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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Ferdinand Freiligrath

stehenden Landwehrmänner und Reservisten. In allen diesen späten Gedichten
zeigt der greise Poet dieselbe Tiefe der Empfindung, dieselbe Glut der Bered¬
samkeit, die auch den früheren eigen ist.

Zwei Jahre nach dein Kriege traf ihn ein herber Schicksalsschlag, von dem
er sich nicht mehr erholen konnte: sein im blühendsten Jünglingsalter stehender
zweiter Sohn, Otto, starb am Scharlachfieber. In der Arbeit suchte der bis
ans Ende tätige Mann seinen Trost. Sie galt in den letzten Lebensjahren der
Herausgabe von Hallbergers "Jllustrated English Magazine", der bekannten
Halbmonatsschrift. Da ein schweres Leiden, zunehmende Verfettung des Herzens,
ihn ergriffen hatte, suchte er Heilung in Klosters im Prättigau. Es war ver¬
geblich, und er fühlte, daß es zu Ende ging. Seine letzte große Freude war,
daß Wolfgang mit seiner jungen Frau aus Amerika ins Elternhaus zu Besuch
gekommen war. In der Frühe des Morgens vom 18. März 1876 verschied
der alte Poet und Freiheitsmann nach ganz kurzem Todeskampfe in seinein
Lehnstuhl. Auf dem Kannstatter Friedhofe fand er seine letzte Ruhestätte, die
seit Sommer 1878 mit seiner auf granitnen Sockel aufgestellten Büste von
Donndorfs Meisterhand geschmückt ist.

In dem hochbegabten, tief empfindenden Poeten war zugleich ein ganzer
Mann dahingegangen, ausgezeichnet durch starken Charakter, markig, knorrig
und zäh wie die Eichen seiner geliebten westfälischen Heimat, zugleich aber von
tiefem, goldklarem Gemüt. An den Seinen hing sein Herz mit unerschöpflicher
Liebe; für sie sorgte er in seltner Pflichttreue und in harter Arbeit, um ihnen
die Unabhängigkeit zu erhalten. Mit Charakterfestigkeit hielt er in dem herben
Flüchtlingsleben an seinen Überzeugungen und Hoffnungen fest; aber er stand
doch nicht in Groll und Verbissenheit beiseite, als in der Heimat die Dinge
anders kamen, denn er geträumt hatte, sondern er söhnte sich damit völlig aus
und freute sich ans ehrlichem deutschen Herzen der neuerstandnen Größe und
Einheit des von ihm so heißgeliebten Vaterlandes. Sein Wesen war reinste
Lauterkeit; nie hat er eine unredliche Handlung begangen, nie eine unedle
Denkweise gezeigt. Mit rührender Bescheidenheit verhielt er sich gegenüber den
zahlreichen Huldigungen, der rühmenden Anerkennung seiner Verdienste. Wo es
seine Ehre galt, war er hart und unbeugsam, seinen Mitmenschen gegenüber
voll unergründlicher Herzensgüte, in Wahrheit eine /^rima caniZiäÄ.




Ferdinand Freiligrath

stehenden Landwehrmänner und Reservisten. In allen diesen späten Gedichten
zeigt der greise Poet dieselbe Tiefe der Empfindung, dieselbe Glut der Bered¬
samkeit, die auch den früheren eigen ist.

Zwei Jahre nach dein Kriege traf ihn ein herber Schicksalsschlag, von dem
er sich nicht mehr erholen konnte: sein im blühendsten Jünglingsalter stehender
zweiter Sohn, Otto, starb am Scharlachfieber. In der Arbeit suchte der bis
ans Ende tätige Mann seinen Trost. Sie galt in den letzten Lebensjahren der
Herausgabe von Hallbergers „Jllustrated English Magazine", der bekannten
Halbmonatsschrift. Da ein schweres Leiden, zunehmende Verfettung des Herzens,
ihn ergriffen hatte, suchte er Heilung in Klosters im Prättigau. Es war ver¬
geblich, und er fühlte, daß es zu Ende ging. Seine letzte große Freude war,
daß Wolfgang mit seiner jungen Frau aus Amerika ins Elternhaus zu Besuch
gekommen war. In der Frühe des Morgens vom 18. März 1876 verschied
der alte Poet und Freiheitsmann nach ganz kurzem Todeskampfe in seinein
Lehnstuhl. Auf dem Kannstatter Friedhofe fand er seine letzte Ruhestätte, die
seit Sommer 1878 mit seiner auf granitnen Sockel aufgestellten Büste von
Donndorfs Meisterhand geschmückt ist.

In dem hochbegabten, tief empfindenden Poeten war zugleich ein ganzer
Mann dahingegangen, ausgezeichnet durch starken Charakter, markig, knorrig
und zäh wie die Eichen seiner geliebten westfälischen Heimat, zugleich aber von
tiefem, goldklarem Gemüt. An den Seinen hing sein Herz mit unerschöpflicher
Liebe; für sie sorgte er in seltner Pflichttreue und in harter Arbeit, um ihnen
die Unabhängigkeit zu erhalten. Mit Charakterfestigkeit hielt er in dem herben
Flüchtlingsleben an seinen Überzeugungen und Hoffnungen fest; aber er stand
doch nicht in Groll und Verbissenheit beiseite, als in der Heimat die Dinge
anders kamen, denn er geträumt hatte, sondern er söhnte sich damit völlig aus
und freute sich ans ehrlichem deutschen Herzen der neuerstandnen Größe und
Einheit des von ihm so heißgeliebten Vaterlandes. Sein Wesen war reinste
Lauterkeit; nie hat er eine unredliche Handlung begangen, nie eine unedle
Denkweise gezeigt. Mit rührender Bescheidenheit verhielt er sich gegenüber den
zahlreichen Huldigungen, der rühmenden Anerkennung seiner Verdienste. Wo es
seine Ehre galt, war er hart und unbeugsam, seinen Mitmenschen gegenüber
voll unergründlicher Herzensgüte, in Wahrheit eine /^rima caniZiäÄ.




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[0522] Ferdinand Freiligrath stehenden Landwehrmänner und Reservisten. In allen diesen späten Gedichten zeigt der greise Poet dieselbe Tiefe der Empfindung, dieselbe Glut der Bered¬ samkeit, die auch den früheren eigen ist. Zwei Jahre nach dein Kriege traf ihn ein herber Schicksalsschlag, von dem er sich nicht mehr erholen konnte: sein im blühendsten Jünglingsalter stehender zweiter Sohn, Otto, starb am Scharlachfieber. In der Arbeit suchte der bis ans Ende tätige Mann seinen Trost. Sie galt in den letzten Lebensjahren der Herausgabe von Hallbergers „Jllustrated English Magazine", der bekannten Halbmonatsschrift. Da ein schweres Leiden, zunehmende Verfettung des Herzens, ihn ergriffen hatte, suchte er Heilung in Klosters im Prättigau. Es war ver¬ geblich, und er fühlte, daß es zu Ende ging. Seine letzte große Freude war, daß Wolfgang mit seiner jungen Frau aus Amerika ins Elternhaus zu Besuch gekommen war. In der Frühe des Morgens vom 18. März 1876 verschied der alte Poet und Freiheitsmann nach ganz kurzem Todeskampfe in seinein Lehnstuhl. Auf dem Kannstatter Friedhofe fand er seine letzte Ruhestätte, die seit Sommer 1878 mit seiner auf granitnen Sockel aufgestellten Büste von Donndorfs Meisterhand geschmückt ist. In dem hochbegabten, tief empfindenden Poeten war zugleich ein ganzer Mann dahingegangen, ausgezeichnet durch starken Charakter, markig, knorrig und zäh wie die Eichen seiner geliebten westfälischen Heimat, zugleich aber von tiefem, goldklarem Gemüt. An den Seinen hing sein Herz mit unerschöpflicher Liebe; für sie sorgte er in seltner Pflichttreue und in harter Arbeit, um ihnen die Unabhängigkeit zu erhalten. Mit Charakterfestigkeit hielt er in dem herben Flüchtlingsleben an seinen Überzeugungen und Hoffnungen fest; aber er stand doch nicht in Groll und Verbissenheit beiseite, als in der Heimat die Dinge anders kamen, denn er geträumt hatte, sondern er söhnte sich damit völlig aus und freute sich ans ehrlichem deutschen Herzen der neuerstandnen Größe und Einheit des von ihm so heißgeliebten Vaterlandes. Sein Wesen war reinste Lauterkeit; nie hat er eine unredliche Handlung begangen, nie eine unedle Denkweise gezeigt. Mit rührender Bescheidenheit verhielt er sich gegenüber den zahlreichen Huldigungen, der rühmenden Anerkennung seiner Verdienste. Wo es seine Ehre galt, war er hart und unbeugsam, seinen Mitmenschen gegenüber voll unergründlicher Herzensgüte, in Wahrheit eine /^rima caniZiäÄ.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/522>, abgerufen am 25.05.2024.