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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Bürgerliche Rnltur

Bürger kaufte sich die Einrichtung, die er bei dem Adlichen, dem Fürsten sah.
Er mußte sich mit einem Surrogat begnügen, das die äußere Erscheinung
in irgendeiner billigen Übersetzung bot. Die Imitationen kamen auf und gediehen
zu reicher Blüte. Und der Arbeiter kauft sich die Einrichtung, die er bei dem
Bürger sieht, von der er annimmt, daß sie dort als schön und elegant gilt.
Natürlich wird auch da wieder, teils aus Gründen der Billigkeit, teils aus
Gründen der Anpassung, eine Verfälschung und eine nochmalige Verwässerung
eintreten, wie wir es ja bei den billigen, schlechten Industriemöbeln, die für
Arbeiter bestimmt sind, sehen.

Nicht sie, die Fürsten, sondern wir, die Bürger, brauchen ein neues
Milieu, dessen Charakter wir bisher erborgten von der höfischen Kunst. Plötzlich
setzt die bürgerliche Kultur das Ziel, sich eine eigene Kunst zu schaffen. Die
moderne dekorative Bewegung ist eine bürgerliche Bewegung. An die Stelle
des Fürsten tritt in der Großstadt das großstädtische gebildete Publikum, das
die Protektion der neuen Kunst übernimmt, und als sichtbarer Ausdruck die
Industrie.

Da aber stoßen wir schon auf festen Boden. Wir kommen, indem wir
zu den noch tieferen Schichten heruntersteigen, zur Bauerukunst. Diese ist
eigemvüchsig. Und wir sehen, daß der Fürst wie der Bauer eine eigene Kultur
des Wohnens besaßen; der Bürger und der Arbeiter besitzen sie nicht. Die
Vorbilder, die die in den verschiedensten Bezirken ansässige Bauernkunst uns
zeigt, sind in sich so vollendet, daß reiche Anregung von ihr ausgeht und ein¬
strömt in das moderne Kunstgewerbe. Man braucht nur an Riemerschinid zu
denken. Da erscheint das Bäuerliche nur benutzt. Es hat den Verhältnissen
entsprechend eine Umbildung erfahren. Die Farben sind fröhlicher. Die Ver¬
hältnisse sind intimer. Beides hatten wir verlernt. Wir vermieden die Farben
und wollten Prachtrad, Monumentalität vortäuschen. So lernen wir an der
Hand der bäuerlichen Kunst unsere Eigenart suchen, wir bekommen den Mut,
Eigene zu sein. Es ist damit zugleich ein Weg angezeigt, wie auch für den
Arbeiter ein neues Milieu geschaffen werden kann, das seinen Bedürfnissen
gerecht wird, seine Lebensgewohnheiten ausdrückt. Zwischen diesen beiden Extremen,
der Fürstenkunst und der Bauernkunst, stand die bürgerliche Kunst in der Mitte
als eine charakterlose Erscheinung. Der Bürger ist nicht wie der Bauer etwas
sozusagen organisch Gewordenes. Er hat sich zwischen jene beiden Extreme
geschoben und muß erst bestrebt sein, ein Eigenes auch im Hinblick auf die
äußerliche Kultur nur von dieser ist hier die Rede zu werden.

Da ist es bezeichnend, daß die neue dekorative Bewegung, wenn sie auch
nach anderen Seiten, nach der aristokratischen wie nach der bäuerlichen hin,
charakteristische Ausläufer aussendet, doch im wesentlichen darauf ausgeht, diese
bürgerliche Kultur zu schaffen. Von bürgerlichen Elementen getragen, arbeitet
sie daran, dem vernachlässigten Gebiet Erscheinung und Eigenart zu gebeir.
So umfassend, daß sie wiederum vorbildlich werden wird für andere Kreise.


Bürgerliche Rnltur

Bürger kaufte sich die Einrichtung, die er bei dem Adlichen, dem Fürsten sah.
Er mußte sich mit einem Surrogat begnügen, das die äußere Erscheinung
in irgendeiner billigen Übersetzung bot. Die Imitationen kamen auf und gediehen
zu reicher Blüte. Und der Arbeiter kauft sich die Einrichtung, die er bei dem
Bürger sieht, von der er annimmt, daß sie dort als schön und elegant gilt.
Natürlich wird auch da wieder, teils aus Gründen der Billigkeit, teils aus
Gründen der Anpassung, eine Verfälschung und eine nochmalige Verwässerung
eintreten, wie wir es ja bei den billigen, schlechten Industriemöbeln, die für
Arbeiter bestimmt sind, sehen.

Nicht sie, die Fürsten, sondern wir, die Bürger, brauchen ein neues
Milieu, dessen Charakter wir bisher erborgten von der höfischen Kunst. Plötzlich
setzt die bürgerliche Kultur das Ziel, sich eine eigene Kunst zu schaffen. Die
moderne dekorative Bewegung ist eine bürgerliche Bewegung. An die Stelle
des Fürsten tritt in der Großstadt das großstädtische gebildete Publikum, das
die Protektion der neuen Kunst übernimmt, und als sichtbarer Ausdruck die
Industrie.

Da aber stoßen wir schon auf festen Boden. Wir kommen, indem wir
zu den noch tieferen Schichten heruntersteigen, zur Bauerukunst. Diese ist
eigemvüchsig. Und wir sehen, daß der Fürst wie der Bauer eine eigene Kultur
des Wohnens besaßen; der Bürger und der Arbeiter besitzen sie nicht. Die
Vorbilder, die die in den verschiedensten Bezirken ansässige Bauernkunst uns
zeigt, sind in sich so vollendet, daß reiche Anregung von ihr ausgeht und ein¬
strömt in das moderne Kunstgewerbe. Man braucht nur an Riemerschinid zu
denken. Da erscheint das Bäuerliche nur benutzt. Es hat den Verhältnissen
entsprechend eine Umbildung erfahren. Die Farben sind fröhlicher. Die Ver¬
hältnisse sind intimer. Beides hatten wir verlernt. Wir vermieden die Farben
und wollten Prachtrad, Monumentalität vortäuschen. So lernen wir an der
Hand der bäuerlichen Kunst unsere Eigenart suchen, wir bekommen den Mut,
Eigene zu sein. Es ist damit zugleich ein Weg angezeigt, wie auch für den
Arbeiter ein neues Milieu geschaffen werden kann, das seinen Bedürfnissen
gerecht wird, seine Lebensgewohnheiten ausdrückt. Zwischen diesen beiden Extremen,
der Fürstenkunst und der Bauernkunst, stand die bürgerliche Kunst in der Mitte
als eine charakterlose Erscheinung. Der Bürger ist nicht wie der Bauer etwas
sozusagen organisch Gewordenes. Er hat sich zwischen jene beiden Extreme
geschoben und muß erst bestrebt sein, ein Eigenes auch im Hinblick auf die
äußerliche Kultur nur von dieser ist hier die Rede zu werden.

Da ist es bezeichnend, daß die neue dekorative Bewegung, wenn sie auch
nach anderen Seiten, nach der aristokratischen wie nach der bäuerlichen hin,
charakteristische Ausläufer aussendet, doch im wesentlichen darauf ausgeht, diese
bürgerliche Kultur zu schaffen. Von bürgerlichen Elementen getragen, arbeitet
sie daran, dem vernachlässigten Gebiet Erscheinung und Eigenart zu gebeir.
So umfassend, daß sie wiederum vorbildlich werden wird für andere Kreise.


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[0402] Bürgerliche Rnltur Bürger kaufte sich die Einrichtung, die er bei dem Adlichen, dem Fürsten sah. Er mußte sich mit einem Surrogat begnügen, das die äußere Erscheinung in irgendeiner billigen Übersetzung bot. Die Imitationen kamen auf und gediehen zu reicher Blüte. Und der Arbeiter kauft sich die Einrichtung, die er bei dem Bürger sieht, von der er annimmt, daß sie dort als schön und elegant gilt. Natürlich wird auch da wieder, teils aus Gründen der Billigkeit, teils aus Gründen der Anpassung, eine Verfälschung und eine nochmalige Verwässerung eintreten, wie wir es ja bei den billigen, schlechten Industriemöbeln, die für Arbeiter bestimmt sind, sehen. Nicht sie, die Fürsten, sondern wir, die Bürger, brauchen ein neues Milieu, dessen Charakter wir bisher erborgten von der höfischen Kunst. Plötzlich setzt die bürgerliche Kultur das Ziel, sich eine eigene Kunst zu schaffen. Die moderne dekorative Bewegung ist eine bürgerliche Bewegung. An die Stelle des Fürsten tritt in der Großstadt das großstädtische gebildete Publikum, das die Protektion der neuen Kunst übernimmt, und als sichtbarer Ausdruck die Industrie. Da aber stoßen wir schon auf festen Boden. Wir kommen, indem wir zu den noch tieferen Schichten heruntersteigen, zur Bauerukunst. Diese ist eigemvüchsig. Und wir sehen, daß der Fürst wie der Bauer eine eigene Kultur des Wohnens besaßen; der Bürger und der Arbeiter besitzen sie nicht. Die Vorbilder, die die in den verschiedensten Bezirken ansässige Bauernkunst uns zeigt, sind in sich so vollendet, daß reiche Anregung von ihr ausgeht und ein¬ strömt in das moderne Kunstgewerbe. Man braucht nur an Riemerschinid zu denken. Da erscheint das Bäuerliche nur benutzt. Es hat den Verhältnissen entsprechend eine Umbildung erfahren. Die Farben sind fröhlicher. Die Ver¬ hältnisse sind intimer. Beides hatten wir verlernt. Wir vermieden die Farben und wollten Prachtrad, Monumentalität vortäuschen. So lernen wir an der Hand der bäuerlichen Kunst unsere Eigenart suchen, wir bekommen den Mut, Eigene zu sein. Es ist damit zugleich ein Weg angezeigt, wie auch für den Arbeiter ein neues Milieu geschaffen werden kann, das seinen Bedürfnissen gerecht wird, seine Lebensgewohnheiten ausdrückt. Zwischen diesen beiden Extremen, der Fürstenkunst und der Bauernkunst, stand die bürgerliche Kunst in der Mitte als eine charakterlose Erscheinung. Der Bürger ist nicht wie der Bauer etwas sozusagen organisch Gewordenes. Er hat sich zwischen jene beiden Extreme geschoben und muß erst bestrebt sein, ein Eigenes auch im Hinblick auf die äußerliche Kultur nur von dieser ist hier die Rede zu werden. Da ist es bezeichnend, daß die neue dekorative Bewegung, wenn sie auch nach anderen Seiten, nach der aristokratischen wie nach der bäuerlichen hin, charakteristische Ausläufer aussendet, doch im wesentlichen darauf ausgeht, diese bürgerliche Kultur zu schaffen. Von bürgerlichen Elementen getragen, arbeitet sie daran, dem vernachlässigten Gebiet Erscheinung und Eigenart zu gebeir. So umfassend, daß sie wiederum vorbildlich werden wird für andere Kreise.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/402>, abgerufen am 10.06.2024.