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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Wir müssen aufhören, auf unsre traditionelle lateinische Überlegenheit zu
pochen, denn unsre "gute Meinung" von uns selbst wird künftighin nicht mehr
viel Wirkung auf die Welt ausüben, und in uns selbst versperrt sie den Weg,
der zu einem neuen Leben führt. Wohl blühen herrliche, duftende und farben¬
prächtige Blumen auf unserm Boden; dennoch dürfen wir uns nicht der Wahr¬
nehmung verschließen, daß Staunn und Äste des lateinischen Lebensbaums nicht
mit ihnen in Zusammenhang stehen. Die römische Medaille zeigt uns auf ihrer
Kehrseite ein Bild, dessen Züge uns ernstlich Sorge machen sollten.




Briefe und Tagebücher des deutschen Volkes
aus Ariegszeiten.

iM
K^vin ersten Bande der urkundlichen Beitrüge und Forschungen zur
Geschichte des preußischen Heeres, herausgegeben vom Großen
Generalstabe, Berlin 1903, finden sich aus den Feldzügen 175";
und 1757 über die Schlachten von Lobositz und Prag achtzehn
Briefe preußischer Soldaten und eines Nichtkombattanten abgedruckt.
Die Briefe stammen aus dein Fürstlich Stollbergschen Hausarchiv
in Wernigerode und sind für den regierenden Grafen Christian Ernst 1771),
einem treuen Anhänger seines Lehnsherrn Friedrichs des Großen, gesammelt worden.

Der Generalstab hat den Briefen eine kritische Würdigung beigegeben:
Von Kantonspflichtigen und Kapitulanten, also keinen gewordenen Ausländern,
sondern preußischen Landeskindern geschrieben, gäben sie mit-ihrem vielseitigen
Inhalt Kunde von Eltern, Sippen und Freundschaft, Heimat und Garnison; der
vortreffliche Geist der Briefschreiber falle in die Augen, der Gleichmut, mit dem
von Hunger, Durst und allen Beschwerden des Krieges gesprochen wird, die
Bewunderung für ihren König, die Anhänglichkeit an ihre Offiziere und die
große Familie ihres Regiments. Brav, einfach, pflichttreu und hingebend gäben
sich diese wackeren Männer, denen eine stille, selbstverständliche Frömmigkeit
eigen und das Gefühl der Vaterlandsliebe nicht mehr fremd sei. Es sei, als
ob sie schon das Große ahnten, was eine spätere Zeit den Beruf Preußens
genannt hat. Naive und unrichtige Mitteilungen über den Gang der Ereignisse
kämen vor, doch ließe sich die Grenze, innerhalb deren volle Glaubwürdigkeit
vorhanden sei, von dem Kundigen leicht ziehen. Den besonderen Wert der Briefe
mache es aber aus, daß sie nicht nur die Erlebnisse, Betrachtungen und Gefühls¬
äußerungen einzelner, sondern mehrerer enthielten; ihr Inhalt werde dazu bei¬
tragen, manche "falsche Ansicht über den Geist des Heeres, mit dem der große
König die Schlachten der ersten Jahre des siebenjährigen Krieges schlug, zu
beseitigen".

Hat dies Urteil der berufensten Stelle, die es dafür geben kann, nicht eine
überaus wichtige, über den vorliegenden bescheidenen Fall weit hinausgehende
Bedeutung? Wenn jenen an Zahl so geringen, glücklich erhaltene l Briefen aus


Wir müssen aufhören, auf unsre traditionelle lateinische Überlegenheit zu
pochen, denn unsre „gute Meinung" von uns selbst wird künftighin nicht mehr
viel Wirkung auf die Welt ausüben, und in uns selbst versperrt sie den Weg,
der zu einem neuen Leben führt. Wohl blühen herrliche, duftende und farben¬
prächtige Blumen auf unserm Boden; dennoch dürfen wir uns nicht der Wahr¬
nehmung verschließen, daß Staunn und Äste des lateinischen Lebensbaums nicht
mit ihnen in Zusammenhang stehen. Die römische Medaille zeigt uns auf ihrer
Kehrseite ein Bild, dessen Züge uns ernstlich Sorge machen sollten.




Briefe und Tagebücher des deutschen Volkes
aus Ariegszeiten.

iM
K^vin ersten Bande der urkundlichen Beitrüge und Forschungen zur
Geschichte des preußischen Heeres, herausgegeben vom Großen
Generalstabe, Berlin 1903, finden sich aus den Feldzügen 175«;
und 1757 über die Schlachten von Lobositz und Prag achtzehn
Briefe preußischer Soldaten und eines Nichtkombattanten abgedruckt.
Die Briefe stammen aus dein Fürstlich Stollbergschen Hausarchiv
in Wernigerode und sind für den regierenden Grafen Christian Ernst 1771),
einem treuen Anhänger seines Lehnsherrn Friedrichs des Großen, gesammelt worden.

Der Generalstab hat den Briefen eine kritische Würdigung beigegeben:
Von Kantonspflichtigen und Kapitulanten, also keinen gewordenen Ausländern,
sondern preußischen Landeskindern geschrieben, gäben sie mit-ihrem vielseitigen
Inhalt Kunde von Eltern, Sippen und Freundschaft, Heimat und Garnison; der
vortreffliche Geist der Briefschreiber falle in die Augen, der Gleichmut, mit dem
von Hunger, Durst und allen Beschwerden des Krieges gesprochen wird, die
Bewunderung für ihren König, die Anhänglichkeit an ihre Offiziere und die
große Familie ihres Regiments. Brav, einfach, pflichttreu und hingebend gäben
sich diese wackeren Männer, denen eine stille, selbstverständliche Frömmigkeit
eigen und das Gefühl der Vaterlandsliebe nicht mehr fremd sei. Es sei, als
ob sie schon das Große ahnten, was eine spätere Zeit den Beruf Preußens
genannt hat. Naive und unrichtige Mitteilungen über den Gang der Ereignisse
kämen vor, doch ließe sich die Grenze, innerhalb deren volle Glaubwürdigkeit
vorhanden sei, von dem Kundigen leicht ziehen. Den besonderen Wert der Briefe
mache es aber aus, daß sie nicht nur die Erlebnisse, Betrachtungen und Gefühls¬
äußerungen einzelner, sondern mehrerer enthielten; ihr Inhalt werde dazu bei¬
tragen, manche „falsche Ansicht über den Geist des Heeres, mit dem der große
König die Schlachten der ersten Jahre des siebenjährigen Krieges schlug, zu
beseitigen".

Hat dies Urteil der berufensten Stelle, die es dafür geben kann, nicht eine
überaus wichtige, über den vorliegenden bescheidenen Fall weit hinausgehende
Bedeutung? Wenn jenen an Zahl so geringen, glücklich erhaltene l Briefen aus


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/42>, abgerufen am 19.05.2024.