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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Die preußische Verwaltungsorganisation früher

gelassen haben würde. Er habe nämlich nur ein allgemeines Aufsichtsrecht
über die Geschäftsführung der Regierungen gehabt. Dagegen sei er nicht befugt
gewesen, ihnen Anweisungen zu erteilen oder über Beschwerden gegen sie zu
entscheiden. Sein Amt habe erst durch die Verbindung mit dem Präsidium
einer Negierung "Körper" bekommen. Er meint hiermit die Bestimmung in
der nach dem Tode des Fürsten Hardenberg erlassenen Oberprüsidialinstruktion
vom 31. Dezember 1825. daß der Oberpräsident "in der Regel" zugleich
Präsident der Regierung seines Wohnorts sein solle.

Indessen hatten die Oberpräsidenten schon in ihrer Eigenschaft als ständige
Vertreter der Minister eine bedeutungsvolle Stellung gerade auch gegenüber den
Regierungen. Außerdem war ihnen eine ganze Anzahl einzelner Geschäfte zur
eigenen Erledigung übertragen, wozu sie nach Belieben die Hilfe der Regierungen
beanspruchen konnten, und endlich waren sie in der Tat von jeher befugt, den
Regierungen auch in deren eigenem Geschäftskreis Anweisungen zu geben, die
diese befolgen mußten, wenn Gefahr im Verzug war, was allein der Ober¬
präsident zu entscheiden hatte. Sonst konnte der Oberpräsident Verfügungen
der Regierungen allerdings nur anhalten, bis höhere Entscheidung eingeholt
war. Die eben genannte Instruktion vom 31. Dezember 1825 ordnete dann
die Regierungen den Oberpräsidenten förmlich unter, indem sie diese ermächtigte,
Mängel und Unregelmäßigkeiten im Geschäftsgang der Regierungen "nach
Befinden auf eigne Verantwortung sofort abzustellen". Außerdem verpflichtete
sie die Oberpräsidenten, Beschwerden über Verfügungen der Regierungen, die
bei ihnen eingingen, "anzunehmen, zu prüfen und, insofern sie nach den
bestehenden Gesetzen und Verfügungen begründet sind, ans ihre Erledigung zu
wirken". Die Abhilfe mußte also anscheinend von der Regierung selbst gefordert
werden. Aber diese war verpflichtet, die Entscheidung des Oberpräsidenten
gehörig zu vollziehen. Sie hatte nur das Recht, später, wenn sie "ihre Bedenken
durch die Entscheidung des Oberpräsidenten nicht gehoben" glaubte, "davon
dem zuständigen Ministerium Anzeige zu machen". Wie man sieht, hatten also
die Oberpräsidenten eine weitgehende Einwirkung auf die Tätigkeit der Regierung
und zweifellos der Sache nach die Entscheidung über Beschwerden gegen
Regierungsverfügungen. Sie waren also tatsächlich eine Beschwerdeinstanz.
Daß sie anscheinend Regierungsverfügnngen nicht selbst förmlich aufheben konnten,
spricht nicht gegen diese Auffassung; es scheint damals allgemein üblich gewesen
zu sein, daß die obere Behörde die Entscheidungen der untern nicht selbst
aufhob, sondern die untere anwies, ihre Entscheidung selbst abzuändern. Nach
alledem scheint es mir, daß man nicht sagen kann, die Oberpräsidenten hätten
nur eine lose Verbindung mit der allgemeinen Verwaltungsorganisation gehabt
und erst als Regierungspräsidenten Körper bekommen. Wie wenig man übrigens
daran gedacht haben kann, den Oberpräsidenten durch die Übertragung der
Leitung einer Regierung "Körper" zu verleihen, geht daraus hervor, daß die
mehrfach genannte Oberpräsidialinstruktion es den Oberpräsidenten freistellte, die


Grenzboten II 1910 9
Die preußische Verwaltungsorganisation früher

gelassen haben würde. Er habe nämlich nur ein allgemeines Aufsichtsrecht
über die Geschäftsführung der Regierungen gehabt. Dagegen sei er nicht befugt
gewesen, ihnen Anweisungen zu erteilen oder über Beschwerden gegen sie zu
entscheiden. Sein Amt habe erst durch die Verbindung mit dem Präsidium
einer Negierung „Körper" bekommen. Er meint hiermit die Bestimmung in
der nach dem Tode des Fürsten Hardenberg erlassenen Oberprüsidialinstruktion
vom 31. Dezember 1825. daß der Oberpräsident „in der Regel" zugleich
Präsident der Regierung seines Wohnorts sein solle.

Indessen hatten die Oberpräsidenten schon in ihrer Eigenschaft als ständige
Vertreter der Minister eine bedeutungsvolle Stellung gerade auch gegenüber den
Regierungen. Außerdem war ihnen eine ganze Anzahl einzelner Geschäfte zur
eigenen Erledigung übertragen, wozu sie nach Belieben die Hilfe der Regierungen
beanspruchen konnten, und endlich waren sie in der Tat von jeher befugt, den
Regierungen auch in deren eigenem Geschäftskreis Anweisungen zu geben, die
diese befolgen mußten, wenn Gefahr im Verzug war, was allein der Ober¬
präsident zu entscheiden hatte. Sonst konnte der Oberpräsident Verfügungen
der Regierungen allerdings nur anhalten, bis höhere Entscheidung eingeholt
war. Die eben genannte Instruktion vom 31. Dezember 1825 ordnete dann
die Regierungen den Oberpräsidenten förmlich unter, indem sie diese ermächtigte,
Mängel und Unregelmäßigkeiten im Geschäftsgang der Regierungen „nach
Befinden auf eigne Verantwortung sofort abzustellen". Außerdem verpflichtete
sie die Oberpräsidenten, Beschwerden über Verfügungen der Regierungen, die
bei ihnen eingingen, „anzunehmen, zu prüfen und, insofern sie nach den
bestehenden Gesetzen und Verfügungen begründet sind, ans ihre Erledigung zu
wirken". Die Abhilfe mußte also anscheinend von der Regierung selbst gefordert
werden. Aber diese war verpflichtet, die Entscheidung des Oberpräsidenten
gehörig zu vollziehen. Sie hatte nur das Recht, später, wenn sie „ihre Bedenken
durch die Entscheidung des Oberpräsidenten nicht gehoben" glaubte, „davon
dem zuständigen Ministerium Anzeige zu machen". Wie man sieht, hatten also
die Oberpräsidenten eine weitgehende Einwirkung auf die Tätigkeit der Regierung
und zweifellos der Sache nach die Entscheidung über Beschwerden gegen
Regierungsverfügungen. Sie waren also tatsächlich eine Beschwerdeinstanz.
Daß sie anscheinend Regierungsverfügnngen nicht selbst förmlich aufheben konnten,
spricht nicht gegen diese Auffassung; es scheint damals allgemein üblich gewesen
zu sein, daß die obere Behörde die Entscheidungen der untern nicht selbst
aufhob, sondern die untere anwies, ihre Entscheidung selbst abzuändern. Nach
alledem scheint es mir, daß man nicht sagen kann, die Oberpräsidenten hätten
nur eine lose Verbindung mit der allgemeinen Verwaltungsorganisation gehabt
und erst als Regierungspräsidenten Körper bekommen. Wie wenig man übrigens
daran gedacht haben kann, den Oberpräsidenten durch die Übertragung der
Leitung einer Regierung „Körper" zu verleihen, geht daraus hervor, daß die
mehrfach genannte Oberpräsidialinstruktion es den Oberpräsidenten freistellte, die


Grenzboten II 1910 9
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/77>, abgerufen am 17.06.2024.