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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Elsaß-lothringische Fragen

Fassen wir das Ergebnis der vorstehenden Betrachtungen zusammen, so
kommen wir hiernach zu folgenden Schlüssen:

1. Am besten -- sür das Reich wie für Elsaß-Lothringen selbst -- wäre
es, aus Elsaß-Lothringen eine oder zwei preußische Provinzen zu machen. Die
auch in den Grenzboten vorgeschlagene Aufteilung Elsaß-Lothringens zwischen
Preußen, Bauern und Baden empfiehlt sich nicht; sie entspricht weder dem
Interesse Bayerns und Badens, noch dem derjenigen Gebietsteile, welche diesen
Staaten zugeteilt werden würden.

2. Wenn die Zuteilung Elsaß-Lothringens zu Preußen nicht durchführbar
ist, so mag man, schon um allen weiteren Agitationen das Wasser abzugraben,
auf alle halben Maßregeln verzichten und Elsaß-Lothringen zu einem selbständigen
Bundesstaate -- Herzogtum oder Großherzogtum -- machen.

3. Herrscher dieses Landes darf nur ein preußischer Prinz werden.

4. Vor oder mindestens gleichzeitig mit der Verfassungsänderung, als deren
Bestandteil es gelten müßte, ist von Reichs wegen ein neues Wahlgesetz für den
Landesausschuß zu erlassen, durch welches das proportionale Wahlsystem nach
württembergischen Muster einzuführen ist.

5. Die Schaffung einer ersten Kammer als zweiten Faktors der Landes¬
gesetzgebung ist vom elsaß-lothringischen Standpunkte aus ziemlich gleichgültig,
vom reichsdeutschen Standpunkte unbedenklich, sofern diese Kammer, welche den
Bundesrat als Gesetzgebungsfaktor ersetzen soll, durch ihre Zusammensetzung dafür
bürgt, daß die elsaß-lothringische Gesetzgebung keine Bahnen einschlägt, die
den Interessen des Deutschtums zuwiderlaufen.

6. Auf alle Fälle muß im deutschen Interesse gefordert werden, daß dem
Kaiser ein uneingeschränktes Vetorecht gegen alle Beschlüsse der gesetzgebenden
Körperschaften vorbehalten wird.

7. Unter diesen Voraussetzungen können Bundesrat und Reichstag als
Faktoren der elsaß-lothringischen Landesgesetzgebung ausgeschaltet werden. ,

8. Wie das Verhältnis der Stimmrechte der Bundesstaaten untereinander
und zur Gesamtheit, das natürlich im Falle der Zuteilung einiger neu¬
zuschaffenden Stimmen an Elsaß-Lothringen verschoben werden würde, geregelt
werden soll, mag dahingestellt bleiben; bei der Lösung dieser Fragen muß selbst¬
verständlich gefordert werden, daß der Einfluß der größeren Bundesstaaten,
insbesondere der Vormacht Preußen, nicht beeinträchtigt wird.


L, F. Clemens


Elsaß-lothringische Fragen

Fassen wir das Ergebnis der vorstehenden Betrachtungen zusammen, so
kommen wir hiernach zu folgenden Schlüssen:

1. Am besten — sür das Reich wie für Elsaß-Lothringen selbst — wäre
es, aus Elsaß-Lothringen eine oder zwei preußische Provinzen zu machen. Die
auch in den Grenzboten vorgeschlagene Aufteilung Elsaß-Lothringens zwischen
Preußen, Bauern und Baden empfiehlt sich nicht; sie entspricht weder dem
Interesse Bayerns und Badens, noch dem derjenigen Gebietsteile, welche diesen
Staaten zugeteilt werden würden.

2. Wenn die Zuteilung Elsaß-Lothringens zu Preußen nicht durchführbar
ist, so mag man, schon um allen weiteren Agitationen das Wasser abzugraben,
auf alle halben Maßregeln verzichten und Elsaß-Lothringen zu einem selbständigen
Bundesstaate — Herzogtum oder Großherzogtum — machen.

3. Herrscher dieses Landes darf nur ein preußischer Prinz werden.

4. Vor oder mindestens gleichzeitig mit der Verfassungsänderung, als deren
Bestandteil es gelten müßte, ist von Reichs wegen ein neues Wahlgesetz für den
Landesausschuß zu erlassen, durch welches das proportionale Wahlsystem nach
württembergischen Muster einzuführen ist.

5. Die Schaffung einer ersten Kammer als zweiten Faktors der Landes¬
gesetzgebung ist vom elsaß-lothringischen Standpunkte aus ziemlich gleichgültig,
vom reichsdeutschen Standpunkte unbedenklich, sofern diese Kammer, welche den
Bundesrat als Gesetzgebungsfaktor ersetzen soll, durch ihre Zusammensetzung dafür
bürgt, daß die elsaß-lothringische Gesetzgebung keine Bahnen einschlägt, die
den Interessen des Deutschtums zuwiderlaufen.

6. Auf alle Fälle muß im deutschen Interesse gefordert werden, daß dem
Kaiser ein uneingeschränktes Vetorecht gegen alle Beschlüsse der gesetzgebenden
Körperschaften vorbehalten wird.

7. Unter diesen Voraussetzungen können Bundesrat und Reichstag als
Faktoren der elsaß-lothringischen Landesgesetzgebung ausgeschaltet werden. ,

8. Wie das Verhältnis der Stimmrechte der Bundesstaaten untereinander
und zur Gesamtheit, das natürlich im Falle der Zuteilung einiger neu¬
zuschaffenden Stimmen an Elsaß-Lothringen verschoben werden würde, geregelt
werden soll, mag dahingestellt bleiben; bei der Lösung dieser Fragen muß selbst¬
verständlich gefordert werden, daß der Einfluß der größeren Bundesstaaten,
insbesondere der Vormacht Preußen, nicht beeinträchtigt wird.


L, F. Clemens


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[0606] Elsaß-lothringische Fragen Fassen wir das Ergebnis der vorstehenden Betrachtungen zusammen, so kommen wir hiernach zu folgenden Schlüssen: 1. Am besten — sür das Reich wie für Elsaß-Lothringen selbst — wäre es, aus Elsaß-Lothringen eine oder zwei preußische Provinzen zu machen. Die auch in den Grenzboten vorgeschlagene Aufteilung Elsaß-Lothringens zwischen Preußen, Bauern und Baden empfiehlt sich nicht; sie entspricht weder dem Interesse Bayerns und Badens, noch dem derjenigen Gebietsteile, welche diesen Staaten zugeteilt werden würden. 2. Wenn die Zuteilung Elsaß-Lothringens zu Preußen nicht durchführbar ist, so mag man, schon um allen weiteren Agitationen das Wasser abzugraben, auf alle halben Maßregeln verzichten und Elsaß-Lothringen zu einem selbständigen Bundesstaate — Herzogtum oder Großherzogtum — machen. 3. Herrscher dieses Landes darf nur ein preußischer Prinz werden. 4. Vor oder mindestens gleichzeitig mit der Verfassungsänderung, als deren Bestandteil es gelten müßte, ist von Reichs wegen ein neues Wahlgesetz für den Landesausschuß zu erlassen, durch welches das proportionale Wahlsystem nach württembergischen Muster einzuführen ist. 5. Die Schaffung einer ersten Kammer als zweiten Faktors der Landes¬ gesetzgebung ist vom elsaß-lothringischen Standpunkte aus ziemlich gleichgültig, vom reichsdeutschen Standpunkte unbedenklich, sofern diese Kammer, welche den Bundesrat als Gesetzgebungsfaktor ersetzen soll, durch ihre Zusammensetzung dafür bürgt, daß die elsaß-lothringische Gesetzgebung keine Bahnen einschlägt, die den Interessen des Deutschtums zuwiderlaufen. 6. Auf alle Fälle muß im deutschen Interesse gefordert werden, daß dem Kaiser ein uneingeschränktes Vetorecht gegen alle Beschlüsse der gesetzgebenden Körperschaften vorbehalten wird. 7. Unter diesen Voraussetzungen können Bundesrat und Reichstag als Faktoren der elsaß-lothringischen Landesgesetzgebung ausgeschaltet werden. , 8. Wie das Verhältnis der Stimmrechte der Bundesstaaten untereinander und zur Gesamtheit, das natürlich im Falle der Zuteilung einiger neu¬ zuschaffenden Stimmen an Elsaß-Lothringen verschoben werden würde, geregelt werden soll, mag dahingestellt bleiben; bei der Lösung dieser Fragen muß selbst¬ verständlich gefordert werden, daß der Einfluß der größeren Bundesstaaten, insbesondere der Vormacht Preußen, nicht beeinträchtigt wird. L, F. Clemens

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/606>, abgerufen am 10.06.2024.