen: „Nicht den Nachbetern einer abgestandenen Kunstlehre, noch den bildungsatten Dekadents, sondern denen, die unverdorben und meinethalben ungebildet nach dem reinen Lebenswasser einer großen Kunst dürsten, will ich dienen, indem ich ihnen einige solche Werke vermittle, so gut ich kann." (II, 5.) Hat er vielleicht bei jenen Dekadents an Nietzsche gedacht, der ja so bitter über die vertrauliche Zudringlichkeit junger und alter Philologen gegenüber den erlauchtesten Werken der Griechen spottete? Unsere literarische Konvention ist heute so schlecht, das Ohr für die gesprochene poetische Sprache so abgestumpft, die Empfindung für das Ethische eines Kunstwerkes so oberflächlich, das viele nicht begreifen werde», warum ich soviel Wesens von diesen Kleinigkeiten mache. Vielleicht wird manchem eine kleine Auslese doch die Ohren öffnen. Die prunkvolle Umschreibung eines Eigennamens mit x«?« ist Wilamowitz zu erhaben und feierlich. Wo Hölderlin wörtlich übersetzt: sagt Wilamowitz recht prosaisch: Der Ruf der Boten, die das zehn Jahre erwartete Feuerzeichen endlich sehen: -°ö, wird mit Hurra! Hurra! wiedergeben. Im Agamemnon (V. 140) wird die unheildrvhende Artemis beschwichtigend co-ffiluv, ... Wohlgesinnte, Schöne angerufen. Wenn dafür „Holde Schöne" (ohne Komma) gesetzt wird, so ist es in eine leere Schmeichelei verwandelt. V. 264 übersetzt Humboldt richtig „Entsteige . . . dem macht'gen Mutterschoße hell das Morgenrot". Diese mythisch große Poesie verwandelt Wilamowitz ins Triviale, das ihm wohl poetischer scheint: „Die Mutter Nacht hat frohe Botschaft uns beschert." Jedes Wort ist ein Weihnachten. Es klingt, als ob die Nacht nicht die Mutter des Morgens, sondern unsere Mutter sei. Das ist vertraulicher und gemütlicher. Aus der gezierten Antwort des Chor¬ führers: „Unmöglich, doch verzeih — ich hörte wohl nicht recht?" wird

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/425>, abgerufen am 30.04.2024.