Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Lyrik des siebziger Krieges

Er spricht das Dankgebet aller "Am dritten September" ("Nun laßt die
Glocken von Turm zu Turm durchs Land frohlocken im JubelsturmI"), er ruft
im Januar 1871 Deutschland, die "hohe Siegerin", zur "Hochzeitsfeier". Und
das letzte Wort seiner "Heroldsrufe" bringt nichts als überschwänglichsten Dank
gegen das Schicksal.

In Freiligraths Widmungsstrophen "An Deutschland" ist das Land die
"bleiche Siegerin", in Geibels gleichbetiteltem Gedicht heißt es die "hohe
Siegerin". Der Unterschied zwischen den beiden Dichtern ergibt sich ganz aus
der Gegenüberstellung dieser zwei Adjektiv". Geibels Kriegslnrik übertrifft die
Freiligrathsche an Einheitlichkeit der Stimmung, an Volltönigkeit des Weihe¬
klangs, des Orgelrauschens; aber das leise Frösteln, das die Übermenschlichkeit
-- ich meine das über den Einzelnen Hinausgreifende des Gefühls -- bei
der Lektüre Geibels doch wohl gelegentlich verursacht, wird man bei Freiligrath nicht
empfinden. Und dabei -- ein Warnungszeichen für die Gefahren des Schlag¬
worts! -- heißt wohl der ganze Geibel "der Geiger süßer Lieder", der ganze
Freiligrath "der Trompeter der Revolution".

In Herwegh, Freiligrath, Geibel sind die drei bedeutendsten Vertreter der
Revolutionsdichtung, die 1870 wiederum zu Worte kamen, ausführlich gezeichnet
worden. Andere, wie den schlichten und manchmal derb humoristischen Karl
Simrock, der um 1848 etwa auf gleicher Linie mit Geibel stand, wie Wilhelm
Jordan, der in den Frankfurter Tagen der Marineabteilung des Reichs¬
ministeriums für Handel angehört hatte und nun in den "Strophen und Stäben"
an den damaligen Prinzen von Preußen bedeutende Erinnerungen aus jener
unglücklicheren Zeit richtete -- solche in diesem Zusammenhang minder markante
Erscheinungen kann dieser Aufsatz nur andeuten. Und ebensowenig darf er bei
Männern verweilen, deren Vaterlandsliebe hoch über ihr dichterisches Vermögen
hinausragte, wie bei Oswald Marbach, dem Zensor in den Jahren des Vor¬
märz, der 1870 "Das Halljahr Deutschlands" schrieb, bei George Ludwig
Hesekiel, dem leidenschaftlichen Parteigänger der Rechten und Redakteur der
"Kreuzzeitung" seit 1849, der seine Kriegslieder "Gegen die Franzosen" betitelte.
In dem dichterischen Parlament, das in den vierziger Jahren in ganz Deutsch¬
land lange vor der tatsächlichen Frankfurter Versammlung tagte, ist eben die
eigentliche Rechte nicht glücklich vertreten gewesen. Das einzige wahrhafte Genie,


Die Lyrik des siebziger Krieges

Er spricht das Dankgebet aller „Am dritten September" („Nun laßt die
Glocken von Turm zu Turm durchs Land frohlocken im JubelsturmI"), er ruft
im Januar 1871 Deutschland, die „hohe Siegerin", zur „Hochzeitsfeier". Und
das letzte Wort seiner „Heroldsrufe" bringt nichts als überschwänglichsten Dank
gegen das Schicksal.

In Freiligraths Widmungsstrophen „An Deutschland" ist das Land die
„bleiche Siegerin", in Geibels gleichbetiteltem Gedicht heißt es die „hohe
Siegerin". Der Unterschied zwischen den beiden Dichtern ergibt sich ganz aus
der Gegenüberstellung dieser zwei Adjektiv«. Geibels Kriegslnrik übertrifft die
Freiligrathsche an Einheitlichkeit der Stimmung, an Volltönigkeit des Weihe¬
klangs, des Orgelrauschens; aber das leise Frösteln, das die Übermenschlichkeit
— ich meine das über den Einzelnen Hinausgreifende des Gefühls — bei
der Lektüre Geibels doch wohl gelegentlich verursacht, wird man bei Freiligrath nicht
empfinden. Und dabei — ein Warnungszeichen für die Gefahren des Schlag¬
worts! — heißt wohl der ganze Geibel „der Geiger süßer Lieder", der ganze
Freiligrath „der Trompeter der Revolution".

In Herwegh, Freiligrath, Geibel sind die drei bedeutendsten Vertreter der
Revolutionsdichtung, die 1870 wiederum zu Worte kamen, ausführlich gezeichnet
worden. Andere, wie den schlichten und manchmal derb humoristischen Karl
Simrock, der um 1848 etwa auf gleicher Linie mit Geibel stand, wie Wilhelm
Jordan, der in den Frankfurter Tagen der Marineabteilung des Reichs¬
ministeriums für Handel angehört hatte und nun in den „Strophen und Stäben"
an den damaligen Prinzen von Preußen bedeutende Erinnerungen aus jener
unglücklicheren Zeit richtete — solche in diesem Zusammenhang minder markante
Erscheinungen kann dieser Aufsatz nur andeuten. Und ebensowenig darf er bei
Männern verweilen, deren Vaterlandsliebe hoch über ihr dichterisches Vermögen
hinausragte, wie bei Oswald Marbach, dem Zensor in den Jahren des Vor¬
märz, der 1870 „Das Halljahr Deutschlands" schrieb, bei George Ludwig
Hesekiel, dem leidenschaftlichen Parteigänger der Rechten und Redakteur der
„Kreuzzeitung" seit 1849, der seine Kriegslieder „Gegen die Franzosen" betitelte.
In dem dichterischen Parlament, das in den vierziger Jahren in ganz Deutsch¬
land lange vor der tatsächlichen Frankfurter Versammlung tagte, ist eben die
eigentliche Rechte nicht glücklich vertreten gewesen. Das einzige wahrhafte Genie,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0617" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/316256"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Lyrik des siebziger Krieges</fw><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_58" type="poem">
            <l/>
          </lg><lb/>
          <p xml:id="ID_3198"> Er spricht das Dankgebet aller &#x201E;Am dritten September" (&#x201E;Nun laßt die<lb/>
Glocken von Turm zu Turm durchs Land frohlocken im JubelsturmI"), er ruft<lb/>
im Januar 1871 Deutschland, die &#x201E;hohe Siegerin", zur &#x201E;Hochzeitsfeier". Und<lb/>
das letzte Wort seiner &#x201E;Heroldsrufe" bringt nichts als überschwänglichsten Dank<lb/>
gegen das Schicksal.</p><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_59" type="poem">
            <l/>
          </lg><lb/>
          <p xml:id="ID_3199"> In Freiligraths Widmungsstrophen &#x201E;An Deutschland" ist das Land die<lb/>
&#x201E;bleiche Siegerin", in Geibels gleichbetiteltem Gedicht heißt es die &#x201E;hohe<lb/>
Siegerin". Der Unterschied zwischen den beiden Dichtern ergibt sich ganz aus<lb/>
der Gegenüberstellung dieser zwei Adjektiv«. Geibels Kriegslnrik übertrifft die<lb/>
Freiligrathsche an Einheitlichkeit der Stimmung, an Volltönigkeit des Weihe¬<lb/>
klangs, des Orgelrauschens; aber das leise Frösteln, das die Übermenschlichkeit<lb/>
&#x2014; ich meine das über den Einzelnen Hinausgreifende des Gefühls &#x2014; bei<lb/>
der Lektüre Geibels doch wohl gelegentlich verursacht, wird man bei Freiligrath nicht<lb/>
empfinden. Und dabei &#x2014; ein Warnungszeichen für die Gefahren des Schlag¬<lb/>
worts! &#x2014; heißt wohl der ganze Geibel &#x201E;der Geiger süßer Lieder", der ganze<lb/>
Freiligrath &#x201E;der Trompeter der Revolution".</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3200" next="#ID_3201"> In Herwegh, Freiligrath, Geibel sind die drei bedeutendsten Vertreter der<lb/>
Revolutionsdichtung, die 1870 wiederum zu Worte kamen, ausführlich gezeichnet<lb/>
worden. Andere, wie den schlichten und manchmal derb humoristischen Karl<lb/>
Simrock, der um 1848 etwa auf gleicher Linie mit Geibel stand, wie Wilhelm<lb/>
Jordan, der in den Frankfurter Tagen der Marineabteilung des Reichs¬<lb/>
ministeriums für Handel angehört hatte und nun in den &#x201E;Strophen und Stäben"<lb/>
an den damaligen Prinzen von Preußen bedeutende Erinnerungen aus jener<lb/>
unglücklicheren Zeit richtete &#x2014; solche in diesem Zusammenhang minder markante<lb/>
Erscheinungen kann dieser Aufsatz nur andeuten. Und ebensowenig darf er bei<lb/>
Männern verweilen, deren Vaterlandsliebe hoch über ihr dichterisches Vermögen<lb/>
hinausragte, wie bei Oswald Marbach, dem Zensor in den Jahren des Vor¬<lb/>
märz, der 1870 &#x201E;Das Halljahr Deutschlands" schrieb, bei George Ludwig<lb/>
Hesekiel, dem leidenschaftlichen Parteigänger der Rechten und Redakteur der<lb/>
&#x201E;Kreuzzeitung" seit 1849, der seine Kriegslieder &#x201E;Gegen die Franzosen" betitelte.<lb/>
In dem dichterischen Parlament, das in den vierziger Jahren in ganz Deutsch¬<lb/>
land lange vor der tatsächlichen Frankfurter Versammlung tagte, ist eben die<lb/>
eigentliche Rechte nicht glücklich vertreten gewesen. Das einzige wahrhafte Genie,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0617] Die Lyrik des siebziger Krieges Er spricht das Dankgebet aller „Am dritten September" („Nun laßt die Glocken von Turm zu Turm durchs Land frohlocken im JubelsturmI"), er ruft im Januar 1871 Deutschland, die „hohe Siegerin", zur „Hochzeitsfeier". Und das letzte Wort seiner „Heroldsrufe" bringt nichts als überschwänglichsten Dank gegen das Schicksal. In Freiligraths Widmungsstrophen „An Deutschland" ist das Land die „bleiche Siegerin", in Geibels gleichbetiteltem Gedicht heißt es die „hohe Siegerin". Der Unterschied zwischen den beiden Dichtern ergibt sich ganz aus der Gegenüberstellung dieser zwei Adjektiv«. Geibels Kriegslnrik übertrifft die Freiligrathsche an Einheitlichkeit der Stimmung, an Volltönigkeit des Weihe¬ klangs, des Orgelrauschens; aber das leise Frösteln, das die Übermenschlichkeit — ich meine das über den Einzelnen Hinausgreifende des Gefühls — bei der Lektüre Geibels doch wohl gelegentlich verursacht, wird man bei Freiligrath nicht empfinden. Und dabei — ein Warnungszeichen für die Gefahren des Schlag¬ worts! — heißt wohl der ganze Geibel „der Geiger süßer Lieder", der ganze Freiligrath „der Trompeter der Revolution". In Herwegh, Freiligrath, Geibel sind die drei bedeutendsten Vertreter der Revolutionsdichtung, die 1870 wiederum zu Worte kamen, ausführlich gezeichnet worden. Andere, wie den schlichten und manchmal derb humoristischen Karl Simrock, der um 1848 etwa auf gleicher Linie mit Geibel stand, wie Wilhelm Jordan, der in den Frankfurter Tagen der Marineabteilung des Reichs¬ ministeriums für Handel angehört hatte und nun in den „Strophen und Stäben" an den damaligen Prinzen von Preußen bedeutende Erinnerungen aus jener unglücklicheren Zeit richtete — solche in diesem Zusammenhang minder markante Erscheinungen kann dieser Aufsatz nur andeuten. Und ebensowenig darf er bei Männern verweilen, deren Vaterlandsliebe hoch über ihr dichterisches Vermögen hinausragte, wie bei Oswald Marbach, dem Zensor in den Jahren des Vor¬ märz, der 1870 „Das Halljahr Deutschlands" schrieb, bei George Ludwig Hesekiel, dem leidenschaftlichen Parteigänger der Rechten und Redakteur der „Kreuzzeitung" seit 1849, der seine Kriegslieder „Gegen die Franzosen" betitelte. In dem dichterischen Parlament, das in den vierziger Jahren in ganz Deutsch¬ land lange vor der tatsächlichen Frankfurter Versammlung tagte, ist eben die eigentliche Rechte nicht glücklich vertreten gewesen. Das einzige wahrhafte Genie,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/617
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/617>, abgerufen am 10.06.2024.