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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Ferdinand Freiligrath

aller Sammlungen und der Erträge aus Vorträgen, Freiligrath-Abenden usw.
war sehr erheblich, gegen 60000 Taler. Parteiunterstützungen hatte der Dichter
stets entschieden abgelehnt, aber die Gabe nationaler Liebe und Treue durfte er
ohne Bedenklichkeiten entgegennehmen. Er hatte stets geglaubt, nur die Revo¬
lution werde ihn wieder in die Heimat zurückführen; nun war es anders
gekommen, das ganze Volk rief ihn, und kein gesetzliches Hemmnis stand seiner
Rückkehr im Wege. So kam er denn mit Freuden. Aber nicht in Preußen
wollte er wohnen als ein stillschweigend Begnadigter -- denn die 1851 gegen
ihn eingeleitete Untersuchung war niemals abgeschlossen worden --, sondern er
wählte die schwäbische Hauptstadt zum Ruhesitz seines Alters. Seine Reise
rheinaufwärts bis Mannheim war ein einziger Triumphzug, besonders glanzvoll
war der ehrende Empfang in Köln. Tiefbewegt durch alle Liebe und Treue,
die ihm in so überwältigender Weise entgegengebracht wurde, konnte er nur
stammelnd Dank sagen. Dann ging's nach Stuttgart. In den letzten Lebens¬
jahren wohnte der Alte in dem nahen Kannstatt. Noch einmal besuchte er die
lippische Heimat; auch diese Fahrt zeigte ihm aufs neue, wie gefeiert sein
Name war.

In trüber Zeit hatte er seine feste Zuversicht auf das dereinstige Aufblühen
der Wunderblume Deutschland ausgesprochen, und nun sollte diese Hoffnung, die
ihn nie verlassen hatte, zur beglückenden Tatsache werden. Alldeutschland zog
in Frankreich hinein, und der Traum von einem einigen, mächtigen Vaterlande
ging in glorreiche Erfüllung, freilich auf eine ganz andre Weise, als der alte
Idealist von 1848 gewähnt hatte. Von seinen Empfindungen beim Beginn jener
großen Zeit legt ein Brief Zeugnis ab, den er damals an einen Düsseldorfer
Freund schrieb. Darin heißt es: "Daß ich mit jeder Faser meines Herzens
deutsch bin und mich in aller Sorge stolz und gehoben fühle durch das einige,
einheitliche Vorgehen Deutschlands, brauche ich Dir nicht zu sagen. Es ist eine
schwere, aber auch eine große Zeit, und ich hoffe zu Gott, daß Deutschland
größer, stärker, herrlicher aus dem Kampfe hervorgehen wird, als es je zuvor
gewesen ist." -- Und nun wallte der fast schon versiegte Born der Lieder noch
einmal machtvoll auf. In wildbewegter Vergangenheit war Freiligrath der
"Trompeter der Revolution" gewesen, jetzt war er mit der Gestaltung, welche
die Dinge im Vaterlande genommen hatten, völlig ausgesöhnt, und sein von
der einen Empfindung volles Herz machte ihn nun zum patriotischen, zum
nationalen Dichter. Der frivolen Kriegserklärung des Kaiserreichs schleuderte
er als poetische Antwort sein zornflammendes, siegeszuversichtliches "Hurra,
Germania!" entgegen, und den Toten sang er in seiner "Trompete von Vionville",
wohl der schönsten Perle der gesamten Kriegslvrik von 1870/71, ein ergreifendes
Gedächtnislied. Sein "Wolfgang im Felde" ist dem ältesten Sohne. Wolfgang,
gewidmet, der aus England herbeigeeilt war, um sich im Kriege als Samariter
Zu betätigen, und in "Freiwillige vor!" fordert der Dichter im Namen des
Kölner Weihnachtsbasars zu Spenden auf für die Familien der im Felde


Ferdinand Freiligrath

aller Sammlungen und der Erträge aus Vorträgen, Freiligrath-Abenden usw.
war sehr erheblich, gegen 60000 Taler. Parteiunterstützungen hatte der Dichter
stets entschieden abgelehnt, aber die Gabe nationaler Liebe und Treue durfte er
ohne Bedenklichkeiten entgegennehmen. Er hatte stets geglaubt, nur die Revo¬
lution werde ihn wieder in die Heimat zurückführen; nun war es anders
gekommen, das ganze Volk rief ihn, und kein gesetzliches Hemmnis stand seiner
Rückkehr im Wege. So kam er denn mit Freuden. Aber nicht in Preußen
wollte er wohnen als ein stillschweigend Begnadigter — denn die 1851 gegen
ihn eingeleitete Untersuchung war niemals abgeschlossen worden —, sondern er
wählte die schwäbische Hauptstadt zum Ruhesitz seines Alters. Seine Reise
rheinaufwärts bis Mannheim war ein einziger Triumphzug, besonders glanzvoll
war der ehrende Empfang in Köln. Tiefbewegt durch alle Liebe und Treue,
die ihm in so überwältigender Weise entgegengebracht wurde, konnte er nur
stammelnd Dank sagen. Dann ging's nach Stuttgart. In den letzten Lebens¬
jahren wohnte der Alte in dem nahen Kannstatt. Noch einmal besuchte er die
lippische Heimat; auch diese Fahrt zeigte ihm aufs neue, wie gefeiert sein
Name war.

In trüber Zeit hatte er seine feste Zuversicht auf das dereinstige Aufblühen
der Wunderblume Deutschland ausgesprochen, und nun sollte diese Hoffnung, die
ihn nie verlassen hatte, zur beglückenden Tatsache werden. Alldeutschland zog
in Frankreich hinein, und der Traum von einem einigen, mächtigen Vaterlande
ging in glorreiche Erfüllung, freilich auf eine ganz andre Weise, als der alte
Idealist von 1848 gewähnt hatte. Von seinen Empfindungen beim Beginn jener
großen Zeit legt ein Brief Zeugnis ab, den er damals an einen Düsseldorfer
Freund schrieb. Darin heißt es: „Daß ich mit jeder Faser meines Herzens
deutsch bin und mich in aller Sorge stolz und gehoben fühle durch das einige,
einheitliche Vorgehen Deutschlands, brauche ich Dir nicht zu sagen. Es ist eine
schwere, aber auch eine große Zeit, und ich hoffe zu Gott, daß Deutschland
größer, stärker, herrlicher aus dem Kampfe hervorgehen wird, als es je zuvor
gewesen ist." — Und nun wallte der fast schon versiegte Born der Lieder noch
einmal machtvoll auf. In wildbewegter Vergangenheit war Freiligrath der
„Trompeter der Revolution" gewesen, jetzt war er mit der Gestaltung, welche
die Dinge im Vaterlande genommen hatten, völlig ausgesöhnt, und sein von
der einen Empfindung volles Herz machte ihn nun zum patriotischen, zum
nationalen Dichter. Der frivolen Kriegserklärung des Kaiserreichs schleuderte
er als poetische Antwort sein zornflammendes, siegeszuversichtliches „Hurra,
Germania!" entgegen, und den Toten sang er in seiner „Trompete von Vionville",
wohl der schönsten Perle der gesamten Kriegslvrik von 1870/71, ein ergreifendes
Gedächtnislied. Sein „Wolfgang im Felde" ist dem ältesten Sohne. Wolfgang,
gewidmet, der aus England herbeigeeilt war, um sich im Kriege als Samariter
Zu betätigen, und in „Freiwillige vor!" fordert der Dichter im Namen des
Kölner Weihnachtsbasars zu Spenden auf für die Familien der im Felde


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/521>, abgerufen am 17.06.2024.