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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Die Lyrik des siebziger Arieges
von Victor Rlemperer
Ganz Deutschland zählt kaum so viel Bajonette
In diesem Krieg als Kampf- und Siegeslieder,
lind jeder neue Tag bringt neue wieder;
Und immer länger wird die lange Kette.
Mit Versen stehn wir ans und gehn zu Bette,
Mit Versen strecken wir die müden Glieder;
Und schließen wir zum Schlaf die Augenlider,
Umsummen uns noch Stanzen und Sonette.

>- Le>Ä >.o beginnt Julius Sturms kleiner Versband: "1870. Kampf¬
und Siegesgedichte", und schon ein flüchtiger Blick auf die
lyrischen Schöpfungen des Kriegsjahres läßt erkennen, daß Sturms
Sonett keine Übertreibung bedeutet. Eine Sammlung poetischer
Broschüren, die im November 1870 von der Verlagshandlung
Franz Lipperheide unter dem Titel: "Für Straßburgs Kinder! Eine Weihnachts¬
bescherung von Deutschlands Dichtern" veranstaltet wurde, brachte es auf zwei¬
undzwanzig Hefte, in denen man neben dauernden Namen wie Bodenstedt und
Lingg verschollene wie Heinrich Pröhle und Christian Schad antrifft. Und die
zweiundzwanzig Verfasser dieser Sammlung sind nur ein Teil der Dichter, die
den deutsch-französischen Krieg besungen haben, ein verhältnismäßig kleiner Teil,
wenn man neben den Herausgebern ganzer Gedichtbücher auch die Dichter
einzelner Stücke in Betracht zieht, also etwa auch Heinrich Leuthold, den lange
als bloßen Formdichter Abgestempelten, der an das siegende Deutschland die
schöne Ode richtete:

. . . Nicht zu blenden, sondern als Leuchte trage
Deiner Bildung Fackel wrnn der Menschheit;
Fuhr' das Richtschwert, aber dem Schwert geselle
Stets sich die Wagcl
So aufs neue nimm in der Weltgeschichte
Deine Stelle, walte des Amts mit Würde
Und den mühsalduldenden Völkern sichre
Frieden und Freiheit I

Es ist merkwürdig, aber doch begreiflich, daß sich so bald die unrichtige
Meinung herausgebildet hat, der siebziger Krieg habe nur wenige dichterische
Früchte getragen. Ich meine, hieran ist einmal schuld, daß sich die Literatur-




Die Lyrik des siebziger Arieges
von Victor Rlemperer
Ganz Deutschland zählt kaum so viel Bajonette
In diesem Krieg als Kampf- und Siegeslieder,
lind jeder neue Tag bringt neue wieder;
Und immer länger wird die lange Kette.
Mit Versen stehn wir ans und gehn zu Bette,
Mit Versen strecken wir die müden Glieder;
Und schließen wir zum Schlaf die Augenlider,
Umsummen uns noch Stanzen und Sonette.

>- Le>Ä >.o beginnt Julius Sturms kleiner Versband: „1870. Kampf¬
und Siegesgedichte", und schon ein flüchtiger Blick auf die
lyrischen Schöpfungen des Kriegsjahres läßt erkennen, daß Sturms
Sonett keine Übertreibung bedeutet. Eine Sammlung poetischer
Broschüren, die im November 1870 von der Verlagshandlung
Franz Lipperheide unter dem Titel: „Für Straßburgs Kinder! Eine Weihnachts¬
bescherung von Deutschlands Dichtern" veranstaltet wurde, brachte es auf zwei¬
undzwanzig Hefte, in denen man neben dauernden Namen wie Bodenstedt und
Lingg verschollene wie Heinrich Pröhle und Christian Schad antrifft. Und die
zweiundzwanzig Verfasser dieser Sammlung sind nur ein Teil der Dichter, die
den deutsch-französischen Krieg besungen haben, ein verhältnismäßig kleiner Teil,
wenn man neben den Herausgebern ganzer Gedichtbücher auch die Dichter
einzelner Stücke in Betracht zieht, also etwa auch Heinrich Leuthold, den lange
als bloßen Formdichter Abgestempelten, der an das siegende Deutschland die
schöne Ode richtete:

. . . Nicht zu blenden, sondern als Leuchte trage
Deiner Bildung Fackel wrnn der Menschheit;
Fuhr' das Richtschwert, aber dem Schwert geselle
Stets sich die Wagcl
So aufs neue nimm in der Weltgeschichte
Deine Stelle, walte des Amts mit Würde
Und den mühsalduldenden Völkern sichre
Frieden und Freiheit I

Es ist merkwürdig, aber doch begreiflich, daß sich so bald die unrichtige
Meinung herausgebildet hat, der siebziger Krieg habe nur wenige dichterische
Früchte getragen. Ich meine, hieran ist einmal schuld, daß sich die Literatur-


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[0607] [Abbildung] Die Lyrik des siebziger Arieges von Victor Rlemperer Ganz Deutschland zählt kaum so viel Bajonette In diesem Krieg als Kampf- und Siegeslieder, lind jeder neue Tag bringt neue wieder; Und immer länger wird die lange Kette. Mit Versen stehn wir ans und gehn zu Bette, Mit Versen strecken wir die müden Glieder; Und schließen wir zum Schlaf die Augenlider, Umsummen uns noch Stanzen und Sonette. >- Le>Ä >.o beginnt Julius Sturms kleiner Versband: „1870. Kampf¬ und Siegesgedichte", und schon ein flüchtiger Blick auf die lyrischen Schöpfungen des Kriegsjahres läßt erkennen, daß Sturms Sonett keine Übertreibung bedeutet. Eine Sammlung poetischer Broschüren, die im November 1870 von der Verlagshandlung Franz Lipperheide unter dem Titel: „Für Straßburgs Kinder! Eine Weihnachts¬ bescherung von Deutschlands Dichtern" veranstaltet wurde, brachte es auf zwei¬ undzwanzig Hefte, in denen man neben dauernden Namen wie Bodenstedt und Lingg verschollene wie Heinrich Pröhle und Christian Schad antrifft. Und die zweiundzwanzig Verfasser dieser Sammlung sind nur ein Teil der Dichter, die den deutsch-französischen Krieg besungen haben, ein verhältnismäßig kleiner Teil, wenn man neben den Herausgebern ganzer Gedichtbücher auch die Dichter einzelner Stücke in Betracht zieht, also etwa auch Heinrich Leuthold, den lange als bloßen Formdichter Abgestempelten, der an das siegende Deutschland die schöne Ode richtete: . . . Nicht zu blenden, sondern als Leuchte trage Deiner Bildung Fackel wrnn der Menschheit; Fuhr' das Richtschwert, aber dem Schwert geselle Stets sich die Wagcl So aufs neue nimm in der Weltgeschichte Deine Stelle, walte des Amts mit Würde Und den mühsalduldenden Völkern sichre Frieden und Freiheit I Es ist merkwürdig, aber doch begreiflich, daß sich so bald die unrichtige Meinung herausgebildet hat, der siebziger Krieg habe nur wenige dichterische Früchte getragen. Ich meine, hieran ist einmal schuld, daß sich die Literatur-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/607>, abgerufen am 10.06.2024.