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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Die Lyrik des siebziger Krieges

Da mußten ihm die Wirrnisse des "tollen Jahres" entsetzlich sein, da mußte
er es als Wohltat empfinden, daß in Preußen der "Nibelungenenkel" aufstand,
den er in einem Sonett der vierziger Jahre herbeigesehnt hatte. Die Ausdauer
und Zuversicht, mit der Geibel in den fünfziger Jahren an seinen deutschen
Hoffnungen festhielt, haben etwas Rührendes, die Bestimmtheit, mit der er
später den Fortschritt auf dem ins Ziel mündenden Weg erkannte, ist
bewunderungswürdig. Der Krieg von 1870 brachte ihm keine Überraschung.
Ein würdiger Jünger Ernst Moritz Arndts hatte er ja, was nun kam,
unermüdlich vorausverkündet.

Einst geschieht's, da wird die Schmach
Seines Volks der Herr zerbrechen;
Der auf Leipzigs Feldern sprach,
Wird im Donner wieder sprechen.
Schlage, schlage dann empor
Liiut'rungsglut des Weltenbrandesl
Steig als Phönix bruns hervor,
Kaiseraar des deutschen LandesI

Sein Gedicht "Drei Vögel" von: Herbst 1869 malt schon, kaum verschleiert,
die Weltlage, die den Krieg und die deutsche Einigung ergab. Man ist gewohnt,
in Geibel einen sanften und milden Dichter zu sehen. Auf den politischen
Sänger zum mindesten paßt das gar nicht. Wohl scheint dem nichts so
schrecklich wie der Bürgerkrieg, aber den Krieg gegen den äußeren Feind fürchtet
er keineswegs. Schon in den vierziger Jahren sehnte er ein einigendes Ringen
gegen eine auswärtige Macht herbei: "Deutschland ist totkrank -- schlagt ihm
eine Ader!", danach, in den Sonetten "Für Schleswig-Holstein", predigte er
leidenschaftlich den Krieg mit Dänemark, später fand er für Düppel jubelnde
Dankworte, und auch die blutige Auseinandersetzung von 1866 hatte für den
entschiedenen Parteigänger Preußens keine Schrecken, bot freilich dem Taktvollen
auch keinen sonderlichen Liederstoff. Der siebziger Krieg, diese Erfüllung feiner
lebenslangen Sehnsucht, macht ihn fast fühllos gegen das Leiden der Einzelnen.
Er ist nun völlig der Priester der Gesamtheit. Er spornt sie an, er betet, er
dankt und flucht für sie. Auch Freiligrath legt ein frommes Empfinden in
seine Verse; aber er ist doch zumeist mehr der religiös gestimmte Laie neben
dem eifernden Hohenpriester Geibel. Der singt den "Psalm wider Babel":

Es wird zertreten der Rächer
Die Stätten, da ihr sitzt,
Das; durch die krachenden Dächer
Hochauf die Lohe spritzt.
Und Heulen wird sein auf den Gassen
Und Hunger Haus bei Haus,
Indes die Wölfe Prasser
Und die Geier am Schmaus. . . .

Er verkündet das Empfinden einer Gemeinde und ermuntert sie zugleich in
dem "Kriegslied":


Die Lyrik des siebziger Krieges

Da mußten ihm die Wirrnisse des „tollen Jahres" entsetzlich sein, da mußte
er es als Wohltat empfinden, daß in Preußen der „Nibelungenenkel" aufstand,
den er in einem Sonett der vierziger Jahre herbeigesehnt hatte. Die Ausdauer
und Zuversicht, mit der Geibel in den fünfziger Jahren an seinen deutschen
Hoffnungen festhielt, haben etwas Rührendes, die Bestimmtheit, mit der er
später den Fortschritt auf dem ins Ziel mündenden Weg erkannte, ist
bewunderungswürdig. Der Krieg von 1870 brachte ihm keine Überraschung.
Ein würdiger Jünger Ernst Moritz Arndts hatte er ja, was nun kam,
unermüdlich vorausverkündet.

Einst geschieht's, da wird die Schmach
Seines Volks der Herr zerbrechen;
Der auf Leipzigs Feldern sprach,
Wird im Donner wieder sprechen.
Schlage, schlage dann empor
Liiut'rungsglut des Weltenbrandesl
Steig als Phönix bruns hervor,
Kaiseraar des deutschen LandesI

Sein Gedicht „Drei Vögel" von: Herbst 1869 malt schon, kaum verschleiert,
die Weltlage, die den Krieg und die deutsche Einigung ergab. Man ist gewohnt,
in Geibel einen sanften und milden Dichter zu sehen. Auf den politischen
Sänger zum mindesten paßt das gar nicht. Wohl scheint dem nichts so
schrecklich wie der Bürgerkrieg, aber den Krieg gegen den äußeren Feind fürchtet
er keineswegs. Schon in den vierziger Jahren sehnte er ein einigendes Ringen
gegen eine auswärtige Macht herbei: „Deutschland ist totkrank — schlagt ihm
eine Ader!", danach, in den Sonetten „Für Schleswig-Holstein", predigte er
leidenschaftlich den Krieg mit Dänemark, später fand er für Düppel jubelnde
Dankworte, und auch die blutige Auseinandersetzung von 1866 hatte für den
entschiedenen Parteigänger Preußens keine Schrecken, bot freilich dem Taktvollen
auch keinen sonderlichen Liederstoff. Der siebziger Krieg, diese Erfüllung feiner
lebenslangen Sehnsucht, macht ihn fast fühllos gegen das Leiden der Einzelnen.
Er ist nun völlig der Priester der Gesamtheit. Er spornt sie an, er betet, er
dankt und flucht für sie. Auch Freiligrath legt ein frommes Empfinden in
seine Verse; aber er ist doch zumeist mehr der religiös gestimmte Laie neben
dem eifernden Hohenpriester Geibel. Der singt den „Psalm wider Babel":

Es wird zertreten der Rächer
Die Stätten, da ihr sitzt,
Das; durch die krachenden Dächer
Hochauf die Lohe spritzt.
Und Heulen wird sein auf den Gassen
Und Hunger Haus bei Haus,
Indes die Wölfe Prasser
Und die Geier am Schmaus. . . .

Er verkündet das Empfinden einer Gemeinde und ermuntert sie zugleich in
dem „Kriegslied":


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[0616] Die Lyrik des siebziger Krieges Da mußten ihm die Wirrnisse des „tollen Jahres" entsetzlich sein, da mußte er es als Wohltat empfinden, daß in Preußen der „Nibelungenenkel" aufstand, den er in einem Sonett der vierziger Jahre herbeigesehnt hatte. Die Ausdauer und Zuversicht, mit der Geibel in den fünfziger Jahren an seinen deutschen Hoffnungen festhielt, haben etwas Rührendes, die Bestimmtheit, mit der er später den Fortschritt auf dem ins Ziel mündenden Weg erkannte, ist bewunderungswürdig. Der Krieg von 1870 brachte ihm keine Überraschung. Ein würdiger Jünger Ernst Moritz Arndts hatte er ja, was nun kam, unermüdlich vorausverkündet. Einst geschieht's, da wird die Schmach Seines Volks der Herr zerbrechen; Der auf Leipzigs Feldern sprach, Wird im Donner wieder sprechen. Schlage, schlage dann empor Liiut'rungsglut des Weltenbrandesl Steig als Phönix bruns hervor, Kaiseraar des deutschen LandesI Sein Gedicht „Drei Vögel" von: Herbst 1869 malt schon, kaum verschleiert, die Weltlage, die den Krieg und die deutsche Einigung ergab. Man ist gewohnt, in Geibel einen sanften und milden Dichter zu sehen. Auf den politischen Sänger zum mindesten paßt das gar nicht. Wohl scheint dem nichts so schrecklich wie der Bürgerkrieg, aber den Krieg gegen den äußeren Feind fürchtet er keineswegs. Schon in den vierziger Jahren sehnte er ein einigendes Ringen gegen eine auswärtige Macht herbei: „Deutschland ist totkrank — schlagt ihm eine Ader!", danach, in den Sonetten „Für Schleswig-Holstein", predigte er leidenschaftlich den Krieg mit Dänemark, später fand er für Düppel jubelnde Dankworte, und auch die blutige Auseinandersetzung von 1866 hatte für den entschiedenen Parteigänger Preußens keine Schrecken, bot freilich dem Taktvollen auch keinen sonderlichen Liederstoff. Der siebziger Krieg, diese Erfüllung feiner lebenslangen Sehnsucht, macht ihn fast fühllos gegen das Leiden der Einzelnen. Er ist nun völlig der Priester der Gesamtheit. Er spornt sie an, er betet, er dankt und flucht für sie. Auch Freiligrath legt ein frommes Empfinden in seine Verse; aber er ist doch zumeist mehr der religiös gestimmte Laie neben dem eifernden Hohenpriester Geibel. Der singt den „Psalm wider Babel": Es wird zertreten der Rächer Die Stätten, da ihr sitzt, Das; durch die krachenden Dächer Hochauf die Lohe spritzt. Und Heulen wird sein auf den Gassen Und Hunger Haus bei Haus, Indes die Wölfe Prasser Und die Geier am Schmaus. . . . Er verkündet das Empfinden einer Gemeinde und ermuntert sie zugleich in dem „Kriegslied":

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/616>, abgerufen am 09.06.2024.